Bildquelle: bfh
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  • Nathan Leuenberger / Andreas Schwald
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Was ist wirklich los? Rauher Ton im Spital: gefährliche Zunahme gewalttätiger Patienten

Polizeieinsätze im Notfall, weil Patienten auf das Personal losgehen. Früher eine Seltenheit, mittlerweile Alltag für die Mitarbeitenden der Kliniken – und zwar zunehmend häufiger. Das Basler Unispital investierte deshalb in verstärkte Sicherheitsmassnahmen. Die Genfer Unispitäler wagten sogar öffentlich den Tabubruch.

Der Patient war ausser sich. Er hatte getrunken, und zwar viel. So viel, dass er immer noch alkoholisiert war, obwohl er bereits in der Nacht zuvor ins Basler Unispital eingeliefert worden war. Jetzt, kurz nach der Mittagszeit an einem Freitag im Hochsommer, vermisste er sein Portemonnaie. Und das machte ihn rasend. Er war wütend, aber so richtig, er schlug um sich wie ein Berserker, und er verprügelte vier Pfleger, die ihn aufhalten wollten. Danach floh er. Bis ihn die Polizei vor der Notaufnahme festnehmen konnte.

Das ereignete sich bereits 2013. Der brutale Vorfall war damals der Auslöser für eine deutliche Verstärkung der Sicherheitsmassnahmen im Unispital und erst der Anfang. Im Februar 2014 setzte dann das Spital den Sicherheitsdienst im Notfall rund um die Uhr in Einsatz. Und das Unispital erliess seine «Richtlinien für Gewalt von Patienten und Angehörigen», die seither in Kraft sind – und immer häufiger Anwendung finden müssen. Pöbelnde Patienten können nun des Spitals verwiesen werden.

Spitalpersonal sucht Hilfe in Trainings

Gravierende Fälle, wie jener des Mannes, der im Delirium glaubte, mit Leibeskräften um sein Portemonnaie kämpfen zu müssen, seien zum Glück selten, sagt Spitalsprecherin Sabina Heuss. Zur Anzahl der Zwischenfälle gibt sie keine Auskunft. Sie fügt aber an: «Doch der Ton hat sich in den letzten Jahren verschärft.» Das Unispital Basel erweiterte deshalb sein Ausbildungsprogramm um ein Deeskalationstraining. Dort lernen Mitarbeiter, wie sie bei körperlichen oder verbalen Attacken von Patienten und Angehörigen richtig und entschlossen handeln können. Die Kurse sind begehrt. Pro Jahr besuchen rund 100 Mitarbeiter des Unispitals die Ausbildung.

Auch die Baselbieter Spitäler haben ein entsprechendes Angebot. Dort ist der Druck ebenfalls gestiegen, wie Sprecherin Anita Kuoni gegenüber barfi.ch sagt: «Der Trend zur allzeitigen Verfügbarkeit ist auch auf einer Notfallstation spürbar.» Das führt zu Spannungen, in Liestal und auf dem Bruderholz wurde Alarmknöpfe installiert, über die das Personal sofort direkt die Polizei aufbieten kann.

Scharfer Ton und körperliche Übergriffe sind vor allem in städtischen Spitälern ein Problem. In der Westschweiz kennt man das gefährliche Problem schon lange, nun ist es endgültig auch in unserer Region angekommen. Die «Badische Zeitung» berichtete am Mittwoch von bis zu rund 20 verbalen oder körperlichen Vorfällen pro Monat in der Notaufnahme des Lörracher St. Elisabethen-Krankenhauses. Und das Schweizer Gesundheitsportal medinside.ch titelte in einem Bericht vom September 2016: «Gewalt gegen Spitalpersonal: ‹An manchen Tagen ist es zum Heulen›». Das Verdikt des Beitrags: Dieses Gewaltproblem treffe in erster Linie die Städte. Und es werde noch diskret gehandhabt.

Tabubruch nach massiver Zunahme in Genf

Konfiszierte Waffen aus dem Spital in Genf (Bild: PD HUG)

Konfiszierte Waffen aus dem Spital in Genf (Bild: PD HUG)

Betroffen ist nicht nur das Pflegepersonal, sondern auch Ärztinnen und Ärzte. In Genf registrierten die Unispitäler seit 2013 einen Anstieg der Gewaltdelikte gegenüber dem Personal. Allein 2015 wurden 32 Vorfälle gemeldet, im ersten Halbjahr 2016 habe es bereits 23 Fälle gegeben. Die Genfer erarbeiteten daraufhin eine Kampagne, um Öffentlichkeit zu gewinnen. «Sie sind nicht hier, um schlecht behandelt zu werden», stand auf den Plakaten. «Wir auch nicht.»

Die Hauptfaktoren für Ausnahmesituationen sind meist dieselben: Alkohol- und Drogeneinfluss, aber auch psychische Notzustände und Stress. Hinzu kommt, dass die Hemmungen stetig sinken, gegenüber dem Spital-Personal aggressiv zu werden. Oder eben die «Verschärfung des Tons», wie sie Unispital-Sprecherin Sabina Heuss diplomatisch nennt. 

Möglichst diskret arbeiten die Spitäler hier derzeit noch im Hintergrund gegen die Gefahren, denen ihre Mitarbeitenden zunehmend von aggressiven Patienten ausgesetzt sind. Sie schulen ihr Personal, verstärken die Sicherheit. Doch es dürfte leider nur eine Frage der Zeit sein, bis man sich, wie in Genf, an die Öffentlichkeit wenden muss. Das Bild einer heilen Spitalwelt, in der alle Patienten pflegebedürftige Opfer sind, stimmt so nicht. Immer öfter werden Menschen, die das Helfen zu ihrem Beruf gemacht haben, dafür verbal und körperlich angegriffen. Es ist Zeit das Schweigen darüber zu brechen.