©unsplash.com/Vinicious Amano
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  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Üble Masche mit K.O.-Tropfen in Basel verbreitet – aber Anzeigen gibt es viel zu selten

Mal kurz was ins Getränk geschüttet und das dem Kontrollverlust ausgelieferte Opfer ausrauben oder dann gleich sexuell belästigen: Das ist die üble Masche mit den K.O.-Tropfen. Das passiert meist im Ausgang, in Bars und Clubs, aber auch zu Hause. Die Dunkelziffer ist hoch, zu Anzeigen kommt es allerdings viel zu selten.

Der Abend hätte grossartig sein sollen. Da war diese Party, sie gingen zu dritt hin, zwei Frauen und ein Mann. Am Anfang war alles noch sehr lustig, man tanzte, kam im Lärm ins Gespräch oder zumindest zu jener Kommunikation, die zwischen wummernden Bässen und viel Körperkontakt noch möglich ist. Ein bisschen laut, ein bisschen verliebt auch, mehr in die Situation als ins Gegenüber, aber das spielte keine Rolle. Vanessa liess sich gehen.

Dann der Zusammenbruch. Dabei hatte sie nicht mal zu viel getrunken, einen Gin Tonic und den zweiten halb. Das erträgt sie normalerweise gut und ein bisschen betrunken geht doch immer, dachte sie, aber das hier war anders. Sie merkte noch, wie ihr der Abend entglitt, wie ihr erst der Raum entglitt, die Farben, die Klänge und dann ihr Körper. Dieses hilflose Gefühl, wenn du nur noch ein Klumpen deiner selbst bist, alles um dich irgendwie wogend, aber du bist völlig weg. Ausgeknockt. Finito. Vanessa hatte Glück: Ihre Begleiter waren zur Stelle, fingen sie auf und trugen sie aus dem Club. Die Security schüttelte nur den Kopf, schon wieder eine Betrunkene, die sich heillos abgeschossen hatte.

Die Szene in einem Basler Nachtlokal am Neujahrswochenende ist keine Seltenheit. Vanessa wurde verabreicht, was allgemein als K.O.-Tropfen bezeichnet wird. Ein Wirkstoff, in einem kurzen Moment ins Getränk gekippt. Das Opfer nimmt einen Schluck und dann: Knockout. Den Stoff zu besorgen, ist relativ einfach, wie «Virus» von Radio SRF in einem Beitrag über die Folgen schildert. In der Regel fehlt den Betroffenen danach die Erinnerung an mehrere Stunden. Anzeige will Vanessa keine machen, sie wüsste ja nicht gegen wen, und sie glaubt auch nicht, dass es etwas bringt. Und dann ist da diese Scham, weswegen sie auch anonym bleiben will. Man sieht sich nicht besonders gern als hilfloses Opfer eines Übergriffs, vor allem nicht im Ausgang, wo man sich ja eigentlich gehen lassen, feiern will.

Viel zu selten gibt es Anzeige

Auf jeden Fall aufs eigene Getränk schauen. ©unsplash.com/James Garcia

So geht es den meisten Betroffenen. Oft sind es Frauen, manchmal auch Männer. Die Basler Staatsanwaltschaft spricht auf Anfrage davon, dass pro Jahr nur wenige Fälle zur Anzeige gelangen. Die Dunkelziffer aber ist hoch. Erschwerend dabei ist, dass der Wirkstoff nach etwa zwölf Stunden im Körper nicht mehr nachweisbar ist. Und die wenigsten nehmen eine Urinprobe von sich selbst, um später Spuren nachweisen zu können. Denn irgendwie könnte es ja auch der Alkohol gewesen sein, nicht? Oder?

Tatsächlich ist es manchmal nicht ganz einfach zu unterscheiden, ob K.O.-Tropfen im Spiel waren oder nicht. Es gebe immer wieder Menschen, die bewusstlos ins Spital eingewiesen würden, weil sie zu viel getrunken, aktiv zu viele Drogen konsumiert oder nächtelang durchgetanzt haben und schlicht dehydriert waren. «Viele können sich einen Filmriss nicht erklären und gehen dann fälschlicherweise von einem Delikt aus», sagt Peter Gill, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft. Es gibt aber auch eindeutige Anzeichen, so Gill. Es fehlen nach dem Knockout Geld oder Wertgegenstände, man erwacht an einem fremden Ort oder noch schlimmer: man erwacht ohne Kleider, möglicherweise sind Spermaspuren oder Spuren einer Gewaltanwendung vorhanden – ohne jegliche Erinnerung.

