• Andy Strässle
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Statt Arbeitsintegration sexuelle Belästigung: Asylzentrum Reinach noch mehr unter Druck

Sex mit Minderjährigen, Drogenkonsum, Grabschereien und anzügliche Sprüche: So soll es im Asylzentrum Reinach bei Nacht zugehen. Ein weiterer mittlerweile entlassener Betreuer ging am Wochenende an die Öffentlichkeit und erhob neue Vorwürfe. Neben Gemeindepräsident Hintermann gerät nun auch die Arbeitsintegration der Gemeinde zunehmend in Schieflage.

Das Asylzentrum Reinach verfügt an zwei Standorten über 132 Plätze für Flüchtlinge und mietet weitere zwölf Privatwohnungen für Familien an. Noch im Januar vor vier Jahren sagte Zentrumsleiter Christian Magni in einer Vorstellung seines Zentrums auf «Gemeinde-TV» stolz: «Es ist ein abwechslungsreicher Job, lebhaft mit grosser Verantwortung.»

Gut gebrüllt: Magni erklärt, dass sich fünf Personen 330 Stellenprozent als Sozialarbeitende teilen. Vier Personen aus dem Arbeitsintegrationsprogramm der Gemeinde würden sich an den zwei Standorten die Nachtwachen teilen. Seit dem vergangenen Sommer sorgt die Betreuung in der Nacht immer wieder für Schlagzeilen. Eine Betreuerin musste freigestellt werden, nachdem auf dem Handy eines 17-jährigen Afghanen anzügliche Fotos gefunden worden waren. Aufgeflogen war die Geschichte erst, nachdem der Flüchtling in einem anderen Heim auffällig geworden war.

Koks, Küsse und Minderjährige

Überhaupt soll es die Nacht in Reinach in sich haben, wenn man nach Medienberichten von Mitarbeitern geht: Koks während der Nachtwache und auch mal Küsse im Betreuerraum. Vielleicht nicht weiter schlimm, ginge es nicht um so genannte «Uma», also um unbegleitete, minderjährige Asylsuchende. Diesen Jugendlichen gegenüber ist das alles nicht gerade vorbildlich. So scheint das Arbeitsintegrationszentrum schon etwas länger zum Belästigungsprogramm geworden zu sein. 

Als die Gemeinde Reinach im Dezember reagierte, reagierte sie spät, und versuchte, die Situation mit diesen Worten zu entschärfen: «Tatsache ist, dass die Gemeinde Reinach Ende Juli dieses Jahres eine Sozialarbeiterin aus dem Asylheim wegen ihres Verhaltens gegenüber einem 17-jährigen Asylbewerber verwarnen musste. Da die Frau den Anweisungen nicht genügend Folge leistete, wurde sie Mitte August per sofort freigestellt.» Es wird gearbeitet, Fehler können passieren. Allerdings sind «sexuelle Handlungen» mit Minderjährigen ein Offizialdelikt und in einem professionellen Abhängigkeitsverhältnis wie in einem Heim besonders heikel. Gemeindepräsident Urs Hintermann stellt deswegen klar: «Es gilt die Unschuldsvermutung.»

Entlassen statt aufklären

Besser wurde die Geschichte anfangs dieses Monats aber nicht, denn der Gemeinderat entschloss, die Whistleblowerin Farideh Eghbali als Reaktion auf weitere Enthüllungen der Basler Zeitung zu feuern. Bei der eigens einberufenen Pressekonferenz im Gemeindehaus, prangerte der Gemeinderat die nun ebenfalls «freigestellte» Mitarbeiterin an und verhedderte sich weiter in Widersprüche. Man habe alles versucht, aber die Asylbetreuerin sei nach 20 Jahren im Dienst nicht mehr «führbar» gewesen und habe sich «trotz klarer Verabredungen» nicht an «ihre Kompetenzen» gehalten. 

