Und in der Ferne steht der Roche-Turm: Basel wird schneller anders, als es ticken kann. Bild A. Schwald
Und in der Ferne steht der Roche-Turm: Basel wird schneller anders, als es ticken kann. Bild A. Schwald
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Trügerische Erotik der Stadtentwicklung: Das neue Basel wird gebaut – jetzt. Doch kaum einer widerspricht

Basel steht an der Schwelle zur Zukunft: Die Stadt wird neu und sie wird vor allem anders – und das hier und jetzt. Mit den grossen Entwicklungsplanungen verbaut sich Basel gerade selbst. Mit fast schon erotischen Auswüchsen, aber erstaunlich wenig Kritik.

Jetzt im Bau: Das Meret Oppenheim-Hochhaus am Bahnhof Süd. ©SBB

Die Stadtentwickler hat die Lust gepackt. Eine grosse, tiefgreifende Lust nach Gestaltung, eine unwiderstehliche Lust nach einem Basel der Zukunft. Man möchte fast schon von erotischen Ausmassen sprechen, wie sich hier die Hochhäuser gen Himmel recken, die höchsten der Schweiz, und wie weitere aus dem Boden spriessen mit glänzenden Fassaden aus Glas und Stahl.

Seit fast zwei Jahrzehnten verändert sich das Gesicht der Stadt. Aber gemessen, an dem was kommt, sind das erst einige Stirnfalten des mutierenden Antlitz’ Basels: Der Novartis-Campus, der Messeneubau, die Roche-Hochhäuser, der Baloise-Park, der am Bahnhof entsteht, das sind markante Merkmale. Die wirklich grossen Dinger kommen noch: Es sind die neuen Quartiere, die unsere Stadt von Norden und Süden her umarmen werden.

Die Entwicklung dieser Stadt ist zu einem wahrhaftigen Behörden-Erotikum geworden. Kein Wunder, Basel platzt schliesslich aus den Nähten: Die enge Kantonsfläche, auf der sich die Stadt ausbreiten kann, ist praktisch zugebaut. Gleichzeitig drängt viel Volk nach Basel, man will in der Stadt wohnen und arbeiten, zumal es der Pharmabranche immer noch exzellent geht.

Planen wie die Frischverliebten in weissen Laken

Klybeck Plus, hier wird entwickelt. Bild A. Schwald

Und mitten in dieser ächzenden Raumnot sind da plötzlich Flächen, die frei werden. Die Christoph Merian Stiftung (CMS) pflügt den Dreispitz um, dann kommt das Klybeck-Areal hinzu, das die Chemie für die Stadt frei gibt, und ja, auch der Güterbahnhof Wolf wird überbaut und nicht zulezt noch Volta Nord. Die Planer sind genau so scharf auf die Entwicklung der Areale wie die Landbesitzer und die Immobilienhaie: Alle diese Planungen eröffnen ganz schöne wirtschaftliche Perspektiven, für die Baubranche wie für die Landbesitzer und Hausverkäufer. Die Industrie braucht die Flächen nicht mehr; jetzt wird gestaltet. Was für ein Sandkasten, was für ein Vergnügen.

Der neue Städtebau in der Schweiz boomt und das nirgends so stark wie in Basel-Stadt. Hier wühlen sich Entwicklungsexperten und Architekten durch Planspiele wie Frischverliebte durch weisse Laken im sanften Licht eines Sonntagnachmittags. Dabei wird das Gesicht der Stadt für die nächste Hälfte dieses Jahrhunderts umgepflügt. Zusammen mit Denkmalpflegern, Stadtarchitekten und Behörden wird versucht, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, nicht einfach abzureissen und neuzubauen, das Quartier miteinzubeziehen, ja, gerade bei Klybeck Plus herrscht fast schon alarmierendes Harmoniebedürfnis aller Beteiligten. Hauptsache, das Geschäft geht reibungslos und möglichst zeitoptimal über die Bühne.

