Wahlkampf demontiert: Wenigstens werden die Plakate langsam aber sicher weggeräumt – der Politzirkus feiert derweil gerade Urstände.
Wahlkampf demontiert: Wenigstens werden die Plakate langsam aber sicher weggeräumt – der Politzirkus feiert derweil gerade Urstände.
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Gerüchte, Pleiten, Panikattacken: Das grosse Chaos nach den Wahlen

So viele Geschmacklosigkeiten in nur zwei Tagen: Von der gefälschten Medienmitteilung zum zweiten Wahlgang bis zum Vergleich zwischen Putin und Herzog war nach dem Wahlsonntag alles dabei. Stattdessen hätte Basel endlich anderes verdient: Weniger Bullshit-Wahlkampf und mehr Würde. 

Auf die Frage, was einen guten Schreiber ausmache, soll der grosse und von uns allen verehrte Ernest Hemingway anno Tobak einmal gesagt haben: «A built-in, shockproof bullshit-detector.» Einen Sensor also, der zuverlässig Alarm schlägt, wenn dir jemand Bullshit serviert.

Bullshit wiederum, und das sagt der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt in seinem grossartigen Essay mit gleichlautendem Titel, hat eine wunderbare Eigenschaft: Er kümmert sich nicht einmal ansatzweise um die Wahrheit. Das unterscheidet den Bullshit – also den Unfug, den Quatsch – grundsätzlich von der Lüge. Die schert sich nämlich immerhin insofern um die Wahrheit, als die Lüge sich dieser durch die Negation der Wahrheit stets bewusst sein muss.

Folgen wir fürs Erste also Hemingway und sehen wir zu, dass unser Bullshit-Detektor shockproof ist und bleibt damit nicht bei der ersten Erschütterung den Geist aufgibt. Das ist schon schwierig genug im Jahr 2016 – Stichwort: «grab'em by the pussy» –, gestaltet sich in diesem wunderbaren Stadtkanton nach dem Wahlsonntag aber noch schwieriger.

Denn besonders viel Würde legen die Basler nach dem Wahlsonntag nicht gerade an den Tag. Kaum hat das bedauernswerte Stimmvolk den Rückzug von Baschi Dürr (FDP) als Präsidialkandidat für den zweiten Wahlgang überwunden, geht das Nachtreten zu den Wahlergebnissen munter weiter. Und so viele Fässer Whisky, wie Hemingway runterkippen müsste, um den unablässig schrillenden Alarm dieser Tage zu betäuben, gibt es in ganz Schottland nicht. Wobei «Papa» auch gerne mal ein Glas Absinthe kippte oder einfach literweise Bier. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder vielleicht doch nicht ganz, denn bei der grössten Geschmacklosigkeit bislang war möglicherweise auch noch Restpegel mit im Spiel.

Jungparteien, Fälschung und Dementi

Eine E-Mail am Dienstagmorgen im Redaktionspostfach: Sämtliche bürgerliche Jungparteien würden einer erneuten Kandidatur des SVP-Mannes Lorenz Nägeln (sic!) ihre Unterstützung entziehen, hiess es in einer plausibel erscheinenden Word-Datei. Versendet wurde die Nachricht von einem Mail-Account, der auf den Namen von Michael Hug lautete. Das ist der Präsident der Nachwuchssektion der LDP. Gezeichnet war die Mitteilung mit den Namen und Kontaktdaten aller weiteren bürgerlichen Jungparteipräsidenten.

Am Nachmittag postwendend die Auflösung: Die Mitteilung war gefälscht. Und zwar komplett. Das mag von anonymer Seite her zwar irgendwie witzig gemeint sein, ist es aber nicht. Ob es nun anonyme «vermeintliche Spassvögel» (O-Ton des Dementi) waren oder eine Splittergruppe übermütiger Wahlsieger: Das Spässchen ist in etwa so witzig, wie wenn man mit einer Clownmaske hinter einem Gebüsch lauert, um die Ex mit Messergefuchtel mal so richtig zu erschrecken. Nicht lustig, nicht originell. Bullshit. Und darüber hinaus erst noch übergriffig.

Denn Hemingway sagte nicht nur: «write drunk», er sagte auch: «edit sober». Also egal, wie besoffen du in die Tasten haust, überarbeite stets nüchtern. Oder nochmals anders gesagt: Gib dem Bullshit keine Chance.

Von Anfang an ein Rückwärtssalto

Die bürgerlichen Politiker geben auch so schon eine beklagenswerte Figur ab. Baschi Dürrs Verzicht auf die weitere Kandidatur als Regierungsratspräsident erwischte nicht nur Elisabeth Ackermann von den Grünen auf dem falschen Fuss, weil sie zur Stunde noch die einzige valable Präsidialamtskandidatin ist. Auch die eigenen Reihen waren baff.

Dürrs Begründung, die er gleichentags in einem Kürzestkürzestinterview gegenüber der «bz Basel» gab, zeugte nicht gerade von staatsmännischem Gebahren: «Ich bin zum Schluss gekommen: Ich möchte mich auf die bekannten Baustellen in meinem Departement konzentrieren. Ich möchte damit auch ein starkes Zeichen nach innen, in das Justizdepartement senden.» Das strotzt nicht gerade vor Überzeugung fürs Präsidialamt und stellt damit den gesamten durch die Bürgerlichen wohlfeil formulierten Angriff aufs Präsidialamt in Frage.

