Die Basler Künstlerin Ilknur Bahadir ist auf der Suche – vielleicht nach Ihnen. ©zvg/www.eltern-gesucht.com
Die Basler Künstlerin Ilknur Bahadir ist auf der Suche – vielleicht nach Ihnen. ©zvg/www.eltern-gesucht.com
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Es ist ihr ernst: Diese Baslerin sucht neue Eltern – und Sie können sich jetzt bewerben

Einmal Eltern haben, Eltern, die sich kümmern, die Liebe geben, die Liebe bekommen – das will Ilknur Bahadir. Die 45-jährige Künstlerin sucht jetzt via Casting eben neue Eltern. Und thematisiert damit zugleich Tabus wie schwere Vernachlässigung im Elternhaus.

Sie meint es ernst. Die Baslerin Ilknur Bahadir will Eltern. Richtige Eltern, liebevolle Eltern. Eltern, deren Beziehung zu ihr auf Liebe und Zuneigung beruhen – und umgekehrt. Es ist ein Zuhause das sie sucht, ein Daheim, wo sie sein kann, wer sie ist, und wo sie die Zuneigung und das Verständnis empfangen kann, die sie in ihrem eigenen Elternhaus nie fand.

Geboren 1972 in Izmir in der Türkei und aufgewachsen in Deutschland, durchlief die Künstlerin das, was man als schwierige Jugend bezeichnet: Vernachlässigung durch die Eltern und mehr, sie spricht nicht gerne darüber, das ist Vergangenheit, abgeschlossen. So viel sagt sie: «Ich habe mich dann einfach immer weggeträumt.» Wir sitzen im Café beim Gespräch, die Sonne scheint, auf dem Tisch ein Latte Macchiato, Ilknur Bahadir ist sehr spontan. «Als ich dann endlich 18 Jahre alt war, konnte ich weg – ich erträumte mir, dass alles anders wird, alles schöner.» Sie suchte einen neuen Ort, der das ersetzen konnte, «denn ich weiss nicht, wie es ist, wenn man von seinen Eltern gefragt wird, wie es einem geht, wie es ist, solche Menschen zu haben, die als erste da sind, wenn es einem schlecht geht. Nein, ich weiss wirklich nicht, wie das ist.» Das möchte sie jetzt erfahren.

Denn Eltern sind auch nur Menschen

Schöne Bilder, harte Realität: Familie ist nicht gleich Familie. ©Guillaume de Germain

Damit spricht Ilknur Bahadir ein Tabu an, das sich tief in die Gesellschaft eingenistet hat: Die Vernachlässigung von Kindern, die nie erfahren haben, was eine liebevolle Familie sein kann. Egal, in welchem Haushalt, egal mit welchem Hintergrund. Denn die zwischenmenschliche Verwahrlosung geschieht auch in vordergründig gutschweizerischen, teils wohlhabenden Haushalten.

Das Projekt – ist es ein Projekt? Ist es ein Aufruf? Ein Anliegen? All das, aber es ist doch viel mehr: nämlich dieses ureigene zwischenmenschliche Bedürfnis nach Wärme –, das Projekt also läuft jetzt in die öffentliche Phase. Bahadir nimmt ab sofort Bewerbungen entgegen, die schliesslich am 5. November im Kunstmuseum Basel an der Casting-Show teilnehmen. Keine Sorge, das ist kein Schaustück, Bahadir ist es ernst. Obwohl sie das Mittel der Casting-Show als Kommentar zu einem zeitgenössisches Phänomen wählte: «Alles wird gecastet», sagt sie: Bachelors und Bachelorettes, Bauern, die Frauen suchen, Superstars und grösste Schweizer Talente. Warum also nicht Eltern? Warum also nicht diesen eiskalt kalkulierten Show-Mechanismus umkehren und dabei gleichzeitig ein Thema in die Öffentlicheit bringen, das so selbstverständlich eben doch nicht ist: Was sind Eltern?

Nichts juristisches, es geht einzig ums Zwischenmenschliche

Die Basler Künstlerin Ilknur Bahadir.

