Die Unfälle mit Fussgängern auf Basels Fussgängerstreifen häufen sich laut Statistik. Um dagegen vorzugehen, wurde letzte Woche ein Anzug an den Regierungsrat überwiesen, der dagegen vorgehen soll. Schon vor deren Beantwortung ist klar, die Idee schafft nur noch mehr Unsicherheit.
Die Entdeckung der Dezentralperspektive
Die Entdeckung der Zentralperspektive Anfang des 15. Jahrhunderts durch Filippo Brunelleschi zeigte vor allem eins: Die gemalte Räumlichkeit ist nichts weniger als eine gewaltige Abstraktion von der Wirklichkeit. Sie funktioniert auf dem Papier nur, weil dessen Blickwinkel fest vorgegeben ist. Die Faszination mit der perfekten Illusion trieb immer wieder Früchte in der Kunst, ist nicht zuletzt der Hyperrealismus daraus hervorgegangen. Der Anzug von Michelle Lachenmeier will nun das zentralperspektivische Trompe-l’oeuil an den denkbar ungünstigsten Ort bringen: Die Strasse.
Strassenmarkierungen der Perspektive der Fahrbahnbenutzer anzupassen, ist keine neue Idee. Bereits heute sind die Beschriftungen wie «STOPP» oder die aufgemalten Hinweise in Quartierstrassen und vor Schulen optisch so verzerrt, dass sie aus der Sicht des Autos korrekt erscheinen. Der Anzug von Lachenmeier geht aber weit darüber hinaus. Ein Fussgängerstreifen ist nicht ein einzelnes Symbol in Fahrbahnmitte, sondern eine Markierung, welche die ganze Strasse quer überstreckt. Das Problem: Die Täuschung funktioniert nur von einem Standpunkt aus. Bereits zwei gegenläufige Fahrbahnen bringen die Illusion arg ins Wanken.
Basel ist nicht Ísafjörður
In Dunedin, Neuseeland, hat eine Künstlerin genau dies versucht. Alleine das Video zeigt schon: Die Sache funktioniert eigentlich nur aus einem Blickwinkel. Müssen zwei gegenläufige Spuren überquert werden, wird der Effekt chaotisch. Vom Fussgängerstreifen bleibt nur noch ein Gewirr. Der an den Regierungsrat weitergeleitete Anzug spricht davon, dass die dreidimensionalen Fussgängerstreifen bereits im isländischen Ísafjörður und in Madrid erfolgreich zur Anwendung kämen. Bloss, Basel ist kein Fischerdorf im Nordmeer und in Madrid sind es keineswegs dreidimesionale Fussgängerstreifen, sondern kunstvoll vom bulgarischen Künstler Christo Guelov verzierte, aber gewöhnlich zweidimensionale Streifen. Die farbenfrohen Kunstwerke versuchen nicht, die Verkehrsteilnehmer zu veräppeln, sondern mit Farbe Aufmerksamkeit zu erregen.
Zudem bleibt die Frage, wie sich die Stadt deren Umsetzung vorstellen soll. Gewöhnliche Fussgängerstreifen und alle anderen Markierungen zeichnen sich durch schlichte Linienführungen aus, die mit Schablonen leicht und schnell anzubringen sind. Ob die dreidimensionalen Kunstwerke, bestehend aus vier Farben und ebenso vielen Formen, statt einer einzigen, so «günstig und einfach umzusetzen wären», wie der Anzug es vermutet, bleibt fraglich. Das Tiefbauamt, welches diese Massnahmen umsetzen müsste, konnte dazu noch keine Stellung nehmen.
Rechtlicher Graubereich
Rechtlich befinden sich die futuristischen Streifen ebenfalls in einem Graubereich. Eine schriftliche Anfrage vor bald zwei Jahren bezüglich einer weit geringeren Sache erhielt eine klare Antwort: Die Ausgestaltung der Verkehrssignale sei schweizweit in der eidgenössischen Signalisationsverordnung geregelt. Diese sei abschliessend geregelt und lasse deswegen Eingriffe nicht zu. Es ging damals um Hinweise über Parkkarten. Die Strassenmarkierungen sind so geregelt: «Bauliche Elemente, die Markierungen ähnlich sind, mit ihnen verwechselt werden[…] können, sind unzulässig.» Markierungen, die baulichen Elementen ähneln, dürften ebenfalls an diesem Grundsatz gemessen werden.
Ein weiteres Argument ist, dass diese Streifen von der schweizweit einheitlichen Markierung markant abweichen. Eine kantonale Regelung wäre nicht nur aussgergewöhnlich, sondern könnte bei den Automobilisten Verwirrung hervorrufen, wenn in Basel die gewohnten Markierungen plötzlich anders aussehen. Natürlich das gerade die Kernidee, dass die Markierungen aufallen, doch diese Taktik ist mehr als fragwürdig. Der wiederholte Schock wird sich legen, die Autolenker werden sich daran gewöhnen und sie bald ignorieren. Und damit vielleicht auch andere Gefahren, die keine Täuschung sind, sondern echt.
Nein zur Täuschung, ja zur Kunst
Statt die Fussgängerstreifen dreidimensional zu malen, könnte man sie doch auch gleich dreidimensional machen. Fussgängerstreifen als Geschwindigkeitsschwellen. Damit wäre das flächendeckende Tempo 30 im Nu eingeführt und die Fussgänger müssten ebenfalls Acht geben, bevor sie unverhofft auf die Strasse einqueren. Sollte das Madrider Modell Anklang finden, könnte man durchaus in einer Hommage an Jean Tinguely mechanische Fussgängerstreifen in Erwägung ziehen, was sich auch fabelhaft mit den bereits eingesetzten Pollern verbinden liesse. Das beste Szenario: Ein permanenter Pilotversuch als fotogenes Kunstwerk im Innenstadtbereich. Wenn es schon sonst niemand tut, dann würden wenigstens die Touristen die Markierungen beachten.
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