Bild: Wikipedia/Graphicsclz
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  • Jonas Egli
  • Aktualisiert am

Bei Ihnen piept’s wohl! Basels nervender Kampf um Aufmerksamkeit

Zuhören ist eine Kunst. Umso mehr, wenn alles gleichzeitig nach Aufmerksamkeit schreit, Geräte um die Wette blinken, sich dazu noch aus jeder zweiten nicht zu ortenden Tasche Handys melden - wer nimmt die ursprünglich ernst gemeinten Warnsignale noch ernst? Ob auf der Strasse, im Tram, oder in der Küche. Wir werden zugepiepst!

Dass wir ständig abgelenkt sind und mehr abschalten sollten, ist das pseudopsychologische Mantra der Zeit. Monotasking, Aufmerksamkeitsmeditation und in-sich-kehren, einfach mal abschalten. Dass Sicherheit und Information wichtig sind, ist ebenfalls eine Erkenntnis, die niemand anzweifelt. Doch die beiden Vorstellungen stehen in einem Konflikt, denn der technische Fortschritt hat uns nicht nur mit nützlichen Dingen ausgestattet, um mehr Zeit für uns zu haben, sondern diesen auch die Möglichkeit gegeben, uns vor ihren Gefahren zu warnen und ihren Benutzern Meldungen zu unterbreiten. Und zwar ständig. Und unabhängig davon, ob diese Gefahren echt, ob die Informationen wichtig sind oder nicht.

Als der Ernstfall noch einer war

Frühere Warnungsignale waren noch echt: Das Martinshorn, polizeiliche Warnschüsse, die Einbruchsicherung und der C-Alarm. Erklang einer von diesen, ging es um Leben und Tod. Der morgendliche Wecker soll ebenfalls laut und unerbittlich sein. Doch möchte das Trämmli seine Fahrt fortsetzen, scheint dies ohne schrilles Piepen und Blinklichter auch nicht mehr möglich zu sein. Das simple Schliessen von Türen wird inszeniert als ein Ereignis von apokalytischer Tragweite.

Die Sicherungen der Fotokameras im Elektronikgeschäft gehen beim geringsten Luftstoss in ohrenbetäubendes Geschrei über. Wie oft sind diese Warnungen ein Ernstfall? So gut wie nie. Die Mikrowelle, die nicht mehr aufhört, zu fiepen, nachdem sie eine Tasse Tee für dreissig Sekunden erwärmt hat. Was will sie uns sagen, was ich in einer halben Minute vergessen hätte? Die Warntöne am Ausgang von Kaufhäusern produzieren so viele Fehlalarme, dass das Sicherheitspersonal nicht einmal mehr aufschaut. Die Warnung dient bloss noch der Bekanntmache, dass ein Sicherheitssystem installiert sei, während dieses ständig beweist, wie obsolet es doch ist. Doch jedesmal zucken wir zusammen, wenn wir unbescholten durch die Schranke gehen und sie mit Blinken und schrillen Tönen auf uns zeigt. HALTET DEN DIEB! ODER AUCH NICHT!

Der Junge, der «Wolf!» schrie

Achtung, Stopp, Hilfe! Doch: Der Herd wird nicht in Flammen aufgehen, die Türen niemanden zerquetschen, die verpasste Nachricht bedeutet nicht soziale Isolation. Ein Gerät hält sich selber für das Allerwichtigste auf der Erde und wurde von Menschen gebaut, die dachten, es wäre notwendig, ihm diese Macht auch zu verliehen. Die echten Warnungen gehen im Gebrüll der Fehlalarme unter.

Ein Wassertropf an der falschen Stelle der Herdplatte stürzt diese in eine Panikattacke, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Sie blinkt und plärrt, bis man ihr mit dem Lappen die Streicheleinheiten zukommen lässt, nach denen sie sich so zu sehnen scheint. Ist mein Herd ein Angsthase? Mitten in der Nacht hält es die Waschmaschine für nötig, allen piepend mitzuteilen, dass sie ihre Aufgabe nun erfüllt habe. Ein Drucker blinkt Tage und Nächte frenetisch durch, nur um zu sagen, er sei jetzt im «Standby-Modus», er also nichts tut ausser warten. Das muss doch unablässig mitgeteilt werden! Eine Unterscheidung zwischen Information und Gefahrensignal gibt es nicht, derselbe panische Umgangston vermeldet schlichte, folgenlose Tatsachen und akute Bedrohungen. Die Warnung ist rein präventiv: Damit am Ende auch niemand sagen kann, es hätte niemand etwas gesagt.

Mehr Information ist nicht immer besser

Mit dem Resultat, dass man irgendwann die Warnungen in den Wind schlägt und nur noch den Stecker zieht damit sie aufhören. Eine Barriere beim Schienenübergang soll laut und deutlich sein. Ein Autositz mit unangeschnallten Tasche darauf darf sich gerne zurücknehmen. «Zu Ihrer Sicherheit», heisst es dann; meint aber eigentlich: «Zur Sicherheit unserer Rechtsabteilung.»

Denn was wir brauchen könnten, wäre einfach ein wenig Stille und das Vertrauen, dass eigentlich nie etwas passiert. Die latente Panik der Dinge macht bloss kirre und genervt. Jedes Gerät fügt ein wenig mehr Angst hinzu. Eine Wahl hat man indes nicht: Die Blinkerei und Piepserei ist fest eingebaut, ohne abgeschaltet werden zu können. Dass die Aufmerksamkeit des modernen Menschen von all den kommunikativen Geräten wie Handy oder Computer bedroht ist, stellt niemand infrage, doch dass der letzte Rest noch von narzisstischen Mikrowellenherden und Trämmlitüren aufgefressen wird, das muss doch nicht sein. Mit der Hälfte der blinkenden und piependen Mitteilungen wären wir jedenfalls genauso schlau.

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