Prof. Dr. Christoph Rochlitz, Chefarzt Onkologie und Vorsitzender Tumorzentrum am Universitätsspital Basel. ©BH
Prof. Dr. Christoph Rochlitz, Chefarzt Onkologie und Vorsitzender Tumorzentrum am Universitätsspital Basel. ©BH
  • Binci Heeb
  • Aktualisiert am

Interview mit Prof. Christoph Rochlitz: Kann ein Gentest die Chemotherapie bei Brustkrebs ersparen?

Brustkrebs ist für Frauen eine äusserst belastende Diagnose. Oft gefolgt von anstrengender Chemotherapie. Ein Gentest soll das für viele Patientinnen ändern. barfi.ch hat mit dem Chefarzt der Onkologie am Universitätsspital Basel gesprochen und wollte wissen, für wen dieser Test nach einer neuen Studie sinnvoll ist.

  

barfi.ch: Forscher haben festgestellt, dass ein Gentest zeigen kann, ob bei einer Frau mit der Diagnose Brustkrebs eine Chemotherapie nötig ist oder nicht. Worum geht es dabei genau? 

Prof. Dr. Christoph Rochlitz: Der Test ist nichts Neues, es gibt vier kommerzielle Anbieter, die diesen bzw. ähnliche Tests anbieten. Wir benützen ihn bereits seit vielen Jahren. Allen Tests ist gemeinsam, dass sie Hinweise darauf geben, welche Patientinnen eine Chemotherapie benötigen. 

Was hat die Studie Neues gezeigt? 

Rund zwei Drittel aller Patientinnen fallen in die Gruppe, von der wir hier reden. Bei ihnen wurden Hormonrezeptoren auf dem Tumor gefunden, und es tritt kein HER-2-Eiweiss in Erscheinung, gegen welches das Medikament Herceptin zusammen mit einer Chemotherapie eingesetzt werden kann. Die jetzt neu vorgestellte Studie mit dem Namen TaylorX betrifft allerdings nur Patientinnen, bei denen kein Lymphknotenbefall vorliegt. Diese Gruppe von Frauen mit Hormon-empfindlichen, HER2-negativen Tumoren ohne Lymphknotenbefall umfasst etwa die Hälfte aller Brustkrebs-Patientinnen in der Schweiz. Das wichtigste Resultat der Studie lässt sich in einem Satz zusammenfassen: es gibt viele Patientinnen, denen man eine Chemotherapie ersparen kann! 

Was sind die Nachteile der Studie? 

Ein Nachteil der Studie ist, dass die Ergebnisse uns nichts darüber sagen, welche Frauen der relevanten Gruppe den Test selber auch wirklich benötigen, denn bei vielen Patientinnen weiss man auch zuvor schon sehr zuverlässig, ob eine Chemotherapie nötig ist oder nicht. 

Welchen der vier Tests verwenden Sie und wie funktioniert er? 

Wir verwenden seit über zehn Jahren den amerikanischen Oncotype DX-Test, der 21 Gene untersucht und auch in der TaylorX Studie zur Anwendung kam. Er war der erste und ist immer noch der am besten durch Daten belegte Test. Das Material wird an ein Speziallabor in Kalifornien geschickt. Das Ergebnis erhalten die Patientinnen nach 10 bis 14 Tagen. 

Der Test sagt nicht nur die Prognose voraus, sondern er ist auch prädiktiv, das heisst, er sagt voraus, ob die Chemotherapie überhaupt nutzen wird oder nicht. 

In den USA erhalten Brustkrebspatientinnen sehr oft eine Chemotherapie. Mehr als bei uns?

Im Gegensatz zu den USA ist man in der Schweiz schon seit vielen Jahren viel zurückhaltender. Ungefähr 25 – 30 Prozent aller Brustkrebspatientinnen werden hierzulande nach einer Operation auch mit einer Chemotherapie behandelt. 

Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für den Gentest? 

Im Unterschied zu einigen europäischen Ländern, unter anderem auch Deutschland, werden in der Schweiz die Kosten in aller Regel von den Krankenkassen übernommen. 

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wer einen Test machen soll und wer nicht? 

Das ist ganz schwierig, und es kommen nicht nur «harte» medizinische Daten, sondern auch eine ganze Menge Intuition, Gefühl und Einschätzungsvermögen ins Spiel. Bisher empfahlen wir Frauen mit mittlerem Risiko, also bei Tumoren mit hohen Hormonrezeptoren, keinen oder nur ganz wenigen befallenen Lymphknoten, oder einem sehr kleinen Tumor, keinen Test. 

Bei widersprüchlichen Befunden in der feingeweblichen Untersuchung hingegen empfehle ich den Test. Der Oncotype DX bringt aber in der Entscheidungsfindung auch nicht die definitive Wahrheit, sondern er ist lediglich ein guter und wichtiger Mosaikstein im Gesamtbild. 

Im Gegensatz zu vor ein paar Jahren wird heute viel öfter minimalinvasiv operiert. Die Entfernung der ganzen Brust ist seltener geworden. 

In den USA wird noch heute in vielen Zentren bei etwa der Hälfte der Frauen die Brust ganz abgenommen. Gegen die Hälfte der Frauen mit 40 Jahren und ohne Brustkrebs haben dort allerdings bereits eine plastische Brustoperation («Schönheitsoperation») hinter sich. 

Und in der Schweiz? 

Schönheitsoperationen der Brust sind in der Schweiz deutlich seltener als in den USA. Dennoch müssen bei Krebs noch immer ca. 20 bis 30 Prozent der Frauen total operiert werden. Da die Zahl der wiederaufbauenden Operationen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, ist dies aber trotzdem häufig mit einem kosmetisch für die Patientinnen sehr befriedigenden Resultat verbunden. 

