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  • Christine Staehelin / Andy Strässle
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Wenn sich Richter und Angeklagter nicht verstehen, braucht es den Basler Gerichtsdolmetscher

Anthony Glass legt die Worte auf die Goldwaage. Als Gerichtsdolmetscher muss er das. Denn seine Übersetzungen entscheiden mit darüber, wie ein Prozess ausgeht. Der 43-jährige Basler erzählt, wie er mit der Verantwortung am Basler Strafgericht umgeht.

«Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was sie sagen, kann gegen sie verwendet werden.» Kein Fernsehkrimi kommt ohne diese Sätze aus. In den Schweizer Gerichtssälen haben diese Worte aber eine weitreichendere Bedeutung als in den Krimis. Wer bei Einvernahmen bei Polizei und Staatsanwaltschaft den Mund aufmacht, sollte wissen, was er sagt, denn die Aussagen werden als Beweismittel protokolliert. Unter diesem Druck steht der Basler Gerichtsdolmetscher Anthony Glass. Er erklärt: «Es wird nicht immer erkannt, wieviel Verantwortung die Dolmetscher haben». Ein falsches Wort, und die Biographie eines Beschuldigten könne eine ganz andere Wende nehmen. Anthony Glass sagt: «Es geht um sehr viel, wenn man für das Gericht dolmetscht.»

Man kann nicht alles wissen

Aber, was, wenn einem Dolmetscher doch ein Fehler unterlaufen ist? «Niemand kann alles wissen», betont Anthony Glass. Der Dolmetscher kann vor Gericht zugeben, wenn er einen Begriff nachschlagen muss. Und wenn einmal ein Fehler passiert, soll er schnell zugegeben werden. Der Dolmetscher lacht und sagt: «Manchmal kostet es sehr viel Überwindung, aber in so einem Fall ist eine schnelle Reaktion wichtig.»

Übersetzungen für Mörder 

Anthony Glass ist während des Studiums in Holland ins Übersetzen reingerutscht. In Amsterdam war er jahrelang als Gerichtsdolmetscher tätig. Ein Beruf, der ihm liegt, auch wenn er besondere Herausforderungen hat. «Natürlich gibt es auch Einsätze, auf die ich mich nicht freue.» Dann zum Beispiel, wenn er weiss, er muss für einen Mörder oder einen Vergewaltiger übersetzen. Es könne je nachdem einschüchtern, gibt er zu. «Aber jeder muss für sich wissen, ob er in solchen Situationen professionell dolmetschen kann.» Während der Verhandlung selbst bleibe keine Zeit, um sich viele Gedanken zu machen. Das geschieht in den Stunden nach der Verhandlung, wenn der Dolmetscher das Übersetzte für sich verarbeitet. «Absolut wichtig ist es auch, dass man zuhause sagt, wie es einen geht», sagt Anthony Glass. Natürlich darf man keine Einzelheiten des Gerichtsfalls ausplaudern, aber es reiche schon, wenn man sagen könne: «Heute geht es mir nicht gut.»

Einzelkämpfer mit wichtiger Aufgabe 

Ein Übersetzer vor Gericht ist in einer speziellen Situation, erklärt Glass: «Ein Dolmetscher steht oft alleine da», sagt Anthony Glass. Er arbeite alleine. Es sei ein Beruf, der stark Burn-Out gefährdet ist. Die Unterstützung von Büro-Kolleginnen und -Kollegen wie es viele Angestellte haben, kennt er nicht. «Es gibt kein Kollege, der einmal sagt: Ich übernehme das jetzt, du hast zu viel gearbeitet.» Dank Kursen und Schulen in Winterthur und Genf lernen sich die angehenden Dolmetscher kennen. Immer mehr vernetzen sich die Mittler zwischen den Sprachen.

Klar ist, dass für Sprachtalent Glass, der mit Schwyzerdütsch sechs Sprachen spricht, das Übersetzen eine Leidenschaft ist. Auch wenn es manchmal auf jedes Wort ankommt. Vor allem vor Gericht.

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