Der 51-jährige Paul war immer wieder von der Sozialhilfe abhängig. Im Moment lebt er ohne Küche und Bad in einem Zimmer im Kleinbasel.
Der 51-jährige Paul war immer wieder von der Sozialhilfe abhängig. Im Moment lebt er ohne Küche und Bad in einem Zimmer im Kleinbasel.
  • Andy Strässle
  • Aktualisiert am

«23 Franken Stundenlohn sind besser als nichts!»

In Basel-Stadt sind gemäss Armutsbericht der Regierung rund 16'000 Leute armutsgefährdet. 12'000 sind sozialhilfeabhängig. Ein Porträt von Paul und Thomas.

Um neun Uhr morgens gehen Thomas und Paul zuerst einmal zum Overall Tagwerk beim Badehaus St. Johann. Hier springt manchmal ein Job raus. 23 Franken bringt der pro Stunde. «Das ist nicht viel, aber besser als nichts», erklärt Thomas. Nach einer zweijährigen Leidenszeit hat der 45-Jährige trotz Betreibungen eine neue Wohnung gefunden. Eigentlich wäre sie zu teuer, da ihm die Sozialhilfe höchstens 800 Franken fürs Wohnen ausbezahlt. Jetzt hat Thomas eine eigene Küche, die sanitären Einrichtungen sind ebenfalls innerhalb der Wohnung und nicht irgendwo auf dem Gang oder nicht vorhanden. «Es war ein Alptraum, als ich noch im Kleinbasel wohnte.» Da Thomas schon vorher auf Arbeitssuche war, störte ihn vor allem der «Mais» der die ganze Nacht von der Kontaktbar aus dem Nachbarhaus durch das Gebäude dröhnte. «Wenn man bis vier oder fünf Uhr morgens wegen dem Lärm nicht schlafen kann, fällt es schwer arbeiten zu gehen.»

Nicht einmal ein Fernseher

Gassenarbeiter Michel Steiner vom Verein Schwarzer Peter bestätigt, dass Thomas, seit er eine Wohnung habe, die er schätze, viel weniger auf der «Gasse» anzutreffen sei. Bei Overall hat er sich unterdessen ebenfalls besser etabliert und arbeitet regelmässig für eine Küchenbaufirma. Pauls Zimmer ist klein, richtig klein. Auf dem Weg in den zweiten Stock brüllen einen überall die Fernseher entgegen. An diesem Donnerstagmorgen scheint Stock für Stock die amerikanische Sitcom «Two and a half Man» angesagt. Ebenso omnipräsent ist der Zigarettenrauch. In Pauls Zimmer jedoch gibt es nicht einmal eine Steckdose für Kabelfernsehen, so dass auch er TV schauen könnte.

«Lange Geschichte»

Über seine Geschichte will Paul, 51, nicht viel sagen: Es seien «Familienangelegenheiten». Deswegen sei er immer wieder auf der Sozialhilfe gelandet. Nach einer Weile sagt er auch: «Es ist eine lange Geschichte. Aber es ist auch der Alkohol.» So klein sein Zimmer ist, so findet doch recht viel Bier darin Platz. Thomas dagegen spricht offen davon, wie er auf der Sozialhilfe gelandet ist. Zehn Jahre sei es her, da habe er von der Post weg gewollt. «Dort habe ich zwanzig Jahre lang gearbeitet und dann wollte ich einfach ganz weg.» Das hat dann nicht geklappt. Die Post befand sich mitten in einer Umstrukturierung, er bekam Eheprobleme, auf die schliesslich die Scheidung folgte. «Ich hatte eine Lebenskrise» sagt er. Es ist eine Krise, die er nun mindestens innerlich überwunden hat. Unter Betreibungen und Schulden leidet er noch immer. Er versteht auch nicht, warum das Sozialamt ihn mehr schikaniert, wenn er Hilfe braucht, als es ihm hilft. «Man gerät sehr schnell unter Verdacht, etwas falsch gemacht zu haben, aber wenn man unter der  Wohnsituation leidet, dann passiert nichts.»

Unromantisch: Kleines Zimmer, wenig Geld.

Prekäres Leben

Gassenarbeiter Michael Steiner nickt zu solchen Erzählungen nur. Er kennt sie nur zu gut. Für ihn ist das Alltag. Viele Menschen brauchen Hilfe. Gemäss dem Armutsbericht der Basler Regierung leben über 16'000 Menschen in prekären Lebensumständen. Etwas mehr als 12'000 waren 2014 sozialhilfeabhängig, wie der Wirtschaftsbericht 2015 beider Basel zeigt. So wie Thomas wirkt, könnte er den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt ohne weiteres schaffen. «Mit Medis und allem kann ich gut mit der Krankeit leben», er leidet seit einigen Jahren unter chronischer Leukämie. Was seine Arbeitssuche erschwert, da er einen halben Tag pro Woche in Behandlung muss.

Sonne, aber vor allem Bier 

Thomas hat wie Paul jetzt ebenfalls zwei Jahre im Kleinbasel gewohnt. «Es ist eine katastrophale Atmosphäre, ich habe mir geschworen, nie mehr einen Fuss in das Haus zu setzen.» Das tut er dann auch nicht. «Ich kann Paul ja auch sonst ausserhalb treffen.» Und Paul, der die Atmosphäre im Haus als ebenfalls katastrophal empfindet, der ist sowieso irgendwo draussen. Gegen Mittag zieht es ihn immer stärker an den Rhein. Es hat zwar Sonne, aber es ist wohl nicht nur wegen der Sonne. Die Begegnung mit Paul, die Begegnung mit Thomas. Es scheint klar, ihr Schicksal kann im Grunde jeden treffen. Ob man nun den Liebeskummer in Alkohol ertränkt, oder in eine Lebenskrise wegen Jobverlust und Scheidung gerät. Und irgendwie bleibt tröstlich: Paul sieht seine Ex-Frau noch heute und übernachtet manchmal auch bei ihr.

Mehr zu Paul und Thomas im Artikel: Basel und seine Grüselhäuser hier