Die Frau weiss, was sie tut. Studiert hatte Bahadir Psychologie und Schauspiel, stand 18 Jahre lang auf den Bühnen des deutschen Staatstheaters. 1998 kam sie zum ersten Mal in die Schweiz, nach Basel, der Liebe wegen, und sie verliebte sich in die Stadt genau so wie in das Land. Als Bahadir später in Berlin wohnte, hielt sie es dort nur kurz aus; sie gab die Bühnenkarriere auf und zog 2015 wieder ans Rheinknie. Jetzt arbeitet sie im Kunstmuseum Basel und vertont Literatur in der Schweizer Blindenbücherei SBS in Zürich, um ihr Leben als bildende Künstlerin zu finanzieren.

Von den noch zu castenden Eltern erwartet sie nichts Juristisches. Keine Adoption, nichts, was vor dem Gesetzgeber geregelt werden müsste, es geht allein um die zwischenmenschliche Beziehung. Eltern um des Elternseins willen und nicht des Müssens, denen Kinder keine Last sind, sondern ein Teil des Lebens. Ja, es geht um das vollends Banale, das eben doch nicht banal ist: Liebe und Vertrauen. Was sie sich dabei so vorstellt? «Ach, nichts Kompliziertes. Die Schweiz zeigen, ja, und Kuchen backen auch, gegenseitig, und einfach mal fragen, wie es so geht…» Und dann bricht die Erzählung kurz, ihre Stimme gibt für einen Moment kurz nach: «…und stolz sein.» Da ist sie wieder, diese Sehnsucht nach etwas, das keinem Kind, keinem Erwachsenen vorenthalten sein darf: Achtung, Respekt und der Friede eines Zuhauses, das sicher nicht perfekt sein muss, aber warm und menschlich.

Spielerischer Umgang mit einem Tabu

Im hohen Alter kehrt sich das Verhältnis zu den Eltern oft, familiärer Zusammenhalt bleibt wichtig. ©unsplash/Cathal Mac An Bheatha

Auf dem Weg zu ihren neuen Eltern begleitet sie das Kunstmuseum Basel. Im Rahmen von Ateliers für Kinder wird in der Zeit ab Ende September bis zum 5. November das Thema Familie und Eltern angesprochen, Bahadir wird als Gast teilnehmen und mit den Kindern darüber sprechen, was Eltern ausmacht, und was sie darüber denken, wer für die suchende Künstlerin als Mama oder Papa in Frage käme. Es ist ein spielerischer Umgang mit einem gesellschaftlichen Tabu, das sich sonst in den eigenen vier Wänden abspielt und damit direkt in der Seele von Kindern. Es geht also nicht um die besten Eltern aller Zeiten. Oder um die begabtesten. Es geht um Eltern, die Eltern sein möchten und die ihnen Allernächsten lieben, wie sie sind.

Das Bewerbungsverfahren hat die Künstlerin so offen wie möglich gestaltet. Auf ihrem Flyer mit dem Titel «Ilknur sucht Eltern» schreibt sie: «Sie sind schon Mami oder Papi, Sie wollten es immer sein oder haben gerade spontan das Gefühl, Sie wären es gerne? Sie sind über 18 und leben in der Schweiz? Dann freue ich mich auf Ihre Bewerbung mit Bild als Einzelperson oder Paar!». Letztlich spiele es für sie keine grosse Rolle, ob es nun Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann seien. Passen müsse es. Denn seine Erzeuger kann man sich nicht aussuchen – neue oder in diesem Fall eben: richtige Eltern vielleicht aber schon.

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«Ilknur sucht Eltern», ein Projekt von Ilknur Bahadir. Bewerbungen können ab sofort unter www.eltern-gesucht.com oder via Facebook-Page eingereicht werden. Die Casting-Show am 5. November im Kunstmuseum Basel ist der letzte öffentliche Teil von Ilknur Bahadirs Suche; alles Folgende wird sich in der Privatsphäre abspielen.

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