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  • Christian Platz
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Nach Drama in Berlin: Schatten über dem Basler Weihnachtsmarkt und die Verletzlichkeit des Menschen

Die Kantonspolizei Basel wird ab heute die Sicherheitsmassnahmen am Weihnachtmarkt und an der Silvesterfeier verstärken. Dies ist vernünftig und machbar. Was bleibt, sind der Zorn über die Ereignisse in Berlin, das Mitleid mit den Opfern und ihren Familien sowie dieses bedrückende Gefühl der Verletzlichkeit aller Menschen. 

«Endlich aufwachen»

«Europa muss endlich aufwachen», sagt der Verkäufer am Barfüsserplatz erzürnt, zwischen Weihnachtsschmuck und Kerzenständern. Die beiden Kundinnen stimmen ihm zu: «Wir lassen ja jeden ins Land – und dann passieren solche Dinge. Ich fühle mich nicht mehr sicher». Alle nicken, man ist gleicher Meinung, der Festtagseinkauf geht weiter und über allem leuchtet der grosse Weihnachtsstern.

Lage wird unklarer

Währenddessen wird die Nachrichtenlage über die schrecklichen Ereignisse in Berlin immer unklarer. Die Push-Meldungen auf dem Handy erzählen nun davon, dass es doch nicht so klar sei, wer die Tat begangen habe und was deren Hintergründe seien. Auch wenn es bis kurz vorher so ausgesehen hat, als wäre die Lage eindeutig, der Fall geklärt.    

«Aleppo ist weit weg»

An einem weiteren Stand hören wir andere Töne. Hier fragt eine Dame laut danach, wie es denn wohl den Menschen im syrischen Aleppo gehe: «Dort geschehen jeden Tag die schrecklichsten Dinge. Und die wenigsten Leute regen sich deswegen auf oder ängstigen sich. Dabei geschieht dies ja alles auch auf unserer Welt. Da wird doch mit zwei verschiedenen Ellen gemessen».  Erwidert ihre Begleiterin: «Ja. Aber dort ist Krieg, in Europa haben wir Frieden. Das ist schon etwas Anderes. Aleppo ist weit weg, doch Berlin ist so nahe». Mit nachdenklichen Minen tauchen sie tiefer ins Marktgeschehen ein.

Kantonspolizei reagiert

Inzwischen ist bei barfi.ch eine Medienmitteilung des Basler Justiz- und Sicherheitsdepartements eingetroffen. Da heisst es: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt reagiert auf den Vorfall in Berlin und verstärkt per sofort ihre Sicherheitsmassnahmen. Zu den Massnahmen gehören bauliche wie personelle Mittel. Mit dieser raschen und zweckmässigen Anpassung des Dispositivs und Ausrüstung der Polizistinnen und Polizisten wird die Einsatzbereitschaft erhöht».

Zufahrten erschwert

Bereits ab heute würde die Kantonspolizei auf den Weihnachtsmärkten noch stärker präsent sein. Neben den Fuss- und Fahrzeugpatrouillen würden mögliche Zufahrten zu den Marktgeländen mit baulichen Massnahmen oder mit Fahrzeugen erschwert.

Doch das Unbehagen bleibt

Diese professionelle und schnelle Reaktion der Behörden klingt zwar beruhigend, so ist sie auch gedacht. Doch das Unbehagen bleibt. Es ist greifbar, hier, in der Welt der Weihnachtsdüfte und des Geschenkpapiers. Denn genau in dieser Welt hat sich das Entsetzen gestern Abend in Berlin manifestiert. «Das ist ein Krieg, auf der ganzen Welt, wir meinen nur, dass wir noch im Frieden leben», sagt ein junger Mann, schwer bepackt mit Einkaufstaschen. «Oh, schau mal», wirft seine Partnerin ein: «Dort drüben gibt es schöne Gürtelschnallen».

Doch nicht der Täter?

Die Push-Meldungen auf dem Handy laufen weiter. Offenbar war der verhaftete Mann aus Pakistan doch nicht der Täter. Jene einfache Rechnung, Islam + Terror = klarer Fall, gerät ins Wanken. Es muss weiter ermittelt werden. Wir kennen die Hintergründe noch nicht. Wir wissen, dass dieses Jahr in Nizza ein Lastwagen als Mordinstrument eingesetzt worden ist, die ganze Welt weiss es. Und wenn eine derart schlimme Idee einmal Wirklichkeit geworden ist, bleibt sie in der Realität hängen, zieht im schlimmsten Fall Kreise. Das ist eigentlich alles, was wir im Moment wissen.

Die einfachste Reaktion

Natürlich wird zwischen den Ständen der Basler Weihnachtsmärkte über den Islam hergezogen. Das ist halt die einfachste Reaktion. Doch die Aufregung sitzt tiefer. Sie hat mit der grundsätzlichen Verletzlichkeit des Menschen zu tun, mit der Tatsache, dass wir im Grunde alle täglich in Lebensgefahr schweben, aber natürlich nicht dauernd in diesem Bewusstsein leben können.

Dann muss der Mut kommen

Gegen Abend leuchten in der Innerstadt die Weihnachtslichter, die Aufregung weicht und macht der Trauer Platz. Jener natürlichsten, jener angemessenen Reaktion auf eine menschliche Tragödie, gerade in der Weihnachtszeit: Trauer und Mitleid mit den Unglücklichen, den von Gewalt oder Schicksal Geschlagenen, ob in Berlin oder Aleppo. Und dann muss der Mut kommen, der Mut, sich wieder aufzuraffen – und furchtlos hinauszugehen, auch im Bewusstsein, dass jeder Tag unser letzter sein kann.  

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