Bild: barfi.ch
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  • Jonas Egli
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Tausendsassa Benedikt Wyss: Wir brauchen hier echte Debatten statt Mitmachtheater!

Wenige sind in Basel gerade so aktiv am Mitgestalten der kulturellen Gegenwart und Zukunft wie Benedikt Wyss. Das macht ihn und diesen Artikel echt interessant. Also weiterlesen! Wir haben den Kurator gefragt, wie sein Jahr 2017 aussehen wird, was Basel als Kulturstadt so auszeichnet und welche Herausforderungen auf uns zukommen.

«Mann der Stunde»

Als Samuel Leuenberger, der designierte Kurator des Art Parcours und Betreiber eines ausgezeichneten Ausstellungsraumes in Birsfelden gefragt wurde, welcher denn gerade der angesagteste Ort in Basel sei, zögerte dieser keine Sekunde und antwortete: Benedikt Wyss.

Wyss hat sich in den letzten Jahren mit etlichen Projekten einen Namen gemacht und es ist klar, dass er auch in Zukunft das kulturelle Geschehen in der Stadt mitbestimmen wird. Sein Plan ist es, den Kunst- und Kulturbetrieb vom Staub des Elitären zu befreien und als Instrument zu verwenden, um Brücken zu schlagen. 

Er hatte ursprünglich Geschichte und Sport studiert, wurde dann Lehrer und landete später irgendwann im Sportmuseum, welches er als Sprungbrett für alle weiteren Tätigkeiten nutzte. Das kaum beachtete Museum liess im alle Freiheit, erste Ausstellungen zu organisieren. «Ich fand es super, dort arbeiten zu können, auch wenn die Institution einen sehr schwierigen Stand hat.» Dass das arme Museum zwischen Stuhl und Bank fällt, ist klar: Für Sportinteressierte riecht es zu stark nach Kulturmief, für die Kulturbohmèmes aber nicht stark genug. «Es ist eigentlich tragisch, dass dieses Thema nicht anständig kulturell behandelt wird. Das muss man historisch und künstlerisch betrachten oder auch mal in die Pfanne hauen. Sport ist einfach ein riesengrosses Thema, egal, was man davon hält.» Das war 2015. 

Seit letzten Sommer ist Wyss selbstständig und kümmert sich darum, dass solche Chancen nicht mehr ungenutzt bleiben. 

Delikatessen und Muskeln

Eines der Hauptprojekte ist der Social Muscle Club, den er von Berlin nach Basel brachte. Das abendfüllende Experiment fand kürzlich bereits zum achten Mal in Basel statt und beschäftigt ein ganzes Team. Er und sein Club waren unlängst in Südafrika und Kroatien zu Gast. Das Konzept ist einfach: in einer kleinen Tischgesellschaft findet ein einfacher Tauschhandel statt. Man bringt einen Wunsch und ein Angebot und versucht dann, diese zu verhandeln. Jeweils über hundert Leute, je zehn an einem Tisch, bringen ihre Angebote, welche nicht mit dem gewöhnlichen, universellen Tauschgut Geld vermittelt werden können. Man muss ins Gespräch kommen. «Ob Massage oder Kochrezept, materiell bis konzeptuell ist alles möglich, man kann auch ein gesungenes Lied anbieten. Wir hatten auch schon Tätowierer, die ihr Besteck dabei hatten,» so Wyss, der gegenüber der Idee zuerst skeptisch war. «Ich suchte während meiner Kuratorenausbildung in Berlin nach Projektformaten im Kunstbereich, die mich herausforderten. Social Muscle Club klang für mich zuerst schrecklich, nach Mitmach-Theater. Und genau darum ging ich hin. Einmal da, war es dann doch toll. Das ist extrem wertvoll, dass man sich so überwindet.» Wer etwas gibt, erhält nicht sofort etwas zurück. Es ist ein bedingungsloses Geben und Nehmen. Alle kommen am Ende so gut weg, wie sie wollen. Um nicht stehen zu bleiben, findet der Social Muscle Club möglichst jedes Mal an einem neuen Ort statt, so kehrte das Spiel schon im Hotel Trois Rois oder in der Kunsthalle ein, in diesem Jahr wird man es zuerst in einer Kirche (am 11.3.) und dann in einem Flüchtlingsprojekt (am 27.5.) versuchen. «Wir brauchen Durchmischung, Unvorgesehenheit und neue Leute. Nicht, dass wir am Ende zu bequem werden,» meint Wyss.