Wenn der eigens deklarierte Topkandidat nach dem ersten grossen Dämpfer schon die Dienstwaffe ins Korn wirft, warum stellte er sich für das Präsidium überhaupt zu Verfügung? Immerhin, Dürr hielt mit Rückwärtssalto Wort: Schon vor seiner Kandidatur betonte er, wie gerne er dem Sicherheitsdepartement vorstehe und das auch weiterhin tun wolle. Falls er denn im zweiten Wahlgang tatsächlich gewählt wird.

Suche Lorenz, biete Heidi

Dazu kredenzen uns die Medien ein buntes Potpourri an weiteren Pannen und Panikattacken. Ebenfalls laut der «bz Basel» sollen die Bürgerlichen die Basler SP-Präsidentin Brigitte Hollinger angefleht haben, BastA!-Regierungsratskandidatin Heidi Mück vom zweiten Wahlgang abzuhalten. Im Gegenzug würde man SVP-Mann Lorenz Nägelin über die Klinge springen lassen, damit Baschi Dürr zumindest im Regierungsrat bestätigt würde. SVP-Präsident Sebastian Frehner weist das zurück, die LDP bestätigt hingegen, und damit ist das jämmerliche Ende des am Sonntag schon etwas leiser gehauchten bürgerlichen «Uffbruchs» praktisch Tatsache. Und auch der Kniefall vor den eigentlich bestimmenden Kräften der Basler Politik.

Derweil ist der Arlesheimer Politblogger Manfred Messmer darum bemüht, den Bürgerlichen Conradin Cramer als neuen Kandidaten fürs Regierungspräsidium schmackhaft zu machen. Das ist natürlich ebenfalls Bullshit, zeigt aber, dass man den Basler Bürgerlichen nach dem Wahlsonntag so ziemlich alles zutraut, was nicht gerade mit nackt auf dem Marktplatz stehen verbunden ist. Und, naja, wahrscheinlich sogar das.

Tröstlich, dass dafür die «TagesWoche» zur Abwechslung der Stammkundschaft ein bisschen vor die Karre fährt. Zwischen einem bunten Strauss an Kommentaren auf der nicht mehr ganz so in schwarzweissem Trauerflor erscheinenden Website rangiert immerhin die Info, dass Finanzdirektorin Eva Herzog mit ihrer Wiederwahl mehr Stimmen als der russische Präsident Wladimir Putin erhalten habe. Was, Sie haben gar nicht mitbekommen, dass Wladimir Putin auch bei uns an die Macht wollte? Kriegt der denn nie genug?

Keine Sorge, das wollte er nicht und das würde er auch niemals freiwillig wollen. Bei der Nachricht handelt sich nur um ein Zahlenspiel, das erstens Herzog bescheinigt, die beliebteste Regierungsrätin zu sein – auf 72 Prozent der Wahlzettel figurierte ihr Name – und zweitens die Einschätzung beliebt machen möchte, dass wir auch in Basel-Stadt vielleicht ein kleines Machtproblem haben. Allerdings ist das russische Politsystem mit dem unseren nicht wirklich zu vergleichen und auch die Wahlen verlaufen hierzulande ein bisschen anders, und ach, wir möchten ja nicht schon wieder Hemingway zitieren. Oder in diesem Fall treffender: Harry G. Frankfurt.

Und für Somm gibts eine Ehrenfliege

Ach, hätten wir doch alle die Politkompetenz eines Markus Somm, dessen «Basler Zeitung» allerdings keinerlei Beitrag zu einer Machtverschiebung im Stadtkanton leisten konnte. Es sei denn, die Zeitung wollte von vornherein die LDP stärken, die anderen Parteien schwächen und die SVP am Sitzverlust vorbeischrammen lassen. Ausgerechnet die Basler Sonderlingspartei ohne grössere nationale Bedeutung als Darling des streitbaren Chefredaktoren. Wäre das ein Geheimplan gewesen!

Dafür darf Somm in der Restschweiz die Deutungshoheit über die Basler Politszene für sich beanspruchen – Tagesanzeiger! Blick! –, kein Wunder, dass da keine Zeit bleibt, für die eigene Zeitung noch ein paar Zeilen zu verfassen. Dort spricht an Somms Statt jetzt halt der berühmteste Politfliegenträger der Schweiz und kritisiert klipp und klar: «Sie haben sich auf die Frage der Parteistärken konzentriert und darauf, ob es Wechselwähler geben wird. Die entscheidende Frage bei Wahlen ist aber die Mobilisierung. Doch ausgerechnet diese Frage wurde in den Umfragen ausgeblendet. Das Geheimnis für den Erfolg der Linken ist, dass sie besser mobilisiert haben als die bürgerliche Seite.» Weise Worte eines weisen Claude Longchamp.

So rotiert Ernest Hemingway ob all diesem schönen Nachwahltreten in seinem Grab wie weiland die mächtigen Deckenventilatoren in seiner Hacienda auf Kuba. Und wir nehmen noch einmal Harry G. Frankfurt zur Hand. Der Mann wäre ja kein Philosoph von Weltformat, würde er seinen Essay über «Bullshit» nicht messerscharf und bis zum bitteren Ende durchargumentieren.

Und dieses Ende ist so bitter wie das Resultat des Wahlsonntags für den kümmerlichen Rest der bürgerlichen Allianz: Nicht die Lüge ist der Wahrheit grösster Feind; denn ohne Wahrheit würde es keine Lügen geben. Nein: der Endgegner heisst Bullshit. Wer ihn serviert, hat den Unterschied zwischen wahr und falsch schon lange hinter sich gelassen. Allein wer das erkennt, würde «Papa» schon mächtig stolz machen – und dieser Orgie an Wahlnachtreterei das Ende bereiten können, das sie verdient.

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