• Christian Platz
  • Aktualisiert am

Sie kommen immer näher, bald werden sie in Basel wüten

Vor 1100 Jahren fielen grausame Steppenreiter aus den schier endlosen Weiten Osteuropas in Basel ein. Lange hatte man sie gefürchtet. Plötzlich waren sie hier und richteten ein Massaker an.

Heutzutage verbreiten sich Nachrichten in Windeseile – und in schier unüberschaubarer Menge – um die ganze Welt. So schnell, dass es immer schwieriger wird, Gehalt und Bedeutung dieser Informationen einzuordnen und zu überprüfen.

Wie ein Pferd laufen konnte

Im Jahr 917 unserer Zeitrechnungen waren Nachrichten genauso schnell, wie ein Pferd laufen konnte. Eine Reise nach – sagen wir – Köln, war weiter und anstrengender, als es heute eine Reise nach Australien ist. Distanzen und Berichte aus der Ferne hatten damals eine ganz andere Bedeutung.

Und anfangs des 10. Jahrhunderts gab es immer wieder höchst bedrohliche Nachrichten, die grosse Sorge auslösten, auch bei uns am Rheinknie. Wilde Reiter aus den osteuropäischen Steppen überfielen Städte, nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war, vergewaltigten Frauen und metzelten alles nieder, was ihnen im Weg stand – sogar von Kannibalismus war die Rede.

Heiden aus der Ferne

Damals war Basel eine kleine Stadt, eine Siedlung auf dem – und rund um den – Münsterhügel. Das Münster war damals das grösste Gebäude der Stadt, allerdings war es nicht der Bau, den wir heute kennen, sondern jenes Münster, das Bischof Haito im 8. Jahrhundert bauen liess. Basilea war eine fromme Stadt, von Geistlichen regiert, die Latein sprachen und lasen, eine Sprache, deren die einfachen Leute nicht mächtig waren. Die Angst vor dem Teufel, vor Dämonen und Geistern war allgegenwärtig – und die Heiden aus der Ferne waren mit diesen Schrecken aus Anderswelt durchaus verwandt. Ihnen war alles zuzutrauen.  

Genau vor 1100 Jahren ist es passiert, im Jahr 917 eben, unter den Historikern kursieren zwei Daten für den Überfall, das eine ist der 21. Januar, das andere der 20. Juli. Beobachter hätten die Nachricht in die Stadt getragen, die wilden Reiter seien unterwegs. Natürlich hat diese Neuigkeit Panik ausgelöst. Die furchtbaren, blutigen, teilweise fantasievoll ausgeschmückten Geschichten, die sich die Leute zu erzählen pflegten, hatten sich in weiter Ferne zugetragen. Doch plötzlich war jene Sicherheit, die sich aus der Distanz ergibt, weg. Mit einem Schlag. Die Gefahr war hier. Und grosse Teile der Stadtbevölkerung zog in die Wälder.

Unausdenkbares Übel

Was dann passierte, ist heute nicht mehr genau zu klären. Die einzige Quelle, die – einigermassen zeitnah – vom Überfall berichtet ist die Chronik des Mönchs Hermann von Reichenau, der über hundert Jahre später schrieb. Ihm ist die Zerstörung Basesl einen dichten lateinischen Satz Wert, folgende Aussagen sind darin enthalten: Ungaren, die zuvor in Deutschland (Allamannia) wüteten, haben Basel zerstört, danach zogen sie ins Elsass (Lotharii Regnum) weiter, sie waren viele und richteten unausdenkbares Übel an.

Später wurde die Geschichte ausgeschmückt. Der gute Basler Bischof Rudolf habe einige Getreue um sich versammelt und die Stadt mutig beschützt, dabei sei er von den Angreifern erschlagen worden. Danach hätten die Steppenreiter in den Strassen gewütet, Frauen und Kinder geschändet, Gott gelästert und sich gegenseitig Knochen an die Köpfe geworfen. In der Krypta des Basler Münsters gibt es einen steinernen Sarkophag, der eine Inschrift trägt, die von einem Bischof spricht, der von Heiden getötet worden sei. Ein Name ist allerdings nicht dabei – und Bischof Rudolfs Existenz ist geschichtlich nicht erwiesen.

Keine Hunnen

Noch später war dann immer die Rede davon, dass die Hunnen in Basel eingefallen seien. Doch es waren keine Hunnen, die grosse Zeit dieses Reitervolks, dessen Fürst Attila ja im Nibelungenlied vorkommt, unter dem Namen Etzel (man denke an das Wort Gemetzel), war im 10. Jahrhundert längst vorbei. Dieses Reitervolk aus Zentralasien hatte seine grosse Zeit 500 Jahre vorher.

Sondern Magyaren

Es waren vielmehr die Magyaren, also Reitervölker aus Ungarn, die im 10. Jahrhundert zu Plünderungszügen in ganz Europa aufbrachen. Es ist kein Wunder, dass sie auch Basel ausraubten, denn sie wüteten in vielen deutschen, französischen, schweizerischen Städten. Die Berichte von Basler Historikern aus neuerer Zeit mischten sich oft mit Zeugnissen von Ungaren-Einfällen auf andere Städte, die genauer dokumentiert sind. Etwa jenem auf St. Gallen, wo die Magyaren im Jahr 926 wüteten, wobei die Heilige Wiborada ihr schmerzensreiches Martyrium erlitten haben soll.

955 wurden die Magyaren dann von böhmischen und ostfränkischen Truppen geschlagen, in der Schlacht auf dem Lechfeld, damit nahm der Schrecken sein Ende.

Chroniken, Legenden, Verklärungen

Was bleibt, sind Chronikeinträge, Legenden, Verklärungen – und die Erinnerung an eine Zeit der Angst vor dem Schrecken aus der Ferne, der allmählich näherkommt, um sich dann plötzlich blutig zu manifestieren. Dieses Phänomen kann sich immer wieder ereignen, egal, ob die Nachrichten langsam und spärlich reisen, auf Pferderücken – oder so schnell wie der Schall durch die Luft. 

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