Die Steinenvorstadt, komplett anders als heute. ©Verschwundenes Basel
Die Steinenvorstadt, komplett anders als heute. ©Verschwundenes Basel
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

So schön wäre Basel – hätten unsere Grosseltern die Stadt nicht einfach eingerissen

Historische Bilder von Basel sind der Hit. Nein, nicht aus reiner Selbstverliebheit der Bebbi. Sondern weil sie über die Schande einer Generation hinwegtrösten, die der Stadt das Gesicht nahm und ihr eine Maske aus starrem Beton und Asphalt aufsetzte. Es ist Zeit, die Verwüstung des Baubooms zu korrigieren.

Basel ist die schönste Stadt der Welt. Sagen die Basler. Und sie sind überzeugt davon. Nichts sieht der Basler lieber als Bilder der Stadt, nichts hört er lieber als Geschichten der eigenen Vergangenheit und wehe, jemand bezeichnet die Fasnacht als Folklore: Das ist gelebte Tradition.

Die traurige Wahrheit aber ist: Basel ist nicht schön. Basel hat sogar einige der hässlichsten, kompliziertesten Flecken der Stadtbaugeschichte. Der heutige Aeschenplatz? Pfui! Die Steinentorstrasse und die Heuwaage? Bäh! Der Claraplatz? Oh. Mein. Gott. 

Die Stadt ist übersät mit wüsten Bausünden. Sie trägt Wunden der Vergangenheit, die nie verheilen wollten, nie konnten. Internet-Portale wie «Verschwundenes Basel» führen das tagtäglich vor Augen, wenn sie Bilder des so genannt «alten Basel» in die sozialen Medien streuen. Aber so alt ist dieses Basel, das die Bilder zeigen, nicht einmal. Ganz im Gegenteil.

Her mit der neuen Stadt – und weg war die alte

Der Claraplatz – früher und nach dem Bauboom. ©Verschwundenes Basel

Ende der 1940er-Jahre, kurz nach dem zweiten Weltkrieg herrschte in Basel Aufbruchstimmung. Oder besser: Abbruchstimmung. Während ennet der Grenze die von den Alliierten zerbombten Zentren deutscher Städte mühselig wieder aufgebaut werden mussten, beschloss der Basler Grosse Rat die mit historischen Gebäuden übersäten Vorstädte jenseits der ganz alten Stadtmauern zum Abbruch freizugeben. In einer Volksabstimmung bestätigte das Stimmvolk 1949 den Entscheid: Weg mit dem alten Basel. Her mit einer neuen, modernen Stadt. Man hatte einen verheerenden Weltkrieg hinter sich. Wachstum war angesagt. Auch die Basler waren scharf darauf. Vorerst passierte aber nichts. Der Entscheid war zwar gefallen, aber man flanierte dennoch durch unversehrte Strassenzüge. Es war romantisch, hier und da ein bisschen barock, aber wunderschön.

Der Aeschengraben, damals und danach. ©Verschwundenes Basel

Eine halbe Generation später kam die Abrissbirne und sie hiess Max Wullschleger. 1956 in den Regierungsrat gewählt, führte er in den Sechzigern aus, was das Volk bestimmt hatte. Es war die Zeit des Baubooms, Beton war ein Zauberwort, Basel wuchs, Basel brauchte Platz. Wullschleger, SP-Politiker, gelernter Eisendreher und ehemaliger Redaktor des kommunistischen «Vorwärts», ging tatsächlich vorwärts. Dem Stimmvolk war schon damals nicht mehr ganz wohl mit der Abbruchfreigabe, es hatte bereits ein Diskurs darüber eingesetzt, ob der Entscheid von damals gut war. Ob man ihn rund zehn Jahre später noch umsetzen sollte? Wullschleger aber sprach von «nötigen Wunden in der Stadt». Und die Bagger fuhren auf.

