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  • Professor Claudius Sieber-Lehmann
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Gastbeitrag von Prof. Claudius Sieber-Lehmann: So wurden Basler Eidgenossen

Der Anschluss Basels an die Eidgenossenschaft entsprang einem kurzfristigen Entscheid und stiess keineswegs auf uneingeschränkte Zustimmung innerhalb der Bevölkerung. Wie wurde Basel samt seinem ländlichen Untertanengebiet zu einem verlässlichen eidgenössischen Ort? Oder gelang ihm dies nur ansatzweise? 

Eine schnelle Entscheidung mit lang dauernden Folgen Rund eine halbe Stunde musste die Menschenmenge wohl aus­ harren, als am 13. Juli 1501 auf dem heutigen Basler Marktplatz der umfangreiche Bundesbrief verlesen wurde; danach wurde der Vertrag wechselseitig be­ schworen. Dass die anwesenden Personen - volljährige Basler Bürger, aber keine ländlichen Untertanen - jede juristische Feinheit des Textes gebührend würdigen konnten, ist nicht an­ zunehmen. Einspruch konnten sie sowieso nicht erheben: Den Bund mit den Eidgenossen hatte eine kleine Gruppe innerhalb des Rates im Stillen betrieben, und die neue Allianz war - nach Absprache mit dem Grossen Rat - nun eine beschlossene Sache.

Am 13. Juli 1501 wird der mit juristischen Feinheiten gespickte Bundesbrief auf dem Kornmarkt, dem heutigen Marktplatz, verlesen und wechselseitig beschworen. 

Zweifellos war aber den Men­schen auf dem Marktplatz klar, dass die städtische Politik eine unerwartete Wendung genommen hatte. Mit der fünfhundert­ jährigen Dauer dieses Bündnis­ses rechnete hingegen wohl niemand; die Bezeichnung des Vertrags als «ewig epuntniss» bedeutete im damaligen Sprach­ gebrauch nur «unbefristet».  

Vielfältige Ursachen


Der Entscheid für den Bund war nämlich in kurzer Zeit gefallen. Der Basler Friede vom September 1499 hatte der Stadt keine Ruhe gebracht, sondern den Kleinkrieg mit den sundgauisch-österreichischen Kleinadligen zu einem Dauerzustand werden lassen. Die Unsicherheit des Warenverkehrs bedrohte die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, was jede spätmittelalterliche Stadt fürchtete, und sie traf Basel an seinem schwächsten Punkt, da die Stadt vom Durchgangshandel lebte. Der adligen Fehdebereitschaft konnte der Rat wenig Widerstand entgegensetzen, und falls er dies tun wollte, überstieg ein derartiges Unterfangen die finanziellen Möglichkeiten des Gemeinwesens; bereits die an sich erfolgreichen Burgunderkriege hatten die städtischen Finanzen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

Angesichts dieser Sachlage kam ein Bündnis mit den Eidgenossen von vorneherein günstiger zu stehen: Statt militärischen Schutz auf dem teuren Söldnermarkt einkaufen zu müssen, stand die eidgenössische Schlagkraft sozusagen als «Service publio zur Verfügung.

Es wäre aber verfehlt, den Bund von 1501 nur als Antwort auf auswärtige Bedrohung zu deuten. Innerhalb der Einwohnerschaft gab es widerstreitende Interessen, die auch das politische Regiment in Frage stellten.

Rivalitäten in Basel  

Das Bild der freien Stadt am Rheinknie, die
ihre Geschicke unbeirrt und selbstständig leite, entspricht einem Ideal, das dem baslerischen Geschichtsbild bis heute schmeichelt, den spätmittelalterlichen Zuständen aber nicht gerecht wird. Innerhalb der Obrigkeit bestanden scharfe Rivalitäten zwischen Kaufleuten und Handwerkern, was die soziale Unrast förderte. Das Basler Untertanen­ gebiet wiederum fand wenig Gefallen an der städtischen Herrschaft und liebäugelte offen mit den Eidgenossen, zu denen das benachbarte und expansionsfreudige Solothurn seit 1481 gehörte. Die wirtschaftliche Situation hatte sich überdies verschlechtert; bezeichnenderweise konnte seit 1494 nur noch eine Messe im Herbst abgehalten werden.

