• Jonas Egli
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Rauchende Köpfe kurz vor der Fasnacht: Interview mit einem Zeedelschreiber

Max E. schreibt die Verse für seine Clique. Bevor Comité und Publikum die Früchte der Kreativität begutachten können, brütet die Zunft der Zeedelschreiber über dem leeren Blatt. Es ist ein einsamer Job am Rande des Irrsinns.

Ohne Zeedel keine Fasnacht, Punkt. Doch die Verse fallen nicht vom Himmel. Kurz bevor es losgeht, muss noch der letzte Reim geschliffen oder schlimmer, noch erdichtet werden. Über seine Herkunft erzählt der Zeedelschreiber nichts, zum Interview erscheint er mit Larve und weigert sich, uns in einem der bekannten Fasnachtslokale zu treffen. Es sind die Geständnisse eines Zeedelschreibers kurz vor dem Morgestraich. Die Fragen haben wir ihm heute gestellt, seine Antworten sind aber schon 50 Jahre alt.

Herr E., danke dass sie bereit sind, mit uns über ihre hoch anspruchsvolle Arbeit zu reden. Seit wann gibt es die Zeedel überhaupt?

Sie sind schon in den 80er Jahren des [19.Jahrhunderts] nachgewiesen. Jedenfalls zitiert V. Lötscher Stellen aus den Fasnachtszeedeln des Jahres 1889, die den Wettstreit zwischen Basel und Zürich um den Standort des Landesmuseums, dann aber auch die Gründung des Christoph Merian’schen Stimmung verulken.

Heute wären das nicht mehr so gute Witze, über Zürcher und Merian lacht doch keiner mehr.

Es gibt an jeder Fasnacht — leider muss dies festgestellt werden — neben zahlreichen erfreulichen Zeedeln solche, die besser ungeschrieben geblieben wären.

Was macht einen guten Zeedel aus?

Ein guter Fasnachtszeedel soll das Sujet der Clique in möglichst klarer, humorvoller und auf jeden Fall anständiger Form behandeln. Freilich gehen die Ansichten darüber, was als anständig oder auf zumindest noch nicht anstossend zu bezeichnen sei, auseinander.

Das hat man auch schon vor 50 Jahren gesagt. Was heisst denn «anständig»?

Hach, man kann nicht alles hinnehmen, nur weil Frau Fasnacht das Szepter schwingt! Ein gewisses Flair für das, was noch ins Mass passt, dürfen die Verseschmiede nicht vermissen lassen. Sagen wir es so: Der vielfältigste Text macht die Runde beim begeisterten Publikum.

Könnte man die guten Verse nicht auszeichnen, um die Qualität zu erhöhen?

Auf Anregung des Staatlichen Literaturkredites wurde der Versuch unternommen, die besten Zeedel zu prämieren, doch scheiterte er am Widerstand der Fasnächtler selbst.

Warum? Belebt Konkurrenz nicht das Geschäft? Gute Arbeit würde wertgeschätzt!

Sie befürchteten, die Fasnacht werde zu einer Art Wettstreit zwischen den Cliquen im Sinne rekordsüchtiger Berufssportler ausarten. 

Ist das Zeedeldichten nicht ein einsamer Job?

In gewisser Hinsicht. Sobald das von den Cliquen gewählte Sujet bekannt ist, und das ist meist erst im Herbst oder gar noch später der Fall, überlegen die Verseschmiede im stillen Kämmerlein, wie sie das Sujet anpacken können.

Gibt es da verschiedene Strategien, wie man die Verse am besten hinbekommt?

Der eine Verfasser erreicht das Ziel mit einer fast genialen Leichtigkeit, der andere erarbeitet mühsam Zeile um Zeile, feilt an jedem Wort und zerreisst schliesslich doch wieder den ganzen Entwurf. Ich bin ja eher von der zweiten Sorte… 

Sie machen das, ohne sich mit der Clique abzusprechen?

Zeedeldichter und Laternenmaler haben eigentlich die gleiche Aufgabe. Der Zeedelverfasser muss vielfach das zu Papier bringen, was figürlich nicht dargestellt werden kann. Natürlich muss am Ende trotzdem alles zusammenpassen, mit der Laterne und den Requisiten und so weiter. 

