Matthias F. Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel: «Wir können nicht das Gefühl haben, dass weltweite Entwicklungen an Basel vorbeiziehen.» Bild A. Schwald
Matthias F. Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel: «Wir können nicht das Gefühl haben, dass weltweite Entwicklungen an Basel vorbeiziehen.» Bild A. Schwald
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Pro-Innerstadt-Chef Böhm: «Es gibt kein Lädelisterben in Basel!»

Die Basler Innenstadt geht mit grossen Schritten in die Zukunft. Umschichtungen bei den Detailhändlern, internationale Ketten in der Freien Strasse: Das ist das neue Normal für Basel. Für Matthias F. Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt Basel, ist klar: «Die Innenstadt ist attraktiv!». Doch es gibt Nachholbedarf: Bei der Infrastruktur – aber auch bei der Einstellung zum eigenen Zentrum.

Herr Böhm, sagen Sie es uns: Wofür steht die Basler Innerstadt?

Matthias F. Böhm: Die Innenstadt steht für Qualität, für kurze Distanzen, also schnelle Erreichbarkeit, und grosse Bewegungsfreiheit. Sie steht für sehr viel Stimmung und Aufenthaltsqualität, was mit der Geschichte der Stadt und deren Architektur zusammenhängt. Und natürlich damit, dass unser Rhein durch die Stadt führt. Das Angebot ist, wenn man es genau betrachtet, unheimlich vielseitig. 

Sie sagen gerade, die Innenstadt stehe für Qualität. Viel Kritik ergeht sich aber gerade über diesen Punkt: Hier ein «H&M», dort ein «Zara Home», grosse Kette hier, grosse Kette da. Die kleinen Läden aber gehen zu, die Leute betrauern das Ende von Traditionsgeschäften. Ist das mit dieser Qualitätsaussage noch vereinbar? 

Es gibt verschiedene Qualitätsansprüche. Der eine ist der an die Ausgestaltung, ein anderer richtet sich am Mix in der Stadt. Der Mix ist insgesamt überhaupt nicht schlechter oder sogar anders geworden. Nur einige Bereiche haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert: Die Freie Strasse ist zum Beispiel internationaler geworden, aber das Rundum-Angebot der Stadt ist gleichzeitig eben auch gewachsen – und vielseitiger geworden. 

Die alte Liegenschaft von «Musik Hug» in der Freien Strasse als Zeichen des Umbruchs: Das Traditionsgeschäft gab auf, stattdessen zieht mit «COS» die Edelmarke des Moderiesen «H&M» ein. ©barfi

Attraktiv war sie in den vergangenen zwei Jahren aber auch nur bedingt: Da wurde etwa gerade kürzlich der Steinenberg aufgerissen, und wenn die Trams in Betrieb sind, fährt einem dauernd eins vor die Nase, man spricht von der «grünen Wand». Die autofreie Innenstadt ist zudem nur halbwegs autofrei, da dank dem Verkehrsregime bis 11 Uhr ein Dauerverkehr der Lieferanten unabdingbar ist. Was kann diese Innenstadt wirklich attraktiv machen? 

Eins ist festzuhalten: Die Innenstadt ist so, wie sie jetzt ist, bereits attraktiv. Da müssen wir realistisch bleiben. Gerade, wenn wir andere Städte im internationalen Vergleich anschauen. Aber die Innenstadt wird sich in den nächsten Jahrzehnten auch massiv verändern: Es wird eine fussgängerfreundliche Innenstadt geben, mit anderer Infrastruktur. Es ist durchaus denkbar, dass wir spätestens in 15 Jahren gar nicht mehr mit seinem persönlichen Fahrzeug in die Innenstadt fahren wollen, weil es ganz andere Möglichkeiten geben wird: Carsharing, autonome Fahrzeuge, zum Beispiel. 

Das klingt für heutige Basler Ohren schon sehr phantastisch, futuristisch, überhaupt: eine komplett verkehrsfreie Innenstadt ist noch reine Utopie. Worauf basieren Ihre Annahmen? 

Schauen wir heute den Nutzer und die weltweite Entwicklung an, dann passiert das bereits alles. Wir können nicht einfach das Gefühl haben, dass das uns diese Entwicklungen in der Schweiz und damit in Basel nicht erreichen. Und die Logistik entwickelt sich auch massiv weiter: Dass sich jedes einzelne Geschäft einzeln beliefern lässt, wird in Zukunft kaum mehr denkbar sein; die Vernetzung wird viel stärker. Wie schnell das aber alles geschieht, lässt sich natürlich nicht genau sagen. Unsere Aufgabe ist es jedoch, Lösungen zu finden, wie diese Herausforderungen in Zukunft angegangen werden können.

Blicken wir kurz an die Peripherie zum Stücki-Center: Die Eigentümer kämpfen seit der Eröffnung mit neuen Nutzungskonzepten, um das mangelnde Interesse der Kundschaft wettzumachen. Kinos sollen jetzt die Anlage retten. Ist das Shoppingcenter am Stadtrand eine Modeerscheinung von früher? Welche Beobachtung machen Sie? 

