Die Masche mit dem Familienfoto: Wortlos um Geld ersuchend. ©barfi
Die Masche mit dem Familienfoto: Wortlos um Geld ersuchend. ©barfi
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Warme Sonne, hartes Herz: Die Kinderbettler von Basel

Das Geschäft mit dem Mitleid kehrt so zuverlässig wieder wie die Sonne im Frühling. In Basel sind jetzt die Kinderbettler unterwegs: Gerade in der Innenstadt suchen sie – ordentlich gestylt – harte Münzen. Immer einzeln, aber in grosser Dichte.

Er sieht aus wie das Mittelstandskind, das er nicht ist. Modische Jacke, eine Baseball-Cap in Übergrösse, saubere Jeans, knapp über zwölf Jahre alt. Beim Strassencafé geht er von Tisch zu Tisch, die Augen weit, die Lippen leicht geöffnet, er zieht ein Foto aus der Jackentasche: Da liegt es dann in zwei dunklen Handflächen, in der Mitte wund vom Falten. Das Motiv: eine Familie mit Grosseltern dem Anschein nach, für mehr reicht der kurze Moment des Musterns nicht. Sie sitzen auf einem Sofa. Der Junge mit dem Bild schweigt und blickt, wir schütteln den Kopf. Dann verschwindet das Foto wieder schnell in der Jackentasche. Der Junge geht zum nächsten Tisch, auch kein Erfolg. Er zieht weiter, und aus dem Bettler wird wieder der unauffällige Mittelstandsjunge, der er nicht ist.

Die Kinderbettler haben wieder Saison. Kaum scheint die Sonne auf die Basler Strassen, kaum sitzen die Leute wieder draussen, drehen sie ihre Erwerbsrunden. Zur Mittagszeit sind in einer Stunde drei von ihnen zu sehen, Mädchen und Jungs, alle adrett gekleidet, nur die abgenutzten Schuhe sind fehl am Platz. Ihre Blicke suchen Mitleid, ihre Lippen bleiben sind stumm. Sie verstehen nicht, wenn man mit ihnen redet, wozu auch: Sprache macht fassbar. Sprache ist für diese Arbeit nicht nötig.

Verboten, aber das macht ja nichts 

Betteln ist in Basel verboten, aber das interessiert sie nicht, vor allem nicht die, die im grenznahen Raum ihren Bettelring stationiert haben. Oft kommen sie aus dem osteuropäischen Raum, wie die Polizei in regelmässigen Abständen mitteilt. Die kleinen Züge sind mobil, sie streifen von Café zu Café, dort, wo die Leute sitzen und sich vielleicht kurz Zeit nehmen. Die meisten sind organisiert: Schnell hier, schnell weg, wenn es darauf ankommt. Kein Wunder, denn werden sie von der Polizei angehalten, müssen sie nicht nur das Erbettelte abgeben, es folgt auch eine Busse, 50 Franken. 

Das ist viel für jemanden, der sich nach ein paar Stunden etwa den Betrag zusammengebettelt hat und ihn nachher ohnehin wieder abgeben muss. Gerade die Jüngeren gehören zu Gruppierungen, die sich organisieren. Freiwillig macht die Bettelarbeit ohnehin niemand, es ist entwürdigend und den Blicken ist die Qual anzusehen; längst nicht alles ist gespielt. Ebensowenig das blanke Misstrauen, wenn man einen Tick zu lange auf das Bild blickt, ein paar Sekunden zu lang den Blick erwidert. Schwierig zu sagen, was schlimmer ist: Erwischt zu werden oder beim Abgabetermin mit dem Chef zu wenig abgeben zu können.

Die Ausbeute an der Sonnenroute 

Einige Cafés verscheuchen die Bettler, andere lassen gewähren; zu viel Aufwand macht keinen Sinn. Sie sind so schnell weg, wie sie da waren. Sei es auf der Route zwischen Schifflände und Barfüsserplatz, in der Steinenvorstadt, am Claraplatz, am Rheinuferweg: Hier sind sie unterwegs, das ist ihre Erwerbsroute. Wo viele Leute sind, ist die Chance auf ein paar Franken auch höher.

Der Junge, der eben noch am Tisch stand, hat auf der Strasse einen wartenden Mann entdeckt, dunkle Hautfarbe, gross, hochgeschlossene Jacke. Wieder kommt das Foto aus der Tasche, wieder wird es auf beiden Handflächen präsentiert, der Blick dieses Mal von unten nach oben. Kurzer Moment komponierter Unterwürfigkeit, ein Bittsteller ohne allzu grosse Not. Denn offen zur Schau gestelltes Elend mag der Basler nicht, es schreckt ihn ab. Das Dezente hingegen zeitigt mehr Erfolg. 

Mitleid in argloser Münze

Aber auch der Mann schüttelt den Kopf. Der Junge versteckt das Foto, geht weiter. Immer dasselbe Spiel. Die Polizei macht zwar Kontrollen, doch es ist Zufall, wenn eine Patrouille den Bettler erwischt. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Bettler sind schnell, mobil und weitgehend unauffällig. Erwischen ist Glückssache, Polizeipräsenz schreckt immerhin ab.

Wen die Bettler stören, der kann sich bei der Polizei melden. Die Verweildauer der Bettler – insbesondere der Kinder – ist allerdings so gering, dass sie nur als kurzzeitige Irritation registriert werden. Ein Kopfschütteln später sind sie weg. Wie der Junge mit dem schon viel zu oft gefalteten Familienfoto, dem modischen Cap und der ansprechenden Jacke. Manchmal spricht es sich herum, wo es nichts zu holen gibt. Dann wird der Weg zum Lokal nicht extra auf sich genommen. Liegen die Lokale aber den Hauptachsen des Einkaufs- und Verweilzentrums, kehren sie immer wieder. Dann bleibt nur noch, sein Mitleid nicht in argloser Spende barer Münze zu zeigen, sondern klar und deutlich zu signalisieren: Kein Geld an dieser Adresse.

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