©pexels.com/barfi
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  • Jonas Egli
  • Aktualisiert am

Autsch: So bizarr bewerten wütende Kunden Basel

Das Internet wurde erfunden, damit sich Menschen beschweren können. Mit der Möglichkeit, anonym jeden Ort und Anlass mit einer gesalzenen Rezension, einer vernichtenden Sterne- oder Punktewertung zu versehen, nutzen Heerscharen von selbsternannten Richtern die Gelegenheit, ihrem Unmut Luft zu verschaffen. Mit teilweise unabsichtlich erheiterndem Ergebnis. Barfi.ch hat die besten in Basel durchforstet.

Um nicht die Katze im Sack zu kaufen, kann man sich im Internet schlau machen, bevor ein Restaurantbesuch oder eine Sehenswürdigkeit zur Enttäuschung wird. Ranking- und Bewertungsportale wie Yelp und TripAdvisor gibt es zuhauf, auch Google Maps hat eine Kommentarfunktion eingebaut. Die Reiseportale AirBnB oder Lonelyplanet verwenden die Punktewertungen als wichtiges Mittel, die Auswahl in Spreu und Weizen zu trennen.

Doch was im Grundgedanken sehr sinnvoll ist, ufert im unregulierten Netz leicht aus. Grundsätzlich kann alles angeschwärzt werden, ohne, dass dafür eine besondere Befähigung erforderlich wäre oder das Geschriebene belegt werden müsste. Selbst etablierte Orte und Einrichtungen in Basel müssen sich gehässige Kommentare gefallen lassen. Jedes Missverständnis im Café kann noch vor Ort per Handy auf dem Profil des Säumigen hingedonnert werden, ohne dass der davon etwas mitbekommen muss.

Kurios wird es dann, wenn die Kommentare jeder Logik entbehren oder keine Angaben machen, was denn genau der Grund dafür sei. Zum Beispiel die S-Bahn Haltestelle Salina Raurica: Ein Stern von fünf. Kein Kommentar. Wer gibt sich die Mühe, uns das mitzuteilen?

Selbst zu einer Kehrichtsverbrennungsanlage gibt es Meinungen zu lesen.

Dein Kunde ist ein Despot

Den Kunden als König zu behandeln, ist spätestens seit der Demokratisierung der Meinungen im Internet ein schwieriges Vorhaben. Denn der Kunde wird mit der neuen Macht zunehmend zum Schreckensherrscher. Und zum Gespenst. Im Restaurant verlangte man vor Yelp subito beim Kellner eine neue Suppe. Heiss und ohne Haar. Niemand ausser den direkt Beteiligten erfuhr vom Disput und die Sache war in Kürze erledigt.

Nun setzt es nachträglich die digitale Ohrfeige, für alle sichtbar und auf ewig gespeichert. Und ohne Möglichkeit für die Betroffenen, sich zu wehren. Manche der Rezensionen sind so unglaubwürdig, dass man vermuten könnte, die Privatkritiker hätten bei ihrer Story nachgebessert.

Unvorstellbar, solch ein Problem direkt in Restaurant zu klären!

«Sie sprechen italienisch und ich spreche italienisch, aber italiano, das können sie nicht,» mokiert sich ein Gast über das Traditionsrestaurant Chez Donati, nachdem die dortigen Kellner seine Handzeichen offenbar nicht verstanden haben. Er erhielt fälschlicherweise sechs Spargelportionen statt deren zwei, angeblich für 500 Dollar. Irgendwas muss da gehörig schief gelaufen sein. Und sei es in der Wahrnehmung des Kunden.

Adam aus Düsseldorf rät hingegen dingend davon ab, im Braunen Mutz den Hackbraten zu bestellen. Es mag daran liegen, dass er darunter «frittierten Fisch» versteht. Dass im «Mutz» gerade die Speisen mit kryptischen Namen wie «falscher Hase» oder «strammer Max» Nachfragen sinnvoll erscheinen liesse, ist dem Robin Hood entgangen. Gleichzeitig bemängelt der eifrige Kritiker, dass die Kartoffeln einfach nicht kreativ genug zubereitet seien. Kreativ oder unkreativ, das Mass muss exakt stimmen, sonst gibt’s eine Schelte.

«Плохое обслуживание»: «Schlechter Service!»

Ging es zu Beginn vor allem um Restaurants und Hotels, wurde das Feld inzwischen auf jedes öffentlich zugängliche Angebot ausgeweitet. Nichts ist sicher vor den grämigen Kritikern aus aller Welt.

Nicht einmal das Basler Münster kommt ohne Federn zu lassen an den Hobbyrezensenten auf Google vorbei: Auf TripAdvisor erklingt die Beschwerde, dass das Münster einfach nicht genug geheizt sei. «Viel Geschichte, nichts besonderes», heisst es anderswo. Na dann.