Der springende Punkt ist ja, dass die Entwicklung beim Kundenbedürfnis viel schneller abläuft als die Entwicklung auf Investorenseite. Einige Geschäftsmodelle, von denen man glaubt, sie funktionieren nach alten Zügen, sind bei Inbetriebnahme bereits veraltet. Es ist sicher auch so, dass der Zeitpunkt der Realisierung des erwähnten Shoppingcenters nicht gerade der ideale war; man wird es wohl oder übel umnutzen müssen. 

Aufnahme aus dem Laden «Brands Check Out», der neu im Zentrum von Basel das Label «Abercrombie & Fitch» anbietet: Mehr internationale Marken bestimmen das Bild in der Innenstadt. ©barfi

Und in der Innenstadt? Sie sehen doch sicher auch ein Lädelisterben in Basel? 

Nein. Und das Wort Lädelisterben ist auch das falsche Wort. Es gibt einen Grund, warum gewisse Läden schliessen. Und das ist einerseits eine Veränderung bei den Nutzern selbst, andererseits aber auch bei deren Lebensgewohnheiten. Wir kommen aus einer Wohlstandswelt, in der es toll war, das dreissigste oder fünfunddreissigste blaue Hemd zu kaufen. Heute ist uns ein individualisiertes Produkt viel wichtiger, etwas Einzigartiges. Wir wollen ein Erlebnis, wenn wir einkaufen gehen, eine Umgebung, in der wir uns wohlfühlen. Wir wollen mit Menschen Kontakt haben, auch bedingt durch die zunehmende Digitalisierung, die ihrerseits sehr wichtig ist. Aber das Gegenstück ist eben die sinnliche Wahrnehmung: Das Optische, das Gefühl, der Geruch. Das ging in den vergangenen Jahren vergessen, man dachte immer: Der Kunde will ja Beratung, er will Service, er will Freundlichkeit, das wars, aber er will eben noch viel mehr. Das Produkt steht nicht mehr im Vordergrund, sondern das Erlebnis und die Individualität. Dem müssen wir Rechnung tragen und das müssen alle Beteiligten verstehen. Politik, Verwaltung und Gewerbe gleichermassen.

Basel beklagt aber den Einkaufstourismus, in Weil am Rhein wird ein Center nach dem anderen gebaut, derweil der Weiler Oberbürgermeister Wolfang Dietz sagt, er beneide Basel um die Innenstadt, die Weil eben nicht habe. Die Planung könnte aber besser sein, zum Beispiel mit mehr Parkanlagen mit direkter Anbindung an die Innenstadt. Erfüllen wir das schon?

Basel erfüllt schon sehr, sehr viel. Und Basel erfüllt dazu eben genau das, was Wolfang Dietz und seine Kollegen aus dem Dreiland auch immer wieder betonen: Basel ist das Zentrum dieses Dreiländerecks. Aber auch als Zentrum ist man von äusseren Einflüssen betroffen, wie dem Euro-Franken-Kurs. Wichtig ist: Als zeitgemässe Stadt bietet Basel ein hervorragendes Angebot. Basel bietet sogar Marken an, die man nicht einmal in Freiburg findet. Der Mix ist gut, die Erschliessung ist gut, vielleicht fast schon zu gut, wenn jede Minute ein Tram oder zwei vorbeifahren. 

Worin besteht denn der Neid der Deutschen, wenn man doch bereits die Kundschaft hat? 

Im grenznahen Raum besteht derzeit die Befürchtung, dass die fruchtbare Expansion durch den Einkaufstourismus irgendwann zu Ende ist. Das ist eine reale Angst. Diese Frage stellt sich aber in Basel nie, denn Basel bleibt eine Zentrumsstadt, mit vielen unterschiedlichen Nutzern, mit einem breiten Angebot. Und die Basler Innenstadt hat einen ganz anderen Überlebenswillen als eine künstlich erschaffene Einkaufswelt mit und in Shoppingcentern. Kurz: Wir sind nicht derart abhängig von einer niedrigpreisgetriebenen Entwicklung wie sie sich gerade im deutschen Gebiet abspielt.

Was braucht die Basler Innenstadt? Also jetzt, dringend und direkt von den politischen und behördlichen Verantwortungsträgern? 

Wir sind ständig in Dialog. Und wir haben schon lange vor der Euro-Debatte betont: Das Wichtigste ist die Investition in die Infrastruktur. Wenn es einem gut geht, sollte man investieren. Das hat man in den vergangenen Jahrzehnten unterlassen, was wir bei den Immobilien sehen. Warum wird jetzt so viel umgebaut? Schlicht deshalb, weil man nicht rechtzeitig eingegriffen hat. Deshalb wird eben jetzt umgebaut, wenn es gerade wirtschaftlich nicht so rund läuft. Deshalb gibt es viele Baustellen im Moment.

