• Christian Platz
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Die goldene Zeit der Basler Quartierkinos, bevor das Heimkino sie alle verdrängte

Sie zeigten keineswegs die künstlerisch hochwertigsten Filme. Unterhaltung war ihr Geschäft: Drama, Sex und Gewalt. Video hiess das Verhängnis, an dem die Basler Quartierkinos verendet sind. 

Ende der 1920er Jahre ist das Lichtspiel in die Quartiere gekommen, in einer Zeit also, als das Radio in den Haushalten das einzige elektronische Unterhaltungsmedium war. Schon damals wurden die wohlfeilen, neuen Filmproduktionen mit den berühmten Schauspielern in den grossen innerstädtischen Kinos gezeigt.

Den Vorstadtkinos blieben die Re-editionen, also die Wiederholungen von Filmen, und die B-Produktionen, die auf Action, nackte Haut und Sensationen aller Art setzten. Entsprechend knallig waren die Titel und Plakatmotive der Streifen, die dann oft nicht hielten, was die Werbung versprach. Was in den 1930er Jahren manchmal zu regelrechten Publikumsaufständen führte, wobei die empörten Zuschauerinnen und Zuschauer von der Polizei beschwichtigt werden mussten. 

Stattliche Häuser

1927 wurden die ersten beiden grossen Basler Vorstadtkinos eröffnet, das «Morgarten» an der Allschwilerstrasse 119 und das «Tell» an der Bruderholzstrasse 39. Beide waren stattliche Häuser, das «Morgarten» verfügte über 645 Plätze, das Tell über 556. Ein Jahr später öffnete das «Forum» an der Ecke Schanzenstrasse/St. Johanns-Vorstadt seine Tore, das über 600 Besucher fasste – und 1931 ging das «Corso» an der Missionsstrasse auf, ebenfalls ein grosses Haus.

Doppelprogramme

Oft zeigten diese Häuser Doppelprogramme, zwei Filme für einen Eintrittspreis, der in der Innerstadt nicht einmal für einen Streifen gereicht hätte. Sie zogen die Quartierjugend und die Arbeiterschaft in ihren Bann. Oft war der erste Film eine romantische Komödie, in der die Hauptdarstellerin kurz unter der Dusche oder im Bad zu sehen war.

Nackte Haut, aber eher wenig

Man sah dabei natürlich nur sehr wenig Haut, die Zensur war damals sehr streng. Doch alleine der Gedanke, dass sich – unter dem Badeschaum und den entblössten Schultern – ein nackter Frauenkörper befand, brachte das Blut der Männer, jung und alt, in Wallung. Darauf folgte dann meistens ein Abenteuerstreifen, ein Kriegsfilm oder ein Western.

Junge Liebespaare stellten eine weitere Stammkundschaft dieser Häuser dar, wer weiss, wie viel sie im abgedunkelten Vorführraum von den Filmen mitbekamen...

Billige Euro-Produktionen

Als dann die Fernsehgeräte in den Haushalten Einzug hielten, veränderte sich die Programme der Quartierkinos. Europäische und US-amerikanische Filmproduktionen, die am Meter für wenig Geld abgedreht wurden, bildeten die Programme der Häuser. Diese Filme trieften nur so von grosszügigen Sex- und Gewaltdarstellungen, die damals am TV keinesfalls hätten ausgestrahlt werden können.

Ganze Serien über Frauengefängnisse, ewige Fortsetzungsreihen der «Emmanuelle»-Soft-Sex-Filme, sadistische Italo-Western, die Folter, Hinrichtungen, sexuelle Nötigungen am Laufmeter in Szene setzten, Zombies, Kannibalen und grausame Söldner waren in den Abendprogrammen zu sehen. Die dunkle Seite des Kinos gewissermassen. Einige dieser Filme und deren Regisseure, etwa Russ Meyer, Jess Franco, Lucio Fulci, Sergio Corbucci, geniessen heute Kultstatus, dies durchaus zu Recht, weil sie eigentlich verkannte Genies waren.

Während an den Nachmittagen, in den gleichen Häusern, oft Wiederholungen der Winnetou-Filme oder der alten Sindbad der Seefahrer-Streifen für Kinder geboten wurden.

«Schulmädchenreport»

Das «Morgarten» und das «Corso» wurden dann in den frühen 1970er Jahren zu reinen Sex-Kinos, während das «Forum» mehr auf harte Gewalt setzte. In den Sex-Kinos liefen damals allerdings noch keine expliziten Porno-Filme, die waren nämlich noch verboten, sondern Streifen wie «Schulmädchenreport», «Die Geschichte der Johanna» oder «Sündige Nonnen hinter Klostermauern». In diesen Filmen waren kurze Nacktszenen zu sehen, doch keine wirklich pornografischen Inhalte.

Für heutige Verhältnisse waren die Streifen erstaunlich harmlos, trotz der reisserischen Titel, und sie besitzen einen eigenen Charme, der durchaus nostalgische Gefühle auslösen kann.

Frühpubertäres Gelächter

Uns Buben der frühen 1970er Jahre wurde es von Eltern und Lehrpersonen streng verboten, sich die Bilder in den Aushängen des «Morgarten» oder des «Corso» anzusehen, was natürlich zur Folge hatte, dass wir uns auf dem Schulweg die Nasen an ebendiesen Schaufenstern plattdrückten – unter frühpubertärem Gelächter und Gejohle.

Porno, ab 18

Mitte der 1970er Jahre wurde in der Schweiz dann die Pornografie legalisiert. Der Stempel «Ab 18 Jahren» ward geboren. Das «Morgarten» und das «Corso» stellten dann sehr schnell auf das neue Genre um, während das «Forum» der Actionsparte treu blieb, ohne Erfolg, das Kino wurde 1979 geschlossen.

Dann kam Video

Doch dann kam Video. Ab Mitte der 1980er Jahre konnten sich die Leute ihre Filme – und erst recht Pornos – plötzlich nachhause holen, dieser Umstand läutete den Tod des Re-editions-Kinos und das langsame Sterben der Sex-Kinos ein. Das Morgarten schloss seine Tore im Jahr 1991 endgültig, nachdem die Betreiber versucht hatten, das Haus wieder als normales Kino zu etablieren. Das «Corso» überlebte sogar bis 2011. Inzwischen sind ja auch die Videotheken beinahe ausgestorben, verdrängt vom Internet.

Diese eigenartige, kitzlig-schäbige Stimmung, die einst in den Vorstadtkinos herrschte, gehört nun endgültig in die Traumzone der Nostalgie.

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