Es folgte der Abbruch des Äbtischen Hofs am Claraplatz, stattdessen wurden die hässlichsten Häuser der Innenstadt gebaut. Kurz darauf wurde die Steinentorstrasse geplättet, der Aeschenplatz wurde neu gestaltet. Das Diktat hatte der Beton und der «Brutalismus» in der Architektur: Gewaltige, gesichtslose Bauten, wuchtig und mächtig, die mit den zierlichen Altstadthäusern nichts mehr zu tun hatten. Prägende Architekten jener Zeit waren im Büro «Diener & Diener», die mit beeindruckender Ästhetik das Bild der Vorstädte und einiger Innenstadtbauten neu definierten.

Halbfertige Konzepte in Beton

Am Aeschenplatz. ©Verschwundenes Basel

Unter Wullschleger wurden unter anderem gebaut: Das drückende Heuwaageviadukt. Das erste Biozentrum. Die Universitätsbibliothek. Das neue Stadttheater, denn das alte von Johann Jakob Stehlin musste schlicht aus Modernisierungsgründen weg. Wullschleger liess die Johanniterbrücke umbauen, die Schwarzwaldbrücke wurde über den Rhein gewälzt und 1972 eingeweiht, Beton und Asphalt überall. In seinen zwanzig Jahren Amtszeit zwischen 1956 und 1976 wuchs das Volumen des Baudepartements von gerade mal zwölf auf sagenhafte 200 Millionen Franken an. Es war die Direktion Wullschleger, die das Basler Stadtbild baute, das wir heute kennen: Ein Flickenteppich aus historischen Altstadtbauten und Betonmonstrositäten, durchschnitten von massigen Strassen – teilweise wie der innere City-Ring nie ganz umgesetzt –, die heute wieder verkehrsberuhigt werden. Es war also auch die Direktion Wullschleger, die den Erfolg nostalgisch vergangener Stadtbilder heute beflügelt. Immerhin begründete Wullschleger 1959 auch ein Grünzonenkonzept. Aber die Stadt musste wachsen und man haute rein.

Die Stadt ist gebaut, heisst es heute, aber die Stadt verwandelt sich wieder: Hier ein Hochhaus im Gundeli, dort eins am Bahnhof, zwei weitere am Messeplatz werden noch kommen, der Grosspeterturm ragt jetzt schon stolz in die Höhe und, ja, der Roche-Turm, der gerade eine Schwester gebärt. Basel steckt in der Klemme zwischen Kantonsgrenze und Dreiländereck. Es gibt nicht mehr viel Fläche, die bebaut werden kann. Verdichtetes Wohnen, Arbeiten, Leben ist angesagt. Und das mitten in einer Umgebung, die vor bald 60 Jahren für eine damals gefühlte und heute schäbig anmutende Ewigkeit in Beton gegossen wurde.

Die tiefen Wunden des Baubooms

Wenn also Grossräte fordern, dass die Steinentorstrasse wieder schön gemacht werden soll, dass sie – in weniger diplomatische Worte verpackt – heute ein Schandfleck ist, dann reden sie über genau die Wunden, die ihnen die Generation des Baubooms hinterlassen hat. Wenn das «Verschwundene Basel» täglich Bilder aus dem Archiv gräbt, die die alte Pracht von Basel zeigt, dann führt es uns vor Augen, wie rücksichtslos die Stadtentwicklung der alten Bauherren vorangetrieben wurde. Und wenn allein die alles dominierenden Roche-Türme die Gemüter erhitzen, dann tun sie das zu Recht: Denn der Basler hat im Namen der moderne und der Notwendigkeiten schon so einige Sünden an der eigenen Vergangenheit begangen.

So bleibt es den Stadtentwicklern und Kantonsbaumeistern, den Heilungsprozess einer Bauschlacht in Gang zu setzen, die selbst Generationen später die Seele noch quält. Und sich das Erbe der Vergangenheit zu vergegenwärtigen, um diese geschichtsbewusste Stadt im Namen des Bevölkerungswachstums und der Steuersubstrate nicht weiter platt zu drücken. Basel hat weitaus Besseres verdient.

Am Wettsteinplatz. ©Verschwundenes Basel

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