Und dann, dann sitzt der Text und sie gehen ein Bleikügeli trinken?

Schön wär’s! Nicht selten kommt es vor, dass ich nur wenige Wochen vor der Fasnacht noch immer die verschiedenen rudimentären Bruchstücke des geplanten Zeedels im Kopfe herumtrage. Doch die Zeitspanne bis zur Fasnacht wird kürzer, die telefonische Mahnung des Cliquen-Obmannes immer dringender.

[Max E. seufzt und setzt zu einem Reim an]

«Jeedes Johr, uff d’Fasnacht ane

raucht mi Kopf, denn nundefahne

bald isch Fasnacht und ych Dropf

ha dr Zeedel erscht im Kopf!»

Das klingt ja schrecklich!

Der Druck ist grausam! Die ersten Verse rutschen recht leicht in die Tasten. Doch dann beginnt es zu hapern. Die Verse rollen mühsamer und immer langsamer… [Max muss kurz innehalten] …aus meinem allmählich ermattenden Gehirn. [wieder Pause]. Wenn’s gut geht, komme ich in nützlicher Frist zu einem vorläufigen Ende, ohne ein zweites Mal ansetzen zu müssen.

Aber dann gibt’s Kafi Luz zur Belohnung?

Und dann folgt die Kleinarbeit! Heisst es jetzt «fyre» oder «fiire», schreibt man «Beppi», «Bebbi» oder gar «Beppy»? In manchen Fällen sind sich unsere Baseldeutsch-Gelehrten gar nicht einig. Es ist zum Verzweifeln!

Was machen sie dann?

Da habe ich die Qual der Wahl. Zur Hauptprobe lade ich meine Frau (notabene eine Zürcherin) und meine Kinder ein und lese ihnen die Arbeit, von deren Brauchbarkeit ich nur selten im Innersten überzeugt bin, vor. Erst wenn das Gelächter echt tönt, also nicht bloss Spottgelächter ist, wage ich es, das Manuskript in den Briefumschlag zu stecken und der Post zu übergeben.

Jetzt aber, dann ist alles im Kasten und sie gönnen sich ein Fröschli?

Der Zeedel wird am nächsten Cliquen-Stamm heimlich-verstohlen herumgereicht und gelesen. Erst dann erfahre ich, ob er Zustimmung findet oder ob ich für die Zukunft als Zeedelverfasser in Ungnade gefallen bin.

Ja, aber DANN ist endlich alles gut! Querpfyffer?

Die eigentliche Feuerprobe hat der Zeedel freilich erst zu bestehen, wenn er während und nach der Fasnacht von Tausenden von Lesern und der Presse [er blickt mich an, die Masker verfinstert sich] kritisch begutachtet wird.

Haben Sie etwas gegen die Presse, Herr E.?

E Rätschwyb, wo als gaitscht und keift und kraischt,

e Schnüffler, wo durch d’Schlüssellöcher gnaisst,

e Winkel-Advokat, e dubiose,

e schwuule Fotograf mit z’änge Hose,

e Schtinggtier und e Abtritt-Gschichte-Dichter,

e Giftmolch und e geile Sitterichter:

Wenn das im Dürrematt sy Team fir s’näggschti

Schtigg isch,

denn her er gschpiggt, will das nämmlig s’Reporter-

Team vom «Blick» isch.

Okay, ich nehm das mal nicht persönlich. Können Sie uns wenigstens etwas zum Wetter nächste Woche sagen?

D’Zentralanstalt fir d’Wätterschetzig,

Die schaff jetz schynts in neijer Bsetzig.

D’Prognose miech der Hanspi Tschudi [blickt mich wieder an: «Dr AHV-Tschudi, kennsch?»)

Und läse dät-si s’Gärschter Trudi

Ja ich glaub, da kommt nichts mehr. Und sie sollten sich beeilen. Vielen Dank, Herr E.

I ha-n-e Bitt an Oschterhaas

(Wien-ich en kenn, verstoht er das):

«Kenntsch nid emool — statt mich go schteere —

s Reporterhandwärgg rächt go lehre?»

Ist ja gut. Tschüss.

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