Bild: flickr.com/Zeevveez
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  • Jonas Egli
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Wieder erlaubt: Der legendäre Monobloc, für Jahre auf Basler Strassen streng verboten

Irgendwann kam er in die Welt und dann war er einfach da. Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, dass es einmal eine Zeit ohne die weissen Plastikstühle gab – trotz eines Verbots in der Basler Innenstadt. Zur Abschaffung ihres Verbots und zur Vorbereitung auf seine Wiederkehr: ein kleiner Exkurs in die Welt der Plastikmöbel.

Man sagt, dass die Designgeschichte immer auch eine Geschichte von Stühlen sei. Ausser einem einzigen Modell: Kein Stuhl war jemals so eigenschaftslos wie der geliebt-gehasste Monobloc. Das weisse, schlichte Ding mit dem Übernahmen «Gartenstuhl». Über vierzig Jahre geistert er unverändert in der Weltgeschichte herum. Sozialtheoretiker Ethan Zuckermann meint, dass der Monobloc eines der wenigen Objekte ohne einen spezifischen Kontext sei. Ein weisser Plastikstuhl auf einer Fotografie fügt dieser so gut wie keine Information hinzu. Wo man ist und in welcher Zeit, lässt sich am Monobloc nicht ablesen. Es könnte in Afrika, Grönland oder Italien sein.

Es steht ein Männlein im Walde, ganz still und stumm. Bild: Wikipedia/cs:ŠJů

Tatsächlich ist der Monobloc der gewöhnlichste Stuhl überhaupt, kein Modell wurde je in so grosser Stückzahl produziert. Dass er zudem auch praktisch unzerstörbar ist, macht die Sache nur noch schlimmer. Wo man auch hingeht, die Plastikstühle warten bereits. Ob man ihn nun mag oder nicht.

Jens Thiel erklärt, wie das alles kam

Im Schaudepot des Vitra Museum wird gerade eine kleine Ansammlung dieser Stühle gezeigt. Wenn diese Schau auch kaum den Namen «Ausstellung» verdient hat, wurde die Eröffnung von einem Vortrag von Jens Thiel begleitet, dem wohl einzigen echten Experten für den Monobloc-Stuhl.

Der Monobloc, wie wir ihn heute kennen und hassen, äh, lieben, erblickte das Licht der Welt im französischen Oyonnax, dem Plastik-Pendant zum «Silicon Valley». Ingenieur Henry Massonet gilt als der Vater des Monobloc, und übrigens auch jener unschwer erkennbar artverwandten Plastik-Liegestühle, die jeden Strand dieser Erde zu Hundertschaften säumen. Die, die so hässlich am Körper kleben, wenn man sich achtlos drauflegt. Beide stammen aus der in Oyonnax ansässigen Firma «Stamp».

Die Geschichte der Firma ist eine Achterbahnfahrt. Mal hatte sie Erfolg, meist aber keinen. Eines ihrer ersten Modelle, der «Tam Tam»-Hocker, fand erst überhaupt keine Abnehmer, bis er in der Zeitschrift «Paris Match» als Brigitte Bardots Aschenbecher auftauchte. Dann wollten ihn plötzlich alle. Und kurz darauf hatten auch alle wieder genug davon. 

Ein Erfolg war auch der Monobloc nicht: Massonet musste nach etlichen Rückschlägen 1988 die Firma verkaufen. Blöd daran: Kurz darauf explodierte der Markt förmlich. Alle stellten sie her, auch mit den Gussformen der Firma Stamp. 

Selbst auf Briefmarken wurde er verewigt. Hier ein Beispiel aus Paraguay. Bild: Wikipedia/Post of Paraguay

Herkunft: unbekannt. Image: schmuddelig.

Der Name rührte daher, dass es er aus einem Guss gefertigt war. Der erste überhaupt soll es gewesen sein, 1973. Doch so ganz gesichert ist die Geschichte nicht: Joe Colombo erfand den ersten Stuhl, der gänzlich aus Platik gefertig war, Vico Magistretti dann den ersten aus einem Stück. Das war bereits Mitte der 60er-Jahre. Thiel erwähnt etliche ähnlich aussehende Experimente in der ganzen Welt ab 1930. «So ganz genau weiss ich das immer noch nicht», sagt der Mann, der sich rund 15 Jahre damit auseinander gesetzt hat.

Doch die explosive Verbreitung Ende der 1980er Jahren führte zu Pleiten und Überkapazitäten in den 90ern. Viele versuchten, die letzten Gewinne zu retten, indem sie den Stuhl billiger, sprich mit weniger Kunststoff herzustellen versuchten. Mit der vormaligen Unzerstörbarkeit ging es bergab und das Möbel bekam schnell ein richtiges Schmuddel-Image. Aber da war er bereits überall.

Thiel hingegen beobachtet, wie der Stuhl heute mit Dreck und Randständigkeit verbunden wird: Im Tatort, so der Vortragende, tauche der Stuhl immer dann auf, wenn Gefahr im Verzug sei. Ein weisser Kunststoff-Stuhl statt suggestiver Musik.

Und geht er doch einmal kaputt, so ist er dennoch niemals tot. Bild: flickr/Paul Keller

Basel verbot ihn – als einzige Stadt der Welt

Dieses Image war wohl auch der Grund, warum in Basel die Stühle lange Zeit nicht zu sehen waren. 2008 wurden die sonst überall so beliebten Plastikstühle – als einziger Stadt auf der Welt! – von den Strassen verbannt. Nun sind sie wieder erlaubt. Niemand kann sich dem bescheidenen König der Sitzgelegenheiten widersetzen! Er ist ein König der Massen, der gewöhnlichen Leute, der praktischen Nutzbarkeit.

Seit den 2000er-Jahren ist der Stuhl plötzlich auch Gegenstand der Forschung, als anthropologisches Musterbeispiel, als Designklassiker gar, darunter auch Thiel. Er plädiert dafür, das Grauen mit Humor zu sehen.

Für die meisten von uns ist und bleibt der Monobloc ein Schrebergarten- und Strassencafémöbel, die pure Unschuld, eine harmlose Geschmacklosigkeit. Und irgendwie muss das Ding einem doch sympatisch sein, so treu wie er war der Menschheit auch noch nie ein Sitzmöbel zuvor. Heissen wir ihn also wieder willkommen!

Inzwischen ist das weisse Ding auch Gegenstand hochstehender Kunst. Hier Jeff Koons «Sea and Walrus», 2003-2009. Bild: Pinterest