Bild: Keystone
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  • Jonas Egli
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Drämmli, Drämmli, ab dir närv mi nämmli

Während wir im Sommer auf unseren Fahrrädern mit lauem Wind in den Haaren durch die Stadt rasen, ja fliegen!, sind wir im Winter auf die rädrigen Sardinenbüchsen der BVB angewiesen. Höchste Zeit, das Unmutsgefährt einmal in die Pfanne zu hauen! Eine Reise im Drämmli, das ist inzwischen morgens, abends und auch dazwischen eine Zerreissprobe. Zeit den Verantwortlichen - und die sitzen beim Staatsbetrieb nicht in den Führerkabinen - einmal deutlich zu machen, dass die traditionelle mittlere Unzufriedenheit inzwischen kurz vor dem Kippen in blanken Volkszorn steht. 

Engpass mit System

Auf den Basler Strassen ist alles eng: Zusammen mit dem Irrgarten namens Verkehrsführung trägt das schleichende, vor Schmerz quietschende Drämmli seinen Teil dazu bei, dass sich die Stadt im kontinuierlichen Zustand des Nahezu-Verkehrskollaps befindet. Auf dem beschwerlichen, unendlich langen Weg zwischen Schifflände und Bankverein fragt sich manch ein Reisender, mit welchen Sünden er diese Strafe wohl verdient habe. Welchen Gott muss man anbeten, um Gnade zu erfahren? Hermes hat wohl längst aufgegeben. Das Tram zerrt sich, unablässig panisch bimmelnd seine stählerne Beschwerlichkeit durch die gewundenen Strassen und muss alle paar Meter mit mehreren anderen eine weitere, traurige Haltestelle bedienen. Auf den wenigen hundert Metern wirkt der Ferienstau vor dem Gotthard wie ein lockeres Vergnügen. Der ewige Quietschton der Schienen sind ein akustisches Mahnmal ihrer strategisch bedingten Unzulänglichkeit.

Parkplätze? Wir brauchen mehr Strassen!

Alle wollen verständlicherweise Parkplätze, aber die Verkehrswege scheinen ganz grundsätzlich nie aus dem Zeitalter der Postkutschen herausgewachsen zu sein. Zudem ist die Fahrt durch die örtlichen Quartierstrassen zu gewissen Zeiten einem sich tektonisch langsam verschiebenden Dauerparkplatz nicht unähnlich. Basel hat sich für einen Stadtverkehr im Flaschenhalsmodus entschieden, indem sich Velostreifen, Parkplatzwunsch und Tramschienen mit Verkehrsberuhigungsmassnahmen und herumirrenden Fussgängern zum Fleischwolf vereinen.

Dieses Bild ist eine Illusion, hervorgerufen durch müde Augen. Bild: barfi.ch

Lebend kommt niemand raus

Die spinnennetzartigen Verzweigungen der Schienen auf dem Claraplatz sind nicht nur eine Todesfalle für Velofahrer und unachtsame Fussgänger, die wirren Wege und Weichen sind permanent auf «stockend» gestellt. Nimmt einer stattdessen den Bus, den 30er vielleicht, so kann er bei der ruckeligen Einfahrt auf dem Centralbahnplatz zwischen zwei Drämmli eingeklemmt durch die verschlossenen Türen beobachten, wie sich das Umsteigetram ächzend in letzter Sekunde aus dem Staub macht. Die Anzeige danach ist meist —mindestens— zweistellig oder zeigt «Stau» an. Die folglich ebenso gestaute Wut entweicht jenen, die umsonst gehetzt sind und bis zum letzten Moment gehofft haben, mit einem noch am Aeschenplatz hörbaren Schnauben. Und an diesen wollen wir jetzt gar nicht erst denken. Eine Unendlichkeit später kommen dann gleich mehrere Drämmli mit der richtigen Nummer aufs Mal angerollt. Wer vom Zug auf sein Drämmli der Wahl hetzen muss, wird von links und rechts zusammengebimmelt und muss um sein Leben fürchten. Und wer es geschafft hat, ist noch längst nicht auf der sicheren Seite:

Rein in die gute Stube

Nicht nur auf der Strasse, auch in den Drämmlis selbst ist oft kein Durchkommen. Zwischen mehrstöckigen Kinderwagen und mit fremden Bommelmützen-Bommeln im Gesicht kann man in die Handys starren, um auf keinen Fall mit der unumstösslichen Realität konfrontiert werden zu müssen: Es ist Stosszeit, und es ist eng. Die Bewegungen im Gefährt gleichen dem Watscheln einer ungelenken Herde Pinguine und regelmässig hustet jemand die gesamte Probensammlung des Tropeninstituts in den Innenraum. Längst sind es keine Zustände wie in wirklich vollen Städten; wir brauchen noch keine professionellen Drücker im Tram und auch wenn wir lange Minuten warten müssen, unser Tram kommt. Dennoch darf man sich furchtbar aufregen, weil hin und wieder muss man etwas Dampf ablassen. Zu Jahresbeginn gleich mal reinen Tisch machen. Psychologen mahnen uns ständig, dass unterdrückte Gefühle schlecht seien und Hippokrates’ Säftelehre empfiehlt, dass man die böse Galle sofort abschröpfen soll. Eben das tun wir hier gemeinsam, lieber Morgenpendler, in der Hierarchie der Gesellschaft ganz unten angekommener Sündiger. Dem Gewühl der Pendlerströme ist mindestens etwas Gutes abzugewinnen: Im kollektiven Gedränge sind wir alle gleich, und alle gleich verdächtig. Wir sind alle immer Verbrecher, Richter und Henker gleichzeitig.