Der Klammergriff von Zukunftsbasel

Die Tatsache, dass in diesem laufenden Jahrzehnt aber jede in Basel frei werdende Fläche gleich für die nächsten Generationen verplant wird, bleibt allerdings weitgehend im Hintergrund. Die Bedeutung dessen darf vor lauter Stadtentwicklungs-Erotik nicht vergessen werden – egal, wie dezent bevölkerungsnah man die Planung vorantreibt.

1. Der Dreispitz: Rund 50 Hektaren

Entwicklungsplanung Dreispitz. ©CMS

Das aktuell grösste Projekt mit einer Fläche von rund 50 Hektaren, aufgeteilt auf Basel und Münchenstein. Federführend ist die Christoph Merian Stiftung (CMS) als Landeigentümerin. Wegen zu grosser Planungsschritte musste die CMS bereits zurückbuchstabieren. Aktuell laufen mehrere Projekte auf dem Areal; die Hochschule für Gestaltung und Kunst steht schon, bald soll auch die Wirtschaftsabteilung der Fachhochschule Nordwestschweiz auf den Dreispitz ziehen. Im Norden plant die Migros ein Stadtentwicklungs-Projekt und im Osten kommt die Überbauung am Walkeweg zu stehen.

Der Dreispitz ist derzeit ein Labor-Paradies für Stadtentwickler. Eine für Basler Verhältnisse gigantische Fläche mit so vielen Absichten und ersten Prunkbauten, dass der Überblick schnell verloren zu gehen droht. Am Schluss, wenn in einigen Jahrzehnten die Entwicklung abgeschlossen ist, steht dort nicht nur ein neues Quartier, sondern gleich ein neues, kleines Basel, das bis in die Gemeinde Münchenstein hineinreicht.

2. Klybeck Plus: Rund 30 Hektaren

Klybeck Plus, ein Grossprojekt. ©klybeckplus.ch

Das Erbe der chemischen Industrie darf endlich von der Stadt neu geformt werden. Hier war die ehemalige Ciba entstanden, hier stehen noch Backsteinbauten und Industriehallen aus längst vergangenen Zeiten. Doch die Zeiten ändern sich und Pharma tut es auch und jetzt wird die Fläche nicht mehr gebraucht. Rund 30 Hektaren umfasst das Gelände; in etwa 20 Jahren soll hier gewohnt und gearbeitet werden.

Klybeck Plus wird ein neues Quartier in Zentrumsnähe, eingebettet ins heutige Klybeck und angrenzend ans Matthäus-Quartier. Hier arbeiten die Planer mit Skalpell und Pinzette statt mit dem Pflug wie auf dem Dreispitz. Möglichst viel soll erhalten bleiben, das postindustrielle Cachet gewahrt werden. Auch Klybeck Plus ist keine einfache Überbauung, es ist das Design eines ganz neuen Stadtteils im Norden, der über die nächsten Jahrzehnte die neue Realität werden wird.

3. Güterbahnhof Wolf: Rund 16 Hektaren

Das Wolf-Areal wird auch überbaut. ©SBB

Die Schweizerischen Bundesbahnen sind auch nicht mehr auf so viel Land angewiesen wie früher. Das Areal mit seinen 16 Hektaren soll ebenfalls Wohnen und Arbeiten ermöglichen; auch der Wolf wird ein eigenes kleines Quartier zwischen St. Alban, Gundeli und Dreispitz.

Gerade hier stellen sich auch wichtige Fragen der Erschliessung: Wie kann ein Areal, das eigentlich einmal ein Güterbahnhof war, gegenüber den angrenzenden Quartieren geöffnet werden? Die Pläne sind noch nicht sicher, erste Projektierungen laufen. Ein ganzes, die Kantonsgrenzen überschreitendes Quartier wie auf dem Dreispitz wird es nicht geben. Eher wird der ehemalige Güterbahnhof eine Ergänzung der bestehenden Quartiere. Auch hier wird Basel aber Wohnraum für viele hundert Menschen erhalten.

4. Volta Nord: 11,6 Hektaren

Das Areal von Volta Nord, entlang der Gleise. ©www.bs.ch

Das nördliche Pendant zum Güterbahnhof Wolf im Süden der Stadt ist Volta Nord. Auch im St. Johann machen die SBB Raum frei, den die Stadt und ihre Baupartner dankbar entgegennahmen. Volta Nord umspannt 11,6 Hektaren Land und wird ebenfalls Wohnen und Gewerbe vereinen.

