Wir müssen es tolerieren
«Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen». Dieser Satz steht in der Schweizer Bundesverfassung – und hinter diesem Satz steht auch der Autor dieser Zeilen. Sowohl bezüglich des «Praisecamps», als auch bezüglich jeder anderen religiösen Manifestation. Es würde uns beispielsweise keineswegs stören, wenn sich die kalifornische «Church of Satan» in der Messe Basel manifestieren würde. Solange sich die Feierlichkeiten im Rahmen des Strafgesetzes bewegen würden, wäre dies für uns kein Problem.
Wir wollen es kritisieren
Bei solchen Anlässen gilt: Wer hingeht, tut dies aus freiem Willen. Dies ist beim «Praisecamp», also bei diesem «Lager der (Lob-)preisung» wahrscheinlich gegeben und Gesetze werden dort gewiss auch keine gebrochen. Das Tolerieren einer Sache ist die eine Seite der Medaille, es gibt aber auch jene andere Seite, die Kritik an einer Materie, welche einem nicht behagt, und diese wollen wir nun üben. Denn wir tolerieren das «Praisecamp» zwar, aber es gefällt uns nicht. Und dafür gibt es Gründe.
Bei lebendigem Leib verbrannt
Europa und das Christentum, das ist eine lange, eine finstere Geschichte, seit die Römer – nach Konstantin – unseren heidnischen Vorfahren diese Religion aufgezwungen haben. Es ist die Geschichte von der absoluten Herrschaft Roms, von der Heiligen Inquisition, von der Ermordung und grausamen Folterung unzähliger Menschen im Namen der Kirche, von Irr- und Aberglauben, der auch mit der Reformation nicht aufgehört hat. Denn auch die Protestanten haben unschuldige Frauen der Hexerei angeklagt, mit der Billigung von Luther und Calvin im Rücken, und lebendigen Leibes verbrannt. Die Geschichte des Christentums ist keine segensreiche, vielmehr ist sie eine blutige, despotische, geprägt von Aberglauben, Bevormundung von Bürgerinnen und Bürgern, neurotischer Verteuflung und Verdrängung der Sexualität – sowie allerlei mörderischer Raserei.
Von Menschen für Menschen
Die wirklich grosse Tat der europäischen Geistesgeschichte war die langsame, aber erfolgreiche Vertreibung dieser Gespenster aus der Gesetzgebung, aus den Ratssälen, aus den politischen Machtbereichen. Dafür sind wir sehr dankbar. Zu dieser grossen Tat gehörte auch die Erkenntnis, dass die Bibel eine wichtige historische Textsammlung ist, wie zum Beispiel auch die «Mahabharata» der Hindus oder die «Tora» der Juden, die von Generationen geschrieben, immer wieder redigiert und überarbeitet wurde, von Menschen für Menschen, behaftet mit menschlichen Fehlern und Makeln. Ein Textbündel aus den Tiefen der Zeit, im Zeichen von Menschen, Mythologien und Wahnvorstellungen, das man ohne Tabus oder Scheuklappen kritisch erforschen, hinterfragen muss.
«Nicht wissen wollen»
Auf dieser Grundlage wurden die Bibel und das Christentum in der Moderne erforscht, analysiert, durchleuchtet. Und zwar eben nicht auf der Grundlage des Glaubens, sondern auf der Grundlage von Recherchen, Fakten sowie dem Einräumen von Nichtwissen und Irrtümern, auch seitens der Forschenden. Die Resultate dieser Forschungen sind hochinteressant, hochkomplex und taugen wenig als Grundlage für einen Glauben, von dem der grosse Philosoph Friedrich Nietzsche einst fröhlich schrieb: «Glaube heisst nicht wissen wollen, was wahr ist».
Wunder, Hölle, Hexerei
Als der Autor dieser Zeilen aufgewachsen ist, in den 1970er Jahren, war Kritik an Religionen eine Selbstverständlichkeit, der protestantische Religionsunterricht an den Schulen war zu einer Art Philosophiestunde für Junge geworden, wo Problemstellungen des Alltags besprochen wurden, auf der Grundlage eines aufgeklärten, liberalen Zeitgeistes. Niemand hat dabei lauthals über Teufel, Wunder, Hölle, Hexerei doziert. Die Theologie jener Zeit hatte sich den Idealen der Aufklärung verschrieben. Es gab wohl einige kleine Gruppierungen, die dies taten, man hat sie gemeinhin «Spinner» genannt. Und das war eigentlich ganz gut so.
