© wikimedia/AlfvanBeem
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  • Christian Platz
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Achter am Abend: Kalkutta Express

Jetzt gibt es einen Entlastungskurs für den Achter. Trotzdem ist die Situation auf Basels notorisch überfüllter Linie, vor allem gegen Abend, immer noch ein bisschen wie Zugfahren in Indien. 

Zurück zum Jahresrückblick

Samstag, zwischen 17 und 18 Uhr, zwei volle Einkaufstaschen dabei, hoffentlich reissen die Dinger nicht. Alle anderen Leute sind ebenfalls schwer bepackt. Tramstation Rheingasse, Blick auf die Digitale Fahrgastinformation (DFI), keine Überraschung: Hinter dem Achter steht dieses schöne Wort mit den vier Buchstaben «Stau». Bald, ich ahne es, wird dort Tram «Nummer 8: 16 Minuten» stehen.

Eskalation in der Weihnachtszeit

Diese Situation besteht ja das ganze Jahr lang. Vor allem gegen Abend, wenn Paare, Passanten ihre Einkäufe nach Hause bringen wollen, vor allem dann, wenn alle Stalldrang haben. Doch in der frohen Weihnachtszeit kommt es zur Eskalation. Nach etwa 18 Minuten naht meine Linie, die uns heim ins tiefe Glaibasel bringen soll. Täusche ich mich – oder ist das Tram derart überfüllt, dass es noch langsamer fährt als üblich?

Eine Wand aus (verlängerten) Rücken

Nun, man ist ja ein höflicher Mann im mittleren Alter, also lässt man die Mütter mit den Doppelkinderwagen zuerst einsteigen, lustig, dass am Samstagabend eine ganze Armada von denen unterwegs sind, sowie die Seniorinnen und Senioren. Und als wir dann endlich an der Reihe wären, schaut uns nur noch eine Wand aus Rücken und – pardon – verlängerten Rücken entgegen. Eine Mauer, die Wirkung zeigt, die Türen schliessen nicht mehr. Im Wageninneren erklingt schon jene heimelige Stimme, die auf den Missstand hinweist... Keine Chance.

Mit sanfter Gewalt

Ich würde der BVB vorschlagen, sich für derartige Fälle jene Hilfskräfte aus Tokyo und Hong Kong zum Vorbild zu nehmen, und Damen und Herren mit weissen Handschuhen an die Achter-Stationen zu stellen, die uns mit sanfter Gewalt ins Wageninnere hineindrücken; uns zahlende Fahrgäste, die seit Jahrzehnten täglich Drämmli fahren und noch jede Preiserhöhung mitgemacht haben. Inzwischen könnte man uns mit Fug und Recht Ölsardinen nennen, aber die kommen immerhin gratis in die Büchse.

Vertreibt die Zeit

Also nochmals warten. Die Einkaufstaschen hängen langsam an. Und – für einmal dürfen wir es hinschreiben – zum Glück rauchen wir, das ist zwar ungesund, vertreibt jedoch die Zeit. Kurzer Blick auf die DFI, keine Überraschung: Achter: Stau. Das Wort wird sich bald in eine Zahl verwandeln, wahrscheinlich 16 Minuten. Wir denken beim Warten ein bisschen über die Wagenführerinnen der BVB nach, an sich Leute, die wir sehr schätzen, wir sind sicher, dass es inzwischen zu wenige von ihnen gibt, und dass diese Wenigen einem furchtbaren Stress ausgeliefert sind.

Quetschen

Wahrscheinlich gibt es bei unseren Verkehrsbetrieben dafür umso mehr Planende und Organsationsentwickelnde, wie man solche Berufsleute heutzutage nennt, die ganz gewiss weniger Stress haben, dafür verdienen sie sicher mehr; immerhin... Aber lassen wir das, unser Tram ist da, das hat zwar recht lange gedauert, aber es war besser als das Warten auf Godot, der bekanntlich nie kommt. Auch diese Kombination ist ziemlich voll, aber wir quetschen uns mal in den Menschenauflauf hinein...

Reiseerinnerungen

Drinnen verkündet eine heimelige Konservenstimme, dass es nun einen Entlastungskurs auf unserer Leib- und Magenliebe gäbe. Wir hören die Infos nicht richtig im Stimmengewirr, das uns umgibt. Dafür kommen uns Reiserinnerungen in den Sinn, vom Zug nach Kalkutta, wo die Passagiere auch auf das Dach steigen, wenn die Büchse überfüllt ist. Bei einem Basler Tram schwierig, die Fahrleitung kommen einem dabei in den Weg. Oder vom Busbahnhof in Kathmandu, wo man nie weiss, wann der Transport kommt – und dann sitzen sich die Leute während der Fahrt auf dem Schoss. Diese schönen Erinnerungen versöhnen uns ein bisschen mit der Situation. Aber, he, wir sind hier eigentlich im reichsten Land der Welt – und die Billetts sind auch nicht gerade billig.

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