Hier äusserten sich bereits Gewerbetreibende mit Bedenken: Sie befürchten eine Verdrängung durch Wohnraum. Der Kanton beschwichtigt aber, dass mindestens die bestehenden Flächen erhalten bleiben – zu neuen Preisen, wohlverstanden. Die Überbauung bringt bis zu 2’700 neue Arbeitsplätze an den Standort und ermöglicht dazu Wohnungen für bis zu 2’000 Personen. Auch diese Entwicklung braucht noch Jahre, bis sie sich baulich manifestiert.

Kritik? Welche Kritik?

Der Campus von Novartis, eine eigene Welt. Bild A. Schwald

Es sind diese unsere ersten zwei Jahrzehnte des neuen Jahrtausends, die das Gesicht des künftigen Basel prägen. Kein Wunder ist die Basler Regierung so lustvoll angetan vom Thema Stadtentwicklung: Sie kann die Gestaltung der eigenen Zukunft so tiefgreifend vorantreiben wie schon lange keine Regierung mehr vor ihr. Mit diesen Projekten setzt sie sich ein Denkmal für die nachfolgenden Generationen, die übernehmen und zu Ende führen, was die heutigen Amtsträger beschlossen und eingeleitet haben.

Umso erstaunlicher daher, wie wenig sich das Parlament einmischt. Ausser die Planungen weitgehend abzusegnen und im Kleinen noch ein bisschen zu konfigurieren, läuft wenig. Widerstand gegen die exekutive Gestaltungslust gibt es erstaunlich wenig. Man pflegt den Konsens des «Richtigen und Wichtigen», das diesen Projekten und Entwürfen auf den ersten Blick stets innewohnen zu scheint. Das belegt die Debatte um den Bau des Roche-Turms: Mit den Argumenten der wirtschaftlichen Notwendigkeit von Bau 1 wurde selbst von der ansonsten doch noch einigermassen wirtschaftskritischen SP sämtliche Gegnerschaft zum Schweigen gebracht. Allerdings kein schlechtes Zeichen für eine Partei, wenn Vernunft über Ideologien siegt.

Heute geplant, morgen leer: Risiko Geisterstadt

Industrie-Charme soll erhalten werden, findet man heute. Bild A. Schwald

Ja, die Stadt muss sich für die Zukunft rüsten. Die Stadt will immer noch wachsen, wie sie es seit ihrer Gründung tut; fertig gebaut ist eine Stadt per se nie. Wir stehen also nicht nur in einer Planungszeit von immenser Bedeutung – von Infrastrukturprojekten wie dem Herzstück und dem nötigen Strassenbau ganz zu schweigen. Wir sehen uns auch einer Situation gegenüber, die vor allem Generationen nach uns prägen wird. Einer Situation, die letztlich über deren Gedeihen bestimmt und darüber, wo die neuen Trend- und künftigen Arbeiterquartiere entstehen, so es letztere noch brauchen wird. Denn obwohl der Slogan «Wohnen und Arbeiten» heute im Trend ist, so muss das nicht heissen, dass unsere Nachkommen ihr Leben noch nach den gleichen wirtschaftlichen Prinzipien und Annehmlichkeiten aufbauen werden wie wir.

Bei aller Planungswut angesichts so vieler von Firmen nicht mehr benötigter Flächen: Vergessen wir nicht die Eigenständigkeit unserer Kinder und Kindeskinder. Schliesslich glaubten unsere Vorfahren vor erst 50 Jahren auch noch, dass es gut und notwendig sei, die halbe Altstadt abzureissen und durch Betonbauten zu ersetzen, die man heute lieber wieder entfernt sähe. Dann denken wir vielleicht daran, das wir nicht alles, was gerade in Basel frei wird, bis zum letzten Fitzelchen Planungsfläche nach heutigen Massstäben zupflastern sollten, weil die Zeit drängt, die Mode auch und das Angebot einigermassen lukrativ war.