Ein grosses Banner prangt auf allen Einfahrten zur Trottoir-Toleranzzone: «Wir schieben, wenn’s eng wird. Für ein entspanntes Miteinander.» Bloss, ob es nun eng ist oder nicht, da öffnet sich eine Grauzone. «Es isch e Schissdräck!» ruft einer aus. Er wusste nicht, dass Fahrradfahrer fahren dürfen. Ein Radfahrer wiederum fragt die Security-Männer: «Darf ich?». Ja er darf. Was er nicht weiss: Nach der Brücke, ab Höhe Rheingasse, ist wieder schieben angesagt. Das erfährt er von einem anderen Ordner durch ein forsches «Hey, Sie!». Auf der anderen Seite ist die Situation nicht besser: Das ohnehin schon vertrackte Strassengewirr an der Schifflände wird durch die Baustelle zum Ratespiel. Ein Bus, eine Absperrwand, Passanten, das ergibt eine haarsträubende Angelegenheit. Für den Fall, dass es zum Fall kommt, wurden die Brückengeländer mit Holzbalken erhöht. Ein Zeichen, dass die Situation so gedacht und geplant ist. Wenn schon Unfälle, dann nur, solange niemand in den Rhein stürzt.
Für die nächsten acht Wochen findet auf der Mittleren Brücke ein Experiment über die Grenzen zwischenmenschlicher Kommunikation statt. Heute war der erste Tag des neuen Trottoir-Regiments. Und er hat gezeigt: Längst nicht alle wissen Bescheid. Kommunikation und Geduld ist gefragt.
Ein Schildlein steht im Walde
Ein Doppelkinderwagen, ein Fahrrad und im Gleichschritt eine Handvoll Touristen. Kopfschütteln, klingeln, konsterniertes Raunen. Schnell wird aus dem Miteinander ein Gegeneinander, alte Ressentiments brechen auf. Ein blaues Schild weist zwar darauf hin, dass das Trottoir auf der Brücke beidseitig gleichzeitig ein Gehsteig und ein Fahrradweg ist. Doch der Platz ist eng, besonders zu den Stosszeiten. Die Lage ist seitens der Kantonspolizei klar: Es ist ausgeschildert, und so gilt es auch. Nur, zwischen all den Bannern und Weisungen geht das kleine, blaue Rund rasch unter.
Ein Taxifahrer verwirft die Hände, als er aus der unteren Rheingasse einbiegt, während ein Bagger rückwärts auf ihn zufährt. Zahlreiche Velofahrer und Fussgänger schlängeln sich um die Hindernisse, fahren zielsicher um die Absperrungen, so wie sie es in den letzten Wochen täglich gemacht haben. Nur, das dürfen sie nun nicht mehr. Es kommt kurz zum Chaos, als alle gleichzeitig auf die erschreckten Passanten auf dem Gehsteig umschwenken. Auf der Brücke sind viele genervt, sie sehen in den Radfahrern nur gesetzlose Rowdies. Dass das Gesetz dies abgesegnet hat, wissen nur die wenigsten.
Gewöhnungsphase dauert noch an
Die Security-Leute schätzen den ersten Test aber als erfolgreich ein. «Es funktioniert ganz gut,» sagt ein Mann in Leuchtgelb. «Bis sich alle arrangiert haben, wird es aber noch eine Weile dauern,» gibt er zu bedenken. Er meint auch, dass die Situation vielleicht so gelöst werden könnte, dass die Spuren getrennt werden. Eine Seite Velo, eine Seite Fussgänger. Genaues weiss er aber nicht. André Frauchiger, Mediensprecher des Bau- und Verkehrsdepartements, sieht den kommenden Wochen ebenfalls optimistisch entgegen: «Wir sind zuversichtlich, dass sich alle daran gewöhnen werden. Die Rücksichtnahme der Fahrradfahrer ist nun wichtig. Geht es nicht gut, werden andere Lösungen gesucht.»
Kriegsbeil zu Hause lassen, bitte
Tatsache ist, für die nächsten Wochen müssen die Basler das Kriegsbeil begraben und, oh Schreck, sogar kommunizieren. Schwierig wird es dann, wenn Fussgänger nicht jung und agil sind und vielleicht nicht jedem entgegenkommenden Zweirad rechtzeitig ausweichen können.
Auf der Grossbasler Seite steht die blinde junge Dame desorientiert im Gedränge. Sie weiss nicht, wohin. Sofort kümmern sich zwei andere junge Frauen um sie: «Müssen Sie über die Brücke, dann helfen wir Ihnen.» Gleichzeitig rauschen drei bimmelnde Räder an ihnen vorbei. Die junge Frau ist sichtlich angespannt. Schliesslich spazieren sie zu dritt über die Baustelle ins Kleinbasel.
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