In Reinach will auch der Einwohnerrat kein Licht ins Dunkel bringen. Schnappschuss von der Abstimmung. Bild: as
In Reinach will auch der Einwohnerrat kein Licht ins Dunkel bringen. Schnappschuss von der Abstimmung. Bild: as
  • Andy Strässle
  • Aktualisiert am

Lügen, Verschleppen, erkauftes Schweigen: Die Affäre um das Asylzentrum Reinach

Sex mit Minderjährigen, Drogen- und Alkohol und Gewalt. Im Asylzentrum Reinach wurden gravierende Missstände publik. Gestern Abend fand der Einwohnerrat diese Fragen weder dringlich noch wichtig, stattdessen schenkten sich die Parlamentarier gegenseitig Blumen, Bier und Honig.

Bei einer Handvoll Reinachern herrschte nach der gestrigen dreistündigen Einwohnerratssitzung um 22 Uhr Ungläubigkeit. «Kann man denn einfach Sex mit einem Minderjährigen haben, wenn man irgendwo arbeitet und ein Abhängigkeitsverhältnis besteht?» Gute Frage vor dem Gemeindesaal, die Gemeindepräsident Urs Hintermann mit dem Verweis auf die Staatsanwaltschaft kurz vor Schluss der Sitzung mit einer Wortmeldung beantwortet hatte: Man kann. Im Falle der Betreuerin im Reinacher Asylzentrum, die mit einem 17-Jährigen eine Beziehung eingegangen war, hat die Staatsanwaltschaft Baselland Entwarnung gegeben. Laut Paragraph 188 des Strafgesetzbuches, das Sex mit Minderjährigen zum Offizialdelikt erklärt, gebe es keine Anhaltspunkte, dass das Verhältnis nicht einvernehmlich gewesen sei.

Ungläubigkeit

Ungläubigkeit herrschte auch bei Einwohnerrätin Caroline Mall, die in einer «dringlichen» Interpellation den Gemeinderat um Aufklärung gebeten hatte. Die Einwohnerrätin von der SVP hatte unter anderem angefragt, wie genau die Entlassung einer weiteren Betreuerin, Farideh Eghbali, abgelaufen sei und vor allem, was man getan habe, um die verschiedenen Missstände im ehemals vorbildlichen Asylzentrum zu beheben. Nach zwei Stunden Sitzung um 21 Uhr musste der vierzigköpfige Einwohnerrat darüber abstimmen, ob man die Fragen geklärt haben wolle. Die Dringlichkeit rechtfertigte Caroline Mall damit, dass man den Mut haben müsste die Fragen zu beantworten. Da diese weder persönlichkeitsverletzend noch nicht beantwortbar seien. «Ich habe genug von den Ausreden», meinte die Einwohnerrätin beherzt. So sahen es ihre Ratskollegen aber nicht.

Nicht auf der Liste

Im Gegenteil: Die Sache sei nicht auf der Traktandenliste gewesen. Oder etwa das Votum von Jaqueline Bader: «Es ist die Zeit, das öffentlich auszutragen. Man braucht das Gspüri.» Sonst werde noch mehr Geschirr zerschlagen. Es folgen weitere Ausreden eines feigen Gremiums. Verweise aufs Geschäftsreglement, oder ein Votum, dass die «Leidenschaft» von Mall vor allem «Leiden» schaffe. Für die Aufarbeitung der Vorfälle im Reinacher Asylzentrum findet der Einwohnerrat also keine Zeit. Aber dafür, sich ausgiebig zu verabschieden und sich selbst zu feiern. Da wird Honig und Bier überreicht und sogar ein Spiel. Die eigene Fraktion dankt der eigenen Fraktion und lässt alles Mögliche ausgiebig verlesen.

Drogen, Alkohol, Gewalt

Vor dem Gemeindehaus herrscht nach drei Stunden bei den Bürgern Ungläubigkeit. Immerhin sind es Missstände, die denken geben. Nicht nur die Affäre einer Betreuerin, die jetzt aufgeklärt wurde, sondern auch Drogen- und Alkoholkonsum während den Nachtdiensten, bis hin zu Schlägereien und verbalen und körperlichen Belästigungen von minderjährigen Jungen. Während Gemeindepräsident Urs Hintermann stolz sagt, die ehemalige Mitarbeiterin habe dem Gemeinderat Einsicht in die «Einstellungsverfügung» gegeben, haut er sie dann gleich in die Pfanne und sagt, sie habe eben den Vorgesetzten und dem Gemeinderat «nicht die ganze Wahrheit» gesagt und schliesslich selbst gekündigt.

Doch nicht gekündigt...

Nicht so leicht loszuwerden ist die Betreuerin Farideh Eghbali, um deren Schicksal sich auch die Anfrage von Caroline Mall drehte. Während der Gemeinderat noch anfangs Mai öffentlich an einer Medieninformation bekanntgab, er werde Farideh Eghbali kündigen, hat die Gemeinde dies bis zum gestrigen Tag nicht getan. Versehen, Lüge oder will man Eghbali einfach an der kurzen Leine halten? Umso mehr hätten die Reinacher gestern Abend die Anfrage «Wahrheitsfindung in Sachen Farideh Eghbali» gerne beantwortet gehabt. Am Ende bleibt nur Ungläubigkeit. Und die seltsame Wortmeldung von Gemeindepräsident Urs Hintermann, der vor dem Plenum erklärt, die fehlbare Betreuerin habe sich beim Gemeinderat und den Vorgesetzten entschuldigt.

Von der Provinzposse gerät die Affäre um das Asylzentrum Reinach zum Trauerspiel: Ein Gemeindepräsident, ein Gemeinderat und ein Parlament, die lügen, verschleppen und sich dafür selbst toll finden. Denn das Verteilen von Honig, Blumen und Bier dauerte ja nur eine geschlagene Stunde. Zu wenig Zeit für eine «dringliche Anfrage». Schon klar.