Zu einem anderen Gentest: Wie oft werden Gentests bei familiär vorbelasteten Frauen gemacht, dort wo bereits Mutter, Schwester oder Grossmutter an Brustkrebs erkrankt sind? 

Das hängt von der Geschichte der Frau ab. Schweizer Krankenkassen bezahlen ab einer 10-prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass die Mutation zu finden ist. 

Spätestens seit Angelina Jolie weiss man, dass es Frauen gibt, die ihre Brüste aufgrund der Familiengeschichte präventiv ganz entfernen lassen. Gibt es das auch hier?

Im Unispital Basel behandeln wir jährlich ungefähr 200 neue Patientinnen mit Brustkrebs. Die präventive Chirurgie, also eine Operation ausschliesslich aufgrund des genetischen Risikos, aber ohne dass es bereits zu einer Krebserkrankung gekommen wäre, ist sehr viel seltener. Wir sprechen mit jeder einzelnen Patientin, bei der eine entsprechende Familiengeschichte vorliegt, über eine genetische Abklärung. Wenn das Risiko hoch ist, wird ihr die genetische Sprechstunde empfohlen, in der unter anderem auch abgeklärt wird, ob eine präventive Brustamputation eine sinnvolle Option darstellt – und ob die Patientin diese auch wünscht.

Lassen sich diese Frauen alle testen? 

Auch wenn der Test aus unserer Sicht oft sinnvoll ist, heisst es nicht, dass jede Patientin ihn machen möchte. Es gibt viele Frauen, die ihr genetisches Risiko nicht kennen wollen, denn das Wissen um eine Prädisposition für Brustkrebs (z.B. eine Mutation im BRCA1/2-Gen) kann zur grossen Belastung für die Patientin und die ganze Familie werden. Auch jede Schwester, jede Tochter - übrigens auch jeder Sohn -, hat dann ein 50-Prozent-Risiko, ebenfalls Träger des mutierten Gens zu sein. 

Bei Frauen mit abgeschlossener Familienplanung sollten vor allem die Eierstöcke und auch die Eileiter entfernt werden, was in der Regel für die Patientinnen weniger einschneidend ist als die Brust zu entfernen. Die Entfernung der Eierstöcke kann das Risiko, an einem dieser beiden Tumoren zu erkranken, um über 90 Prozent senken. 

Dennoch: Brustkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen. Wie sieht es mit der Mortalität aus? 

Die Mortalität hängt sehr vom Land ab, in dem man lebt. In der Schweiz ist es in der Zwischenzeit so, dass zwischen 80 und 85 Prozent aller Patientinnen geheilt werden können. Darunter verstehe ich, dass der Brustkrebs wirklich nie mehr wiederkommt. 

Das Brust-Screening ist immer wieder ein Thema: Als Arzt befürworten Sie es doch bestimmt? 

Ich bin ein Befürworter, aber nicht ohne Einschränkungen. Ich befürworte, dass man es jeder Patientin anbietet und dass das Screening von der Kasse übernommen wird. 

Die Daten der Studien sind zwar widersprüchlich, was die Grösse des Nutzens und die Nachteile des Screenings betrifft. Aber: wer bestreitet, dass ein Screening die Mortalität reduzieren kann, ist aus meiner Sicht nicht seriös. 

Ist der Preis dafür zum Beispiel ein falsch-positives Resultat? 

Mit falsch-positivem Resultat ist gemeint, dass im Screening etwas gefunden wird, von dem man denkt, dass es bösartig sein könnte und dass reagiert werden muss. In Wirklichkeit handelt es sich dann aber z.B. nur um eine harmlose Durchblutungsveränderung oder eine Verkalkung. Falsch-positive Resultate sind eines der grossen Probleme aller Screening-Untersuchungen. Vergleichbar vielleicht mit dem PSA-Wert der Prostata. Hingegen ist die Darmspiegelung ausserordentlich effektiv, was die Reduktion von Mortalität anbelangt. 

Gibt es noch andere Unsicherheiten? 

Nebst den falsch-positiven Befunden, werden in der Mammographie auch Tumoren gefunden, die zu finden es sich nicht gelohnt hätte. Denn es gibt auch Tumoren, die ein relativ gutartiges Verhalten zeigen und eventuell im Leben der Patientin nie eine Rolle gespielt hätten.  Man nennt dies Überdiagnose. Ein weiteres Problem ist, dass ein negativer Mammographie-Befund falsch-negativ sein kann. Man findet also nichts, die Patientin hat aber dennoch Krebs. Sie traut sich dann viel weniger, zum Arzt zu gehen, wenn sie etwas in der Brust ertastet, weil sie sich in falscher Sicherheit wiegt. 

Ihr Fazit? 

Bei vorsichtiger Berechnung kann in der Schweiz mittels Screening eine Risikoreduktion von mindestens 10 Prozent erreicht werden, was heisst, dass jedes Jahr ungefähr 100 Frauen weniger an dieser Krankheit sterben müssten, wenn man ein flächendeckendes Screening einführt. 

Wir konnten in den letzten Jahren auch sehr eindeutig feststellen, dass es in Kantonen, in denen das Screening eingeführt wurde, deutlich weniger Frauen mit Lymphknotenbefall gibt und die entdeckten Tumoren kleiner sind als in Kantonen ohne Screeningprogramme. 

Entscheidend ist und bleibt, dass die Frau darüber bestimmt, ob sie sich einem Screening unterziehen möchte, und nicht die Politik. Ich bin klar für die Finanzierung des Mammographie-Screenings. 

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