Religiöser Fanatismus
Was hat dies nun alles mit dem «Praisecamp» in der Messe Basel zu tun? Die Vereine und Vereinigungen, die diese Veranstaltung tragen sind allesamt modern, sind offen für laute elektrische Musik, Multmedia-Shows, Tanz, Party und sogar das allgegenwärtige Chillen. Gleichzeitig darf aber mit Fug und Recht gesagt werden, dass es sich dabei samt und sonders um Gruppen handelt, die religiösen Fanatismus betreiben, der eigentlich ins Mittelalter gehört. Sie glauben und predigen, dass die Bibel das ungefilterte Wort Gottes sei – und kein von Menschenhänden geschaffenes Buch. Sie glauben und predigen, dass die Menschheitsgeschichte sich vor dem Hintergrund eines spirituellen Kriegs zwischen Gott und Satan abspiele, dass die christliche Religionsausübung eine Art spirituelle Kriegsführung sei. Sie glauben und predigen, dass Homosexualität, Polygamie und sexuelle Freiheit, die sich ausserhalb des christlichen Regelwerks abspielen, des Teufels seien und direkt in die Hölle führten. Sie betrachten alle anderen Religionen als Irrlehren, die sich ebenfalls der alte Satan ausgedacht habe. Sie verteufeln Schwangerschaftsabbrüche mit einem Feuer, das ans Absurde grenzt.
Gegen alle Grundwerte
Kurz, sie lieben zwar ihre Nächsten und wollen Gutes tun. Gleichzeitig stellen sie sich aber gegen alle Grundwerte unserer pluralistischen, aufgeklärten Gesellschaft. Da sie dies lediglich auf religiöser Grundlage tun, müssen wir es akzeptieren. Und wir sind ja auch dankbar dafür, dass sie – wenigstens in Europa, in den USA sieht dies anders aus – nicht mit Schusswaffen in der Hand für ihre fanatischen Überzeugungen eintreten und beispielsweise Ärzte erschiessen, die Abtreibungen vornehmen. Sobald christliche Fanatikerinnen und Fanatiker nämlich solche Dinge tun, sind sie von ihren islamistischen Spiegelbildern kaum mehr zu unterscheiden.
Überaus intolerant
Das Christentum, wie es im Rahmen von Veranstaltungen wie dem «Praisecamp» zelebriert wird, ist klar fanatisch, verschreibt sich dem Glauben ans Übernatürliche christlicher Machart und ist überaus intolerant gegen alles, was seinen Werten nicht entspricht. Seine Formen des Marketings, der psychologischen und pseudowissenschaftlichen Überzeugungsarbeit stammen allesamt aus den USA, sind dort seit Jahrzehnten erprobt.
Tolerieren und verachten
Der Schreiber dieser Zeilen bedauert, dass dieses Religionsgebräu sich bei uns seit einigen Jahren immer stärker etabliert. Noch mehr bedauert er, dass die traditionsreiche Reformierte Kirche diesen Vertretern evangelikaler Bekehrung und Weltsicht ihre Türen und Tore weit öffnet. Wir tolerieren das «Praisecamp», verachten jedoch seine Inhalte – und bekämpfen sie überall dort, wo sie sich in der Politik manifestieren.
Wir wollen verspotten und kritisieren
Wir wollen in Europa nie mehr Scheiterhaufen brennen sehen. Wir wollen, dass freie Sexualität und Partnerwahl eine Selbstverständlichkeit bleiben. Wir wollen, dass jede und jeder das Recht darauf hat, seine religiösen Neigungen nach eigenem Gusto auszuleben. Wir wollen aber auch, dass man Religionen weiterhin verspotten und kritisieren darf. Deshalb mögen wir das «Praisecamp» nicht. Wir würden uns jederzeit dafür einsetzen, dass die jungen Christen ihre Veranstaltung durchführen dürfen, im Sinne der Religionsfreiheit. Wir setzen uns aber auch für unser Recht ein, das Christentum schrecklich, überholt und grotesk finden zu dürfen. Angesichts ihrer Geschichte hat es diese Religion nämlich verdient. Uns wäre es wohler, wenn es schön sicher zwischen den Deckeln von Geschichtsbüchern eingesperrt wäre, anstatt in Messehallen Urstände zu feiern.