Warum Menschen für ein simples Eis anstehen, war mir schon immer ein Rätsel. Aber ich gebe mich auch mit einer Raketen-Glacé zufrieden und kann gut leben ohne neumodisches Himbeer-Minze-Eis oder Whisky-Schafsmilch-Thymian. Doch das Rennen um das Eis des Jahres gewinnt, wer vor dem Tresen die längste Schlange hat. Das Publikum hat beschlossen, es ist das Eiscafé Acero in der Rheingasse. Dort stehen sich die Eis-Aficionados die Füsse für einen Becher ihres kalten Leibgerichts in den Bauch, als gäbe es in der ganzen Stadt nur diese eine Möglichkeit.
Eine Schlange bis zum Horizont
Dass es im Acero auch warme Gerichte gibt, ist nebensächlich, die Leute kommen wegen den gefrorenen Früchten. Abends nach Feierabend und vor allem am Wochenende stehen sie an, manchmal von der ersten Minute ab Öffnung bis zum Schluss. Die längste Schlange ging von der Theke über die Rheingasse, durch die Unterführung bis an den Rhein, wie man mir erzählt.
Eis, Eis, Baby?
Das war nicht immer so. Das Acero gibt es zwar bereits seit 2011, doch seit vorletzten Sommer ist die Nachfrage steil angestiegen. Nicht einmal die Buvetten konnten dem Acero die Kunden streitig machen. Einerseits ist dies auf die Aufwertung der Rheingasse zurückzuführen und auch darauf, dass das Interesse am Rheinschwimmen plötzlich zugenommen hat, wie Flurina vom Café sagt. Sie ist eine der acht ständigen Mitarbeiter im Team. Sie nennen es «Kollektiv», denn von starren Hierarchien halten sie nicht viel. Ihre Produktionsstätte trägt den Namen «Labor», als wäre das Eis ein Heilmittel. In dieser Hitze ist das vielleicht gar nicht zu weit gegriffen.
Im Labor
Das beliebte Eis wird gleich um die Ecke hergestellt. In der Küche des Grenzwerts ist der dortige Koch Ömer zweimal pro Woche damit beschäftigt, den Nachschub sicherzustellen. Er befüllt die Eismaschine nach dem Rezeptbuch des Acero und acht Minuten später schabt er fertige Glacé es aus dem Ausguss. «Die Vorbereitungen dauern länger als der eigentliche Gefriervorgang.» Sechs bis sieben Liter Milcheis, zwanzig Liter vegane Glacé und dreissig Liter Sorbet braucht es jeweils. In der kleinen Küche ist es noch stickiger als draussen, bei fast 35 Grad. Ich möchte mich in die Eismaschine legen.
Was ist nun dran an dem Wahn?
An ausgezeichneten Eisbuden mangelt es Basel wahrlich nicht, warum also sind die Leute gerade beim Acero so geduldig? Die Antwort, die immer wieder genannt wird: Das Angebot wechselt so oft wie nirgends sonst. «Jedes Mal gibt es andere Sorten, da lohnt es sich, ein wenig zu warten,» sagt eine Kundin. Ihre Freundin wirft ein: «Und man kann ja alles neu kombinieren, dann ist die Auswahl noch grösser,» und sie fügt hinzu: «dann kann man in den Rhein springen und zu einer Buvette schwimmen, eine super Kombi.»
Test im Hinterhof
Die schmucklose Theke an der Strasse verbirgt aber noch ein anderes Geheimnis: Wem der Sinn nicht nach schwimmen steht, auf den wartet der kleine Hinterhof mit den Tischen und einem Goldfischbrunnen. Eine wahre Oase. Den Test um die Aufregung mache ich dann gleich dort. Ja, das Eis (in diesem Fall die fast schon mutlos-klassische Kombination Fior di Latte/Cassis) ist verdammt gut.