Deli Projects ist das andere, wiederkehrende Format. «Deli» meint Delicatessen und ist eine Abkürzung für ein beliebtes Ladenkonzept, welches in Deutschland die «Spätis» sind und hier einfach «Türkenladen» genannt wird: Ein farbiges, ausgewähltes Angebot rund um die Uhr. Deli ist eine Gruppe von drei Leuten, hat keinen fixen Ort und steht im Zeichen der Begegung: «Ich möchte auch Leute wie mich, der mit Kunst erstmal nichts am Hut hatte, für meine Projekte gewinnen. Das funktionert nur über die persönliche Begegnung.» Sie bauten das Café Hammer um und konnten schon Berühmtheiten wie den Lautenspieler Jozeph van Wissem gewinnen, der in etlichen Filmen von Jim Jarmusch mitgespielt hat und mit diesem ein Album namens «Etimasia» aufgenommen hat. Wyss lacht: «Ich weiss bis heute nicht, wie wir den ins Gundeli bekommen haben.» Es zeigt, wie ein unverstellter Blick und eine Prise Angstlosigkeit Wunder bewirken können.

Blick nach vorne

Etimasia bedeutet so viel wie «Bereitschaft» oder «vorbereiten». Für Benedikt Wyss ist der Blick in die Zukunft entscheidend: Gerade werden die Weichen gestellt, ob Basel in Zukunft «normal sein wird oder geil.» Die Stadt erschliesst in nächster Zukunft mit verschiedenen urbanen Entwicklungen riesiges Potential: Ob Dreispitz, Volta Nord oder Klybeck Plus, Wyss wurde plötzlich bewusst, «dass man das anpacken muss.» Besonders die Entwicklung im Klybeck, wo mit den Arealen von BASF und Novartis mehrere hunderttausend Quadratmeter geöffnet werden, ist für ihn ein Prüfstein der Zukunft. 

«Basel hat einen ziemlich deutlichen Grundton von Offenheit. Das fällt mir auf. Es ist recht lebenswert im Moment,» hält er fest. Damit dies so bleibt, braucht es Leute, die teilhaben wollen und ein Netzwerk von Stiftungen, die es ermöglichen. Die Bereitschaft der öffentlichen Unterstützer, aktiv mitzumachen, sei bemerkenswert, so Wyss. Oft zeigt sich, wie eine Stadt tickt, wenn Raum frei wird und sich eigenständig ein Leben entwickelt.

Während der Art Basel 2016 verwandelten Benedikt Wyss und Demian Wohler unter dem Namen Haus#99 ein Abbruchhaus in ein temporäres Hotel für Künstler aus aller Welt. Bild: benediktwyss.com

Die Weichen stellen für 2018 und danach

Wenn er nicht gerade Draisinenrennen organisiert, widmed er sich neben etlichen anderen Projekten dem bisher grössten auf 2018 geplanten Vorhaben: Mit zwei Freunden (Historiker und Kulturvermittler Claudio Miozzari und Dominique Rudin) will er eine Ausstellung über die Geschichte von Zwischennutzungen, Freiräumen und Besetzungen seit 1968 organisieren. Es ist im Grunde das fünfzig-Jahr-Jubiläum der alternativen Szene in Basel und die Alte Stadtgärtnerei, als erstes solches Projekt, feiert gleichzeitig das dreissigste Jubiläum. Solche Projekte wie auch das Walzwerk, die alte Stückfärberei, der 1.Stock oder das NT* Areal, aber auch das Palazzo in Liestal, hin zu, eben, Projekten wie Klybeck plus, sind es, welche neue Impulse liefern. Wie bereits beim Sportmuseum geht es Wyss darum, eine Debatte entstehen zu lassen, statt einfach eine Feier der linksalternativen Aufmüpfigkeit zu veranstalten. Wyss ist überzeugt, man müsse das äusserst kritisch betrachten, dass man eine fruchtbare Debatte eröffnen muss, die nicht nur auf blumiger Besetzer-Romantik fusst. Wichtig ist, dass man die Zukunft nicht einfach irgendwelchen Bauherren überlässt, wie die Erlenmatt zeigt. Und deswegen brauchen wir Leute wie Benedikt Wyss.

«Wir müssen zeigen, dass uns bewusst ist, dass dies ein kontroverses Thema ist und immer bleiben wird, aber auch, dass viele Entwicklungen, die eine Stadt lebenswert machen, aus Kontroversen entstehen.»

Bild: barfi.ch

Zusammen mit dem Projektraum «Trikot» ist Deli Projects auch an der diesjährigen Museumsnacht vertreten. Der promovierte Nachtforscher Michel Massmünster soll die Besucher durch die Dunkelheit führen. Für das Projekt "Im Taumel der Nacht" arbeiten sie zudem mit dem Lausanner Künstler Christopher Füllemann zusammen und zeigen verborgene Kunst aus Kleinbasler Privatsammlungen.