Ihre Kompetenzen hatte sie durch das Studium von Videobändern überschritten, weil sie versucht hatte, die Missbräuche zu beweisen. Nicht von ungefähr: Heimleiter Magni, die Abteilungsleitung «Soziales» sowie die Gemeinde selbst bagatellisierten die nächtlichen Missstände weiter, so dass Eghbali nach dem letzten Strohhalm griff. Die Vermutung liegt nahe, dass die Verantwortlichen mit einer Kündigung im März meinten, die Vorwürfe aus dem Weg geschafft zu haben; da geriet ihnen Eghbali in die Quere.

Skandal auch im Männerhaus

Gemeindepräsident Urs Hintermann räumte vor den Medien zwar ein: «Vielleicht sind gewisse Formulierungen in meinen E-Mails nicht ganz geschickt gewesen.» Offenlegen wollte er aber auch an jenem Nachmittag nicht, was genau die Gemeinde unternommen hatte, um die Missstände im Asylzentrum aufzuklären. In der Gemeinde eskaliert der Streit jetzt weiter: Zwei Einwohnerräte gaben bekannt, dass sie Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung einreichen wollten. Sie vermuteten, dass jemand aus der Geschäftsprüfungskommission «vertrauliche Dokumente» an die Medien weitergegeben habe. Von den eigentlichen Missständen, die Eghbali an die Medien trug, spricht in Reinach jedoch weiterhin keiner. 

Ende letzter Woche meldete sich nun ein weiteres Opfer von Urs Hintermann in der Basler Zeitung zu Wort. Andres Pellegrini war seit kaum zwei Wochen im Einsatz. Die Sozialhilfe hatte ihn das Arbeitsintegrationsprogramm gesteckt. Bei der Nachtwache im Asylheim bemerkte er Übergriffe eines Kollegen. Nun fanden diese aber im Männerhaus statt. So habe ein Betreuer die Bewohner unsittlich angefasst und immer wieder auf Sex und auf «Männerliebe» angespielt. Auch anzügliche Textnachrichten und Geschenke an Männer sowie an minderjährige Bewohner seien vorgekommen. Die Zustände seien dermassen eskaliert, dass die Bewohner damit gedroht hätten, den besagten Betreuer zu verprügeln, da die Belästigungen nicht aufhörten.

Eine Gemeinde demontiert sich selbst

In der «Basler Zeitung» vom Samstag bestätigt Andres Pellegrini zwar, Heimleiter Magni habe  den Betreuer zwei Mal verwarnt. Die Belästigungen seien aber ungehindert weitergegangen. Statt den Untäter zu bestrafen, wurden am Ende Farideh Eghbali und er selbst entlassen. Ganz ohne Nachtreten ging es auch bei der Kündigung von Andres Pellegrini nicht. So schrieb ihm Hintermann, er habe «gegen einen homosexuellen Mitarbeiter gehetzt und der Gemeinde gedroht». Ähnlich wie bei Eghbali geht der Schuss für den Gemeindepräsidenten nach hinten los: Denn Andres Pellegrini ist sicher, sich nie gegen Homosexuelle geäussert zu haben und seine Drohung sei einzig diejenige gewesen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, falls die Vorfälle keine Konsequenzen hätten. 

Dazu erscheint es ohnehin absurd, dass ein Betreuer in einem Arbeitsintegrationsprogramm ohne Not auf sich aufmerksam macht, oder gar derjenigen Gemeinde droht, von der er finanziell abhängig ist. In Reinach scheinen die Missstände tiefer zu gehen und allmählich erscheinen die Sorgen, dass der «gute Ruf der Gemeinde» leiden könnte, wirklich berechtigt. Denn wenn das Arbeitsintegrations- zum Belästigungsprogramm wird und diejenigen, die den Mund aufmachen, bestraft werden, statt dass den Zuständen nachgegangen wird oder Fakten zu den Vorfällen vorgelegt werden – dann sind es nicht Medien oder Mitarbeiter, die den Ruf von Reinach lädieren. Dann ist es die Gemeinde selbst, die sich ruiniert.

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