Nicht weniger als achtzig Leute haben derweil die Migros am Claraplatz mit ihrer Bewertung versehen. Natürlich sind auch darunter nicht alle wohlwollend. «Kurzhaariger kleiner pummuckel und grosser 2meterpeter mit unterarmtattoo die kunden auslachen und mitarbeiter mobben bei der pizzaabteilung.» So nicht, liebe Migros, ein Stern. Jemandem hat der Burger nicht geschmeckt, was natürlich nicht unkommentiert bleiben kann. Oder die Preise sind zu hoch: «ich würde die preise billiger machen», heisst es da. Die Kundschaft im Internet: alles Topmanagern.

An wen richtet sich das eigentlich?

Nicht immer ist klar, an wen sich das alles richten soll. Es wird munter kommentiert, ohne Rücksicht auf das möglicherweise konstruktive Potential der Kritik.

Falls es ein solches überhaupt gibt: Auch der Roche-Turm als nicht öffentliches Geschäftsgebäude muss den Kopf hinhalten. Trotz vieler guter Bewertungen können einige ihren Groll nicht verstecken und lassen kein gutes Haar am Bau. Man bemerkt scharfsinnig – wie auch beim Badischen Bahnhof («Bahnhof bleibt Bahnhof», zwei Sterne) – dass es sich um ein Gebäude handelt: «Ein Tower ist ein Tower.» Fazit: ein Punkt. «Einfach schaurig», «verursacht bloss Augenschmerzen», «langweilig», «halber Weihnachtsbaum» wird nachgedoppelt. Diese Geschmacksurteile kann sich jeder selbst bilden, der Turm ist von weitem sichtbar. Ob er nun sehenswert ist oder nicht, muss man nicht im Internet nachlesen oder niederschreiben. Ausser man findet seine Meinung so dringend wichtig, dass sie unmöglich der Welt vorenthalten werden kann. Es könnte ja jemand den Bau gar noch für gut befinden.

Zum Schützenmattpark heisst es: «Eigentlich kein wirkliches Park». Üble Gestalten tummeln sich dort und dreckig sei es auch. Los, einen Stern setzen! Wer nun damit angesprochen werden soll, ist nicht klar. Sollen die Ordnungshüter aufgrund des Kommentars umgehend ausrücken? Ist die Stadtreinigung gefragt? An wen die Nachrichten gehen sollen, wird oft nicht genannt und potentielle Adressaten durchforsten kaum die Onlineportale nach neuen Aufgaben. Es bleibt beim simplen, wutbürgerischen Hüftschuss in die Leere.

«Schlechteste Bar im Land, ein zweilichtiger Sexshop mit mafiösem Chef. Grauenhaft!»

Social Media-Manager: Immer eine Nasenlänge zu spät

Eine Nutzerin besucht spontan die Kunsthalle, meist mit vier oder fünf Sternen bewertet, und findet, zu ihrem Unmut und Erstaunen, Konzeptkunst vor. «ein Raum voller 30x30 Bilder mit Fischen, dann irgendwas, was so lala war, dass ich es schon wieder vergessen habe,» tippt Unbekannt munter gleich an Ort und Stelle in das Handy. Wenig später geht sie ins Museum für Gegenwartskunst, und wird wieder enttäuscht. Und muss auch dies unbedingt mitteilen. «Über Geschmack lässt sich streiten,» über ihren eigenen allerdings nicht. In der Hoffnung, den Schaden zu minimieren, meldet sich die Pressestelle und bietet zu den bösen Kommentaren subito persönliche Gratisführungen an. An ihnen bleibt es hängen: Die Social Media Manager und die Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit müssen sich um die gehässigen Besucher kümmern und notfalls Abbitte leisten.

Die Kamikazekrieger haben nichts zu befürchten: Die Nutzer werden selbst nicht bewertet und erwarten auch keine Widerrede auf ihre Kommentare. Falls doch, wird dies ignoriert. Der Stern bleibt, patsch. Der Nutzer ist am längeren Hebel.

Händeringend müssen die Angeklagten gegenüber den fiesen Hotelbewertungen um Kontaktaufnahme bitten und Wiedergutmachung in Aussicht stellen. Die Rezensionen auf den Portalen sind vielleicht nicht für ein Nobel-Hotel bedrohlich, ein kleines Restaurant im mittleren Ratingsegment muss sich gegen viele ähnliche Angebote durchsetzen und ist von den strengen Urteilen durchaus betroffen. Pepsi statt Cola in der Minibar? Retourkutsche! 

Es ist sinnvoll und wünschenswert, dass vor dem Besuch einer Stadt bereits eine vollständige Liste beliebter Sehenswürdigkeiten vorliegt. Aber wehe, eine davon ziert sich nicht nach dem Gusto des Globetrottels! Die Durchschnittswertung, auf die alles hinausläuft, ist damit auch ein fragwürdiger Qualitätsmassstab. Man müsste die Bewerter ebenso bewerten können. Das Chaos wäre perfekt. Und die Welt vielleicht wieder ein Stück freundlicher.

Der Chef muss persönlich richtigstellen. Ob es zur Einigung kommt, erfährt man nicht mehr.

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