Tetris für Fortgeschrittene: Kinderwagen im Drämmli. Bild: Keystone

Wir haben die armen Mitreisenden gefragt: Was stört sie am Drämmli zu dieser unwirtlichen Zeit?

Und siehe, ich bin nicht alleine: «Es gibt zu viele Haltestellen in der Innenstadt!» meint eine Dame mittleren Alters. Während sie spricht, schüttelt sie die Faust gegen den das Drämmlidach. Und boxt fast den daneben stehenden Mann um. Dieser schaut nicht mal vom Handy auf.

Ein junger Student findet es erstaunlich, wie «die Leute sich auf die freien Sitze stürzen wie Raubtiere!» Tatsächlich, steht jemand auf, um auszusteigen, entwickelt sich zwischen den Stehenden sofort ein Blickgefecht und es folgen ruckartige Andeutungen zu waghalsigen Hechtsprüngen. Mit Shoppingtüten behangene Raubtiere sind wir, kultiviert-animalistisch. Der Grabenkampf um die Sitzgelegenheiten erfordert einiges an Taktik und Todesmut. Man muss mehrere Stationen vorausplanen, dass man zur rechten Zeit in günstiger Position zu einem frei werdenden Sitz steht. Kaum setzt man sich aber hin, muss man bereits den Ausstieg wieder vorkalkulieren, denn die Tür ist nun arg weit weg und dazwischen lauert ein Meer von dicken, gesichtslosen Jacken, welches selbst Moses nicht zu teilen vermocht hätte. «Immerhin, alten Leuten wird noch der Sitzplatz angeboten,» gibt er zu verstehen. Da stimmen einige zu. Trotz dem jeder-gegen-jeden-Gemetzel ist das edle Sitzplatz-anbieten erhalten geblieben. Die junge Begleitung des Studenten fügt allerdings hinzu, dass es nervig sei, wie «die ersten schon einsteigen, wenn die letzten noch nicht mal draussen sind.» Das mache alles komplizierter, mit aufstehen, hinsetzten, ein- und aussteigen gleichzeitig. Alternativ würde sich der klassische, Weyermann’sche Ansatz des «Gring ache u seckle» anbieten, aber wir wollen hier ja für Menschlichkeit plädieren und dem Nahverkehrsquerulantentum nicht weiter Vorschub leiten.

Schön ist es ja, aber es hilft auch wenig, dass die BVB gefühlt alle paar Wochen die neuesten Modelle anschaffen. Mit dem Geld hätte man wohl gleich einen U-Bahntunnel bauen können oder eine menschliche Rohrpostanlage wie in der Comicsendung Futurama installieren. Das Gefühl wär dasselbe, aber es wär schneller vorbei.

Nicht alles ist schlecht. Es war nämlich schon schlimmer.

Gewiss, einige technische Lebensverbesserungen hielten damit Einzug. Früher, als die Klotz-Heizung unter dem Sitz die Schuhsohlen zu schmelzen drohte, während gleichzeitig an der Nase die Eisblumen wuchsen. Oder wer erinnert sich an die alten Holzstühle, wo immer eine Schraube aus der Fläche herausragte und das alljährliche Fudibagge-Lifting gratis erledigte? Als der Einstieg ins Tram selbst für Reinhold Messmer noch eine Herausforderung an Steilheit und Unwegsamkeit war? Mit den Türen, die beim Öffnen ein schepperndes Geräusch von sich gaben, als wollte das Trämmli die Wartenden fressen. Auch eher neu: Der blaue Schimmer der Handybeleuchtung in allen Gesichtern. Das monieren viele. «Alle kleben an einem Bildschirm und sind ständig im Weg, das nervt mich,» erzählt eine alte Frau mit ihrem winzigen Hund, der im Wald aus Menschenbeinen vor Angst zittert. Eine Gruppe von Jungs, alle mit Smartphone fuchtelnd, stellen die Gegenfrage: «Was sollen wir denn sonst tun? Da läuft wenigstens etwas.» Unrecht haben sie nicht: Was sie gerade verpassen würden, ist schwer zu sagen. Aber die Frau ist damit nicht alleine, ein Herr im Trenchcoat pflichtet ihr bei, dass «alle ständig woanders seien.» Er könne es ja verstehen, man muss chatten und informiert sein, aber es wirke halt so abgelöscht. 

Die Entdeckung der Langsamkeit?

Aber kaum einer meiner Mitfahrer findet das Drämmlifahren so unerträglich wie ich. Die meisten haben Verständnis, man weiss, dass alle irgendwie dieselben Sorgen und Nöte teilen. Auf dem Heimweg treffe ich eine Freundin, die zugibt, dass sie schon fast hofft, sie möge den Anschluss verpassen und alle Lichtsignale würden auf rot stehen und rot bleiben. Sie findet es gut, dass Basel nicht ein Hochgeschwindigkeits-ÖV Netz besitzt, will keine Menschenrohrpost wie ich. Vielleicht gibt uns das ja die Zeit, die wir brauchen, um auf dem Perronbänkli eine halbe Stunde zu meditieren. Auch das soll ja gut sein, wie Jon Kabat-Zinn, der neumodische Guru der angelblich verlorenen inneren Ruhe, zu erwähnen nicht müde wird. In den Zug Richtung Zürihabee sollte man jedenfalls nicht unvorbereitet einsteigen.

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