Und dazu der klassische Rat: Das Getränk nicht unbeaufsichtigt stehen lassen und sich auch nichts von jemandem bringen lassen. «Auch schon ein kurzer Augenblick genügt, um dem Getränk eine Substanz beizufügen», heisst es vonseiten der Basler Polizei. Leichter gesagt als getan allerdings, denn wer stets aufs Getränk aufpassen muss, dem verleidet irgendwann der Abend. Und dass die Täter auch nicht unbedingt Unbekannte sein müssen, schilderte die NZZ am Mittwoch in einem Bericht über einen Fall bei einer Firmenfeier.

Im Fokus: Frauen. Aber auch Männer.

Die Clubbetreiber sind sensibilisert, aber auch für die andern Gäste gilt: Zivilcourage. ©unsplash.com/Abigail Lynn

Das Phänomen von K.O.-Tropfen sei seit längerem bekannt, sagt Gill. Es gebe zwei Kategorien von Opfern: Frauen, die anschliessend entweder ausgeraubt oder sexuell missbraucht würden. Oder Männer, die Opfer eines Raubdelikts werden – meist in der eigenen Wohnung. Das läuft dann laut Gill meist so ab: «Frauen verabreden sich mit Männern bzw. animieren sie in einem Lokal und gehen mit ihnen nach Hause. Dort wird ihnen in einem unbeobachteten Moment eine Substanz ins Glas getan, damit sie das Bewusstsein verlieren. Anschliessend rauben sie die Männer aus.»

Gemessen an den «einigen wenigen Fällen», die laut Gill pro Jahr zur Anzeige gelangen, lassen sich keine Aussagen über Verbreitung oder Häufung K.O.-Tropfen-Delikten ableiten. Die Dunkelziffer von Betroffenen ist allerdings hoch. Das sind dann all die Menschen, denen der Vorfall selbst peinlich ist und die nicht wüssen, wen sie anzeigen sollen. Weil es einfach passiert ist.

Dass es wenig Anzeigen gibt, heisst aber noch lange nicht, dass K.O.-Tropfen selten zum Einsatz kommen. «Die Clubs können bei der Prävention nicht viel machen, aber wenn es passiert, dann schon», sagt Alex Flach. Er ist Spezialist fürs Nachtleben, kommuniziert für Clubs in der ganzen Deutschschweiz und ein Urgestein der Szene. Flach hat den NZZ-Artikel auf seiner Facebook-Page geteilt, darunter fand eine engagierte Diskussion statt, bei der sich auch einige Opfer äusserten. Andere Nutzer wiesen wiederum auf Strohhalme hin, die Zusatzstoffe anzeigen, die definitiv nicht in ein Getränk gehören.

Wider die Scham und den Schmerz

Die Clubs seien allesamt sensibilisiert, sagt Flach. Ob in Basel oder Zürich, «da herrscht absolute Nulltoleranz». Wenn einer geschnappt werde, sei klar: Durch Security festhalten, Polizei, Hausverbot. Und dann ist da noch die Zivilcourage unter den Gästen. Wer sieht, dass jemand Getränke manipuliert, sollte ohnehin umgehend die Security einschalten. Und was sind das so für Typen, die mit den Tröpfchen herumziehen? «Oft dieselben, die es lustig finden, Leute mit Pfefferspray anzusprayen, absolut kranker Humor», sagt Flach. Oder Jungs, die glauben, so jemanden abschleppen zu können – auf die kriminelle Tour.

Entscheidend ist, den Opfern die Scham zu nehmen und Fälle anzuzeigen – lieber einmal zu viel als zu wenig. Auch wenn es Überwindung kosten mag, auch wenn einem andere Dinge jener Nacht immer noch peinlich sein mögen, auch wenn man am liebsten einfach vergessen möchte. Denn so lange die Ziffern der Betroffenen im Dunkeln bleiben, so lange kommen die Tröpfchenverbrecher praktisch ungeschoren davon. Was bleibt, sind Scham, Schmerz und nur allzu oft der Verlust von mehr als den dringend benötigten Erinnerungen, um das Desaster einer Nacht rekonstruieren zu können. 

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Die Opferhilfe beider Basel bietet auf ihrer Website neben Beratung auch eine Info-Seite inklusive Flyer zum Thema K.O.-Tropfen an.

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