Immer noch eine Bischofsstadt 

Am meisten Schwierigkeiten bereitete dem Rat aber zweifellos die Tatsache, dass er nicht als eigentlicher Stadtherr amten und walten konnte: Basel war immer noch eine Bischofsstadt. Zwar war die finanzielle Situation des Bischofs alles andere als rosig, aber es wäre anachronistisch, für die spätmittelalterliche ständische Gesellschaft die gleiche Wertehierarchie anzunehmen wie für das bürgerliche Zeitalter: Selbst ein zahlungsunfähiger Bischof blieb ein geistlicher Fürst, dem der Rat alljährlich einen Eid zu schwören hatte. Ein Bündnis mit den Eidgenossen, die als fromme Gewalttäter über gute Verbindungen zum Papst verfügten, verschaffte dem Rat eine zusätzliche, religiöse Legitimation. Deren Vorzug bestand darin, dass Basel in engere Beziehungen mit der Spitze der kirchlichen Hierarchie trat - und damit den eigenen Bischof ausstach.

Schnell viel Geld verdienen

Für die männliche Basler Einwohnerschaft eröffnete ein Zusammengehen mit den Oberländern die Möglichkeit, als Reisläufer schnell viel Geld zu verdienen, vorausgesetzt, man überlebte die Schlacht. Dass die Eidgenossen das Kriegshandwerk gut beherrschten, war allen bekannt, und eine pro-eidgenössische Baslerin bemerkte angesichts steigender Fleischpreise zu einer österreichischen Parteigängerin spitz, seit 1499 sei doch eine Verbilligung eingetreten, sie solle doch einmal auf das Schlachtfeld bei Dörnach gehen ... Diese Ansicht teilten auch die Basler Metzger, die allerdings mehr das oberländische Vieh im Auge hatten.

Anschluss, Beitritt oder Zusammenarbeit?


Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Initiative für das Bündnis von Basel ausging. Die Stadt suchte den Anschluss in einer bedrängten Lage, sie trat nicht als selbstständiges Gemeinwesen und aus freien Stücken dem eidgenössischen Bündnisgeflecht bei. Frühere Verbindlichkeiten wurden überdies weitergeführt; Basel klammerte - wie die Eidgenossen - das Reich samt Oberhaupt aus dem Vertrag aus und dehnte diesen Vorbehalt auch auf den Bischof aus, allerdings nur, falls die Stadt von ihm «nit unbillich beschwert werde».

Basel als Bollwerk 

Die eidgenössischen Orte wiederum waren an einer Zusammenarbeit aus verschiedenen Gründen interessiert. Der Sundgau spielte dank seiner Getreide- und Weinproduktion eine wichtige Rolle in der Nahrungsmittelversorgung der Eidgenossenschaft; gleichzeitig galt Basel als «pollwerk» gegen mögliche feindliche Einfälle. Bei den Vertragsverhandlungen wurde auch erwähnt, dass Liestal sowie das ländliche Untertanengebiet zwei Jahre zuvor auf Seiten der Eidgenossen gestanden seien; diese Hilfe sollte nun honoriert werden. Weitere Gründe lassen sich vermuten, so die in Basel beheimatete, neue Technologie der «Schwarzen Kunst», die Universität als intellektuelles Kompetenzzentrum, vor allem aber die Stellung Basels als Finanzdrehscheibe.

