© Bad Schauenburg
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  • Christian Platz
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Bad Schauenburg: Im Arbeitslager interniert, nachdem die Juden vor den Nazis geflohen waren

Heute ist Bad Schauenburg eine idyllische Oase der Ruhe. Während dem Zweiten Weltkrieg war das anders. Damals wurden dort jüdische Männer interniert, die vor den Nazis geflohen waren. Sie mussten eine Strasse bauen, für einen Franken Lohn am Tag, und das Hotel wurde als Lager gebraucht. Ein dunkles Kapitel der regionalen Geschichte. 

Bis vor wenigen Jahren wurde sie «Judenstrasse» genannt, die heutige Strasse nach der Abzweigung Bad Schauenburg in Richtung Schönmatt ob Liestal. Gebaut wurde sie von jüdischen Männern, die vor dem mörderischen Nazi-Regime geflohen waren und den Weg in die Schweiz gefunden hatten. Sie waren zwischen 1940 und dem Kriegsende im Hotel Bad Schauenburg untergebracht, das unmittelbar vorher als Truppenunterkunft des Schweizer Militärs verwendet worden war. Für ihre harte Arbeit erhielten die Flüchtlinge einen Franken Lohn pro Tag, was auch für die damalige Zeit ein schäbiges Entgelt darstellte.

Furchtbar traurig

Die Bilder dieser Arbeitsgruppen sehen teilweise furchtbar traurig aus. Flüchtlinge, von Strapazen, Verfolgung, Hunger gezeichnet, arbeiten mit primitiven Werkzeugen im Baselbieter Wald. Doch solche Szenen gab es in der Schweiz während dem Zweiten Weltkrieg viele. Der Umgang mit jüdischen Flüchtlingen gehört bekanntlich zu einem der unrühmlichen Kapitel unseres Landes. Über die genaue Zahl der verfolgten Juden, die an der Grenze zur Schweiz abgewiesen und damit in den sicheren Tod geschickt wurden, wird bis heute debattiert. Sicher ist aber, dass der Umgang mit diesen Menschen durch die Schweizer Behörden nicht einfach durch rationale Erklärungen gerechtfertigt werden kann, es steckte auch eine massive Portion Antisemitismus dahinter.

«Entmündigung in vielen Bereichen»

Im Bericht der «Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (UEK)», die oft auch als Bergier-Kommission bezeichnet wird, kann man folgende Sätze lesen: «Der Aufenthalt der Flüchtlinge in der Schweiz war durch eine weitgehende Kontrolle und eine Entmündigung in vielen Bereichen gekennzeichnet. Nach dem Grenzübertritt folgte der Aufenthalt in einem ausdifferenzierten Lagersystem. Den zivilen Arbeitslagern waren militärische Lager vorgeschaltet, in welchen die Lebensverhältnisse oft besonders prekär und die Kontrolle besonders rigide waren: So unterstand die gesamte Post der Zensur, und Briefe durften nicht in hebräischer Sprache geschrieben werden. Viele der mit der Betreuung der Flüchtlinge beauftragten Militärpersonen waren auf diese Aufgabe nicht vorbereitet und fielen bei Konflikten in autoritäre militärische Verhaltensmuster. Dem oft mehrere Monate dauernden Aufenthalt in militärischen Lagern folgte in der Regel die Einweisung in ein ziviles Arbeitslager oder ein Flüchtlingsheim».

«Auch hier wieder Strassenbau»

Das Lager in Bad Schauenburg war ein Teil dieses «ausdifferenzierten Systems». Es soll nicht das schlimmste dieser Lager gewesen sein, aber seine Geschichte bleibt eine schreckliche. Auf dem Portal «Geschichte des Kantons Basellandschaft» kann man dazu folgendes nachlesen: «Kurt Seliger, 1921 geboren und 1938 als Jude und Kommunist aus Wien geflohen, erinnert sich: ‹Das war kein Barackenlager, sondern ein altes, jetzt in Kriegszeiten unbenutztes Hotel. […] Auch hier wieder Strassenbau. […] Bad Schauenburg [war] jedoch relativ angenehm, allein schon deswegen, weil wir nicht in Baracken lebten. Wir litten viel weniger unter Kälte und Feuchtigkeit. Dass es statt der unerquicklichen Latrinen richtige WCs gab, grenzte beinahe an Luxus›».

Geschichte verdrängt

Jahrzehntelang wurde diese Geschichte in der Region verdrängt. Während der Nachkriegszeit wurde Bad Schauenburg wieder zu einem beliebten Hotel. 1958 wurde es von der Firma J.R. Geigy AG, später Novartis, übernommen und Schritt für Schritt zu einem modernen Tagungshotel umgebaut. 2015 wurde es dann an die Familie Grogg verkauft.

«Herzloser Zufluchtsort»

Anfangs 1998 erschien im «Time Magazin» ein schockierender Artikel über den Umgang der Schweiz mit jüdischen Flüchtlingen und das Lagersystem. Titel: «Heartless Haven» (sinngemäss: «Herzloser Zufluchtsort»). Im zweiten Absatz dieses Artikels findet man ein Zitat des damals 82-jährigen Walter Fischer: «Ich habe fünfzig Jahre lang geschwiegen, doch die Schweizer haben sich furchtbarer Verbrechen schuldig gemacht. Sie haben uns ausgenutzt, Blut klebt an ihren Händen».

Im Artikel ist auch von Bad Schauenburg die Rede, der New Yorker Michael Roth erinnert sich: «130 von uns mussten in einem Zimmer schlafen, auf Stroh und harten Holzbrettern». Im Artikel taucht immer wieder das Wort «Sklavenarbeit» auf, von einer «feigen» Schweizer Flüchtlingspolitik ist die Rede – und davon, dass den Insassen des Lagers immer wieder angedroht worden sei, dass man sie nach Deutschland zurückschicke, wenn sie nicht arbeiten würden.

Schändliches Kapitel

In der Schweiz lösten dieses Berichte verschiedene Reaktionen aus. Es gab Stimmen, die sogar von einer «Rufmord»-Kampagne sprachen. Die damaligen Geschäftsführer von Bad Schauenburg, die den Betrieb für Novartis führten, wollten 2001 mit der Veröffentlichung einer Broschüre Gegensteuer geben. Doch wenn man diese Broschüre heute durchliest, bleibt trotzdem ein schales, beklemmendes Gefühl zurück. Natürlich sieht man dort Bilder von lachenden Lagerinsassen. Doch wenn man diese Bilder in die historische Perspektive rückt, sind sie schlicht traurig. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein schändliches Kapitel der Geschichte unseres Landes, das wir anerkennen müssen und mit dem wir zu leben haben.

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