Stichwort Baustellen: Das betrifft ja auch den Verkehr. 

Wir brauchen von der Stadt eine bessere Infrastruktur für alle Verkehrsträger. Attraktive Veloabstellplätze zum Beispiel. Attraktive Autoabstellplätze, so viele es halt eben braucht. Ein attraktives öV-Netz, wobei man dort sogar ein Stück retour kann, es muss nicht alles direkt durch die Innenstadt führen. Es braucht eine Wohlfühlgestaltung der Stadt, und das ist derzeit auch ein Hauptfokus: Die Strassenzüge möglichst schnell positioniert, attraktiv gestaltet, nivelliert. Siehe Mittlere Brücke, Greifengasse, Steinenberg, Falknerstrasse, aber eben auch Freie Strasse und Claraplatz. Dass also, wenn der Aufschwung wiederkommt – und danach sieht es aus –, auch die Stadt zeitgemäss daherkommt.

Das Ende einer wichtigen Baustelle: Die Gleiserneuerung am Steinenberg verbannte den öffentlichen Verkehr für Wochen aus der Innenstadt; dafür waren viele Menschen wieder zu Fuss unterwegs. ©barfi.ch

Sie wollen selbst zeitgemäss daherkommen, Pro Innerstadt Basel betreibt ein eigenes Online-Magazin um die Innenstadt zu promoten. Keine Sorge wegen des Streuverlusts in einer Region, die bereits ein überaus lebendiges Medienangebot hat?

Wir haben ja mit vielen Verlagen und Medienunternehmen Partnerschaften. Wir probieren auch gemeinsam aufzuzeigen, was diese Innenstadt braucht. Und gemeinsam ist in der heutigen Zeit extrem wichtig. Wir haben aber bemerkt, dass es viel zu wenige gibt, die eben auch Geschichten zu dieser Stadt erzählen, und dass viele, die ihre Stadt beurteilen, die Stadt gar nicht so gut kennen. Wir wollen daher – ohne zu behaupten: wir wissen das absolut – Geschichten erzählen, um zu zeigen, was diese Stadt bietet. Wir starteten mit einer Bloggerplattform, die recht erfolgreich war, und führen das nun mit basellive.ch weiter. Wir wollen den Leuten zeigen, wie viele tolle Sachen es in Basel gibt und sind deshalb damit auch auf allen Medienträgern präsent, also auf Papier wie auch im öffentlichen Verkehr und auf Online-Plattformen. 

Das ist ja geradezu offene Medienkritik, wenn Sie sagen, dass wir, also die Medienhäuser, zu wenig von der Stadt verstehen, über die wir schreiben.

Nein, so wollen wir das überhaupt nicht verstanden haben. Der Punkt ist, dass Medienhäuser – wie wir alle aus Dienstleistungsbetrieben – einem extremen Druck unterworfen sind. Es ist mehr so, dass man mehr einen Ansatz wagen kann, bei dem man versucht, Geschichten zu erzählen, die man dann mit anderen teilen kann. Ein spannender Ansatz ist ja, auf seiner Plattform nicht nur eigene Geschichten zu bringen, sondern auch gute Geschichten von anderen. Und damit gemeinsam zu versuchen, diese Stadt realistisch niederzuschreiben – und das soll auch kritisch sein. Wir sind dahingehend am ehesten vergleichbar mit dem Unternehmen Red Bull, das über ein Produkt verfügt und um das Produkt herum eine Welt erschafft. Mit Geschichten, mit Events, mit Magazinen. Und eigentlich sehen wir uns eben eher so: Wir wollen Geschichten erzählen aus einer Welt, die uns wichtig ist. Insofern sind wir für Zusammenarbeiten sehr offen und wollen mit den anderen Anbietern zusammen etwas aufbauen.

Was ist denn die Vorzeigemeile, das beste Produkt dieser Welt, das sie verkaufen wollen? Der Spalenberg? Die Freie Strasse? Der Marktplatz?

Das war genau der Fehler der vergangenen Jahre. Man suchte eine Vorzeigemeile und wählte die Freie Strasse. Das ist die falsche Sichtweise. Deshalb haben wir heute auch so eine seltsame Fokussierung auf diese Meile und empfinden es als negativ, wenn dort nur internationale Marken ansässig sind. Stattdessen sollten wir uns auf die Schulter klopfen und sagen: Hey, wenn die erfolgreichsten Marken der Welt in eine Kleinstadt wie Basel kommen, die auf einer Europakarte nicht einmal auftaucht, dann ist das sensationell. Gleichzeitig entwickelt sich eine Vielfalt in den Quartieren, in einem St. Johann, im Gundeli. Das macht unsere Stadt aus: Sie ist kompakt, sie ist attraktiv, sie hat kurze Distanzen und ein grosses Angebot. Verstecken muss sich Basel überhaupt nicht. Und schon gar nicht im Vergleich mit anderen, internationalen Städten.