Die «Verschweizerung» Basels


Wie wurden die Baslerinnen und Basler verlässliche Mitglieder der Eidgenossenschaft? Wie wurde die Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft sichtbar betont und ging in das symbolische Handeln der Baslerinnen und Basler ein? Die «Verschweizerung» vollzog sich in demjenigen Bereich, der den Alltag der damaligen Menschen am meisten prägte: der Religion. Während der Gottesdienste wurde in Ba­ sel fortan nicht nur für den Kaiser und den Bischof gebetet, sondern auch für die Eidgenossenschaft. Die Baslerinnen und Basler durften dank päpstlicher Erlaubnis nun auch mit ausgebreiteten Armen das Vaterunser sprechen; diese Gebetshaltung war ein typisch eidgenössisches Erkennungsmerkmal. Gleichzeitig begann die Stadt an eidgenössischer Geselligkeit teilzunehmen: Schützenfeste, gegenseitige Fasnachtsbesuche, Bundesbeschwörungen. Hinzu kam die Beteiligung an den ennetbirgischen Eroberungen sowie die Etablierung des Geschäfts mit Reisläufern und Pensionen. Letzteres steigerte den Zustrom von Geld in einem unerwarteten Masse. 1504 konnte Basel einen eigenen städtischen Wechsel eröffnen, wo Geldgeschäfte ähnlich wie bei einer heutigen Bank getätigt werden konnten. Wie neuartig eine derartige Einrichtung war, lässt sich daran ablesen, dass Grossstädte wie Venedig, Genua und Barcelona ihre eigenen städtischen Wechsel erst später einrichteten. Die Geldschwemme verstärkte aber auch die soziale Unrast und schürte die Kritik an der Bestechlichkeit der Obrigkeit.

Keine wirtschaftlichen Einschränkungen 

Für die Nachbarschaft war Basel unzweifelhaft eine eidgenössische Stadt geworden, wie die andauernden Neckereien und Beschimpfungen als «Kuhschweizer» (Kuhsodomiten) zeigen. Diese im Streit vollzogene Grenzziehung beschränkte sich aber auf die Konstruktion von Eigen- und Fremdbildern, die es schon im Spätmittelalter gab und die nun zur Abgrenzung unter Nachbarn verwendet wurden, ohne dass die bestehenden Beziehungen gänzlich unterbrochen wurden. Wirtschaftliche Einschränkungen wie beispielsweise die gefürchtete Sperrung des Korns aus dem Sundgau blieben aus, und aus allseitigem Interesse blieb die traditionelle Rolle Basels in der regionalen Wirtschaft erhalten.

Den weiterhin bestehenden Anfeindungen begegnete die Basler Einwohnerschaft durch ein positiv präsentiertes eidgenössisches Selbstbewusstsein, dessen Krönung das vom Papst verliehene goldene Banner im Jahre 1512 bildete. 1521 sagte der Rat dem Bischof den Gehorsam auf, indem er sich explizit auf das Bündnis mit den Eidgenossen berief; damit war das städtische Handwerksregiment an ein Ziel gelangt, das es während Jahrzehnten hartnäckig verfolgt hatte.

Aus gesamteidgenössischer Sicht war die Stadt am Rheinknie aber weniger zu einem «pollwerk» als zu einer Übergangszone mit besonderen Aufgaben geworden: Die Stadt mit ihrem Umland bildete so etwas wie einen «Third-Space», eine dritte Dimension, die zwischen Oberrhein und Mittelland vermittelte und somit eine ambivalente Stellung besass. Dementsprechend hatten die anderen eidgenössischen Orte kein Interesse an einer allzu starken «Verschweizerung» mit feindseliger Abgrenzung vom rheinischen Wirtschaftsraum. Auf diese Funktion als regionale Drehscheibe hatte Basel übrigens bereits in den Verhandlungen mit den eidgenössischen Orten hingewiesen: Es sei ein «Tor und Eingang» für viele Waren; es «öffne» sich zum Sundgau, Breisgau und Elsass hin und habe damit für Handel, Handwerk und Gewerbe eine wichtige Funktion. Vielleicht ist es diese Eigenschaft, welche in den vergangenen fünfhundert Jahren die Situation und auch das Selbstverständnis von Stadt und Landschaft am stärkten prägte: als Verbindungsglied zu dienen zwischen verschiedenen Räumen und Menschen, gleich wie ein Gelenk, welches Beweglichkeit und Fortschreiten ermöglicht.

Dieser Beitrag erschien im Basler Stadtbuch 2001. Christoph Merian Verlag.  

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