• Nathan Leuenberger
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Blinde in Basel: Durch die Stadt navigieren, wie Arche Noah in der Nacht

...doch die Leuchttürme sind dünn gesät. Mit einem weissen Stock ausgerüstet, navigieren Sehbehinderte und Blinde durch die Basler Innenstadt. Für Sehende ist es selbstverständlich, dass sie sich orientieren können, Hindernisse erkennen, wissen welches Tram einfährt oder auf der elektronischen Tafel sehen, weshalb nicht. Für sehbehinderte oder blinde Personen sind diese alltäglichen, selbstverständlichen Dinge nichts als ein anstrengender Hürdenlauf.

«Entschuldigung, isch das dr Achter?» fragt der Herr mit dem weissen Stock in der Hand. Er ist blind. Die Beschriftung des Trams bringt ihm nichts. Der Alltag mit einer Sehbehinderung unterscheidet sich massiv von dem der Sehenden. Während wir auf unsere Augen zählen können, müssen sich Sehbehinderte auf ihre restlichen Sinne verlassen und sind zudem auf die Mithilfe der Mitmenschen angewiesen. «Die Displays und Stelen an den Tramhaltestellen bringen den Blinden nichts. Im Baselbiet gibt es mittlerweile aber zunehmend vereinzelte Stelen mit akustischem Informationsknopf», sagt Marcel Studer von der Sehbehindertenhilfe Basel. Studer ist Rehabilitationsfachmann für Orientierung und Mobilität und begleitet Menschen mit einer Sehbehinderung im Alltag.

Gerade die Benutzung von Tram und Bus ist für blinde Menschen schwierig: «Zum Beispiel beim Umsteigen muss ich schon vorher genau überlegen, wo und auf welcher Linie ich den Auszubildenden umsteigen lasse», erklärt Studer. Dabei leisten Sehbehinderte Denksport auf höchstem Niveau. Jeder Schritt, jedes Umsteigen und jede Abzweigung muss im Gedächtnis eingeprägt sein. «Mit einer frisch erblindeten Person treffe ich mich etwa zwei Mal wöchentlich für zwei bis drei Stunden. Mehr geht oft wegen der Anstrengung nicht.» In dieser Zeit trainieren die beiden Wege zu verschiedenen Zielen. «Es kommt immer darauf an was die Person lernen will. Vielleicht den Weg zur Arbeit, zur Freundin, in den Supermarkt oder ins Fitnessstudio. Und jeder Weg muss doppelt sitzen: Hin und zurück, das darf man nicht vergessen», erklärt Marcel Studer.

Die Stadt versucht in zwei Punkten Hilfe anzubieten: Spürbare Orienterungsleitlinien, wie sie etwa am Bahnhof oder auf durchgezogenen Trottoirs (z.B. Güterstrasse) vorhanden sind. Doch diese sind oft wegen kürzlich erfolgten Belagskorrekturen unterbrochen, oder gar gefährlich. Andere Wegmarken müssen als Ortsmerkmale dienen: «Pfosten können zum Beispiel eine gute taktile Orientierungshilfe sein oder auch Belagsveränderungen und Trottoirabsenkungen.» Inzwischen sind neuere Ampelsignale oft mit einem zusätzlichen - für Sehende verborgenen - Knopf an der unteren Seite der Kästen bestückt. Diese vibrieren während der Grünphase.

Glücklicherweise sei nur ein kleiner Teil der Betroffenen in Basel vollständig erblindet, erklärt Marcel Studer. Die meisten hätten noch ein Gespür für hell oder dunkel, oder einen kleinen Rest an Sehvermögen, was bei der Orientierung nützlich ist. Dennoch erfordern alltägliche Wege von den blinden und stark Sehschwachen Menschen immer eine grosse Anstrengung, meist ist die Unterstützung von Sehenden dabei unumgänglich.

Werden Sie also aus dem Nichts an der Haltestelle gefragt, welches Tram denn gerade einfährt, seien Sie so nett, helfen sie unkompliziert und schnell. Sollte es sich um eine der unsäglichen Mehrfachhaltestellen handeln, ist die Information, welches der bis zu drei Trams denn jetzt der Achter ist bekanntlich auch für Fahrgäste mit vollem Augenlicht eine Herausforderung und Rennerei. Solche Haltestellen machen das Leben der Sehbehinderten unnötig schwer, wie Marcel Studer meint: «Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es deren Aufhebung. Denn Sehbehinderte müssen irgendwie die Mitte finden, dort abwarten und wissen dann aber ohne spontane Unterstützung von Passanten immer noch nicht, ob ein Tram das Ihre ist und nun vorne oder hinten anhält.»

Und dann wäre da noch der Bahnhofplatz. Doch diese verkehrstechnische und städtebauliche Schandtat von sogenannten Verkehrsspezialisten sprengt nicht nur diesen Bericht, sondern jeden menschlichen Verstand.

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