dr Wild Maa / Foto: Keystone
dr Wild Maa / Foto: Keystone
  • Christian Platz
  • Aktualisiert am

Häre-Joor 2018: e Tannebaimli schwingt er

Der grösste Glaibasler Feiertag steht unmittelbar bevor. Morgen, kurz vor elf Uhr, wird Kanonendonner die Ankunft des Wild Maa ankündigen, der rheinabwärts anreist, während dr Leu und dr Gryff am Ufer auf ihn warten. Dann wird unser heiss geliebtes Ehren-Trio endlich wieder durch die mindere Stadt ziehen. Dieses Jahr steht der Vogel Gryff im Zeichen der Häre, werfen wir also ein fröhliches Schlaglicht auf dr Wild Maa. 

Immer, wenn dr Vogel Gryff am 20. Januar stattfindet, haben wir ein Häre-Joor. Ausser, wenn dieses Datum auf einen Sonntag fällt, dann wird schon am Samstag getrommelt und getanzt, denn am Sonntag gibt es den höchsten Feiertag des minderen Basel nicht. Auf der Härenflagge prangt ein Fangnetz, einst waren nämlich Fischer, Jäger und Teile des niedrigen Adels in dieser Ehrengesellschaft organisiert, deren erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 1384 stammt.

Doch wir wollen unser Augenmerk nun insbesondere auf den Schildhalter des Härenwappens richten, welches da in Rot und Gold daherkommt – den Wild Maa.

Bärenstark, unzähmbar

Er ist mehr als nur bärenstark und fast unzähmbar, er schwingt ein Tännchen, tanzt wie ein Derwisch – und die Äpfel an seinem Gürtel enthalten ein magisches Fruchtbarkeitselixier. Wenn eine Dame eines dieser Epfeli isst, wird sie alsbald schwanger werden. dr Wild Maa ist das Kraftpaket unter den drei Ehrenzeichen. Die mythologischen Wurzeln dieser grossartigen Gestalt gehen ungeheuer tief.

Eine Wilde Frau, im Mittelalter auch gerne Wildweibchen genannt. Wandteppich aus dem 15. Jahrhundert. Quelle: Wiki commons.

Aus der Tiefe der Wälder

Die Wilden Männer und Wilden Frauen, ja, die gab es auch, kommen aus der Tiefe der Geschichte und der Wälder zu uns, jener Wälder, die früher ganz Europa wild überwucherten, bevor sie massiven Rodungen zum Opfer gefallen sind. Geschichten über diese Wesen gibt es überall auf unserem Kontinent, es existieren aber auch asiatische und afrikanische Varianten dieser Urmenschen, die fast nackt daher gehen, vielleicht mit Blättern und ein wenig Moos bekleidet, unglaublich wild sind, aber tief innen ein gutes, ja weiches Herz haben.

Wilde Archetypen

Bei diesen respekteinflössenden Gestalten handelt es sich um Archetypen, ihr Charakter ist einerseits wild, primitiv und überschäumend libidinös, sodass sich die zivilisierten Menschen ein wenig vor ihnen fürchten. Andererseits sind sie die unschuldigen Kinder der Natur, unverdorben und instinktsicher, Eigenschaften, um die sie die zivilisierte Welt immer beneidete – bei der geistlichen Obrigkeit waren diese Figuren allerdings nicht besonders beliebt.

In diesem Sinne hat dr Wild Maa viele Verwandte in anderen Ländern, so etwas den Riesen Rübezahl aus dem Riesengebirge, der erscheint, wenn man drei Mal seinen Namen ruft (und dann sollte man schon einen sehr guten Grund dafür haben, sonst gibt es mächtigen Ärger). Auch der skandinavische Waldgeist Skogsfru gehört in diese Familie oder die Waldgeister der Sioux-Indianer, die so genannten Canotila.

Tugendhafte Dame zähmt einen Wilden Mann. Bildteppich aus dem 15. Jahrhundert. Quelle: Wiki commons.

Nur die Liebe

Waldgeister sind für die Menschen nur dann gefährlich, wenn sie gereizt oder provoziert werden. Sie beherrschen die Kräfte der Natur bis zu einem gewissen Grad, kennen die Sprache der Tiere sowie die Heilkräfte der Pflanzen. Niemals unterwerfen sie sich den Plänen der Menschen.

Es gibt – neben der Zauberkraft – nur eine Sache, die sie gefügig machen kann, nämlich die Liebe. Sie ist die Zauberkraft, welche die Wilden Männer und Frauen handzahm macht. So kann etwa eine schöne Frau einen Wilden Mann dressieren, durch erotische Verführung, und ihn für ihre Zwecke einsetzen. Was in mittelalterlichen Sagen immer wieder vorkommt.

Ein anderes beliebtes Motiv sind Histörchen über Ritter, zum Beispiel den mächtigen König Artus-Genossen Lancelot, die wegen einer unerfüllten Liebe dem Wahnsinn verfallen, daraufhin eine Weile lang nackt im Wald umherirren, nur mit einem Schwert bewaffnet, und sich mit jedem Ritter schlagen, in der Regel siegreich, der ihren Weg kreuzt. Bis sie durch Zauberkraft geheilt werden. Sie sind dann gewissermassen Wilde Männer auf Zeit. 

Enkidu, der Urahne

Die älteste, schriftliche Erwähnung eines Wilden Mannes stammt aus dem Gilgamesch-Epos, dem bekanntesten Werk der akkadischen und sumerischen Literatur, der aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung stammt. Sein Name war Enkidu, er wurde von der Himmelsgöttin Aruru aus Lehm erschaffen, seine Aufgabe war das Schützen der Wildtiere im tiefen Wald.

Im europäischen Mittelalter wimmelte es von Darstellungen Wilder Männer und Frauen, sie tauchen auf Wandteppichen, Reliquiengefässen, Minnekästchen, in Kartenspielen, auf Münzen und im Fachwerk von Häusern auf. Und sind – eben – beliebte Wappen- sowie Schildhalter. 

Durch die Strassen und Gassen

Wobei wir wieder bei unserem Wild Maa wären – einst übrigens auch immer wieder mal von einer Wilden Frau begleitet –, der heute durch die Strassen und Gassen unseres Glaibasel ziehen wird. Kraftvoll, tännchenschwingend, zu den traditionellen Trommelstreichen; eine Naturmacht auf zwei starken Beinen. Wir freuen uns darauf!

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