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  • Jonas Egli
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Flugreisen: Im Internet gibt es keine letzte Minute mehr

Kurzentschlossene fuhren früher nur mit Handgepäck, Kreditkarte und Pass bewaffnet zum Flughafen und verlangten schlicht: den letzten Platz auf dem nächsten Flug nach Isola Irgendwo, bitte. Früher war Last-Minute noch wirklich Last-Minute, die moderne Reiseindustrie aber machte der sponti-Romantik einen Strich durch die Rechnung.

Eines Morgens verliess mein Mitbewohner das Haus, um zur Uni zu fahren, und kam abends nicht wieder. Sieben Tage später stand er in der Küche, in Flip Flops, aus denen der Sand rieselte, mit einem Strohhut auf dem Kopf und einer Bräune, die er wie alles andere vor einer Woche noch nicht hatte. Nach einem anstrengenden Tag in Vorlesungssälen, so erzählt er, fuhr er in einer Laune zum Flughafen, nur um zu schauen. Kurze Zeit später sass er in einem Flugzeug, ohne Gepäck. Ziel: Zypern. Ein Flug, der ihn kaum den Gegenwert eines guten Nachtessens kostete, der letzte Platz in der Maschine in der letzten Sekunde, bevor das Gate schloss. Das war vor vielen Jahren, vor EasyJet und Smartphones. Heute hört man solche Geschichten kaum mehr. Von Last-Minute-Angeboten spricht zwar weiterhin jedes Werbeplakat, aber gibt es die Spontanreisen in letzter Sekunde tatsächlich noch? Kann ich ohne Plan zum Flughafen fahren und auf einen guten Deal hoffen?

Wo's hingehen soll? Sagen Sie's mir! Bild: Keystone

Wer zu spät kommt, den bestraft das Portemonnaie

Veranstalter L’TUR, der Last-Minute-Anbieter am Euroairport und auf dem Gebiet quasi-Monopolist, bietet auf seiner Webseite sogar «Super-Last-Minute»-Angebote an, deren Flug in spätestens 72 Stunden abhebt. Klingt gut? Nur auf den ersten Blick: Es sind zwar zahlreiche Reisen gelistet, doch auch wenn diese durchaus günstig sind, fehlen die echten Schnäppchen. Es handelt sich bei allen um Pauschalangebote mit Hotel, nicht selten in der gehobenen Klasse. L’TUR bestätigt auf Anfrage zwar, dass die Möglichkeit durchaus bestehe, einfach am Flughafen aufzutauchen. Doch man rate aber davon ab. Besonders in der Hochsaison seien viele Flüge meist lange im Vorfeld ausgebucht. Wer dann noch sofort verreisen wolle, müsse höhere Preise in Kauf nehmen. Zudem seien oft nur noch Angebote in gehobener Klasse erhältlich, zum entsprechenden Preis.

Buchen mit Pfeilwurf. Die Spontanreise ist für viele reizvoll. Wenn es sie noch gäbe. Bild: Keystone

Die Versuche, Last-Minute-Reisen attraktiv zu halten, gleichen sich sehr. Die Seite «be back soon» etwa probiert ebenfalls, die Lücke zu füllen. Auch hier: Sie sind zwar spontan, aber oft vorgefertigtes Pauschalfutter ohne Schnäppchencharakter. Einzig das Ziel der Reise erfährt man erst kurz vor dem Abflug, der Nervenkitzel wirkt künstlich. Ihr Werbespruch: «Wir planen Ihre Spontanität.» Und das bedeutet schlicht: Aufgehübschte Reisen aus der Dose für jene, die ihre Ferien zu spät geplant haben. 

Die Leute buchen früher

Das Geschäft mit den Flügen ist knallhart, ein Überangebot kostet Unsummen. Entsprechend knapp wird kalkuliert. Für beliebte Ziele ergeben sich so schon lange im Voraus Engpässe, was die Reisenden wiederum dazu bringt, immer früher zu buchen. Die Planungssicherheit auf beiden Seiten wird mit satten Frühbucher-Rabatten belohnt. Zum Abflugdatum hin kennen die Preise dann meist nur noch eine Richtung: Nach oben.

Je näher der Abflug rückt, desto eher gehen die Preise nur noch nach oben. Bild: Keystone

Die Veranstalter profitieren vom Internet und knallharten Computern

Die Last-Second-Angebote, welche die Anbieter nirgends mehr verkaufen konnten ausser am Check-In-Schalter vor Ort, existieren hingegen kaum mehr. Es gab sie in einer Zeit, als man eine Reise nur im Reisebüro oder am Flughafen selbst buchen konnte. Mit dem Internet ist es aber möglich, freie Plätze bis kurz vor Schalterschluss auf dem freien Markt anzubieten.

Und damit verschwinden auch die Schnäppchen in letzter Sekunde, welche verzweifelte Veranstalter vor Jahren noch praktisch verschenken mussten.

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Die aktuellen Flugpreise werden laufend von Computern errechnet. Diese machen keine Deals, sondern rechnen knallhart ab: Die durchschnittliche Zahl der No-Shows wird für jede Strecke mit einberechnet und jeder Flug um diese Zahl überbucht. Ein Frühbucher-Angebot wird in den meisten Fällen günstiger sein, ohne die Unsicherheit. In den meisten Fällen heisst «Last-Minute» eigentlich: nächste Woche. Also das fruchtlose Niemandsland zwischen «spontan» und «wohl geplant».

Mehr Reisende, weniger Spontaneität. Die grossgewachsene Industrie will sich vor Unsicherheiten schützen. Bild: Keystone

Damit ging eine Tradition verloren und mit ihr auch eine Seite im dicken Buch der Reiseromantik, sicher. Aber Flugreisen sind nicht mehr Walther Fabers Abenteuer mit der Super Constellation, sondern ein geschliffenes Riesengeschäft mit enormen Risiken, die es zu minimieren gilt. Nicht zu vergessen, dass Flugreisen heute wesentlich erschwinglicher sind als früher, ob nun früh oder spät gebucht wird. Und das Geschäft mit den Flugreisen die einst familiäre Atmosphäre an die Menschenmassen verloren hat.

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