Stromausfall im Digitalzeitalter
Im Millionen-Zürich fällt in letzter Zeit öfter mal der Strom aus. Dann wird die Limmat-Metropole für einige Stunden ins vordigitale Zeitalter zurückversetzt. All die digitalen kleinen Helfer funktionieren nicht mehr. In solchen Momenten hätten wohl einige Zeitgenossinnen und –genossen gerne ein Funkgerät alter Schule, das mit konventionellen Batterien läuft.
So ganz ohne Handy und Internet
Wenn die Ultrakurzwellen abgeschaltet werden, gibt es bei Stromausfall kein Radio mehr, wenn das analoge Amtstelefon weg ist, kann man in solchen Fällen nicht einmal mehr die Sanität anrufen. Und was soll man mit der vielen Zeit anfangen, so ganz ohne Handy und Internet?
Die goldene analoge Zeit
Der Autor dieser Zeilen ist über 50 Jahre alt. Er hat mehr als die Hälfte seines Lebens ohne digitale Helferlein verbracht. Und sehnt sich inzwischen – zugebenermassen – öfter mal nach den alten Tagen zurück, nach der goldenen, durch Zeitabstand verklärten, analogen Zeit. Ob es eine bessere Zeit war, wissen wir nicht. Aber sie war ganz sicher unaufgeregter als die fiebrige Digitalperiode, in der wir heute leben.
Jene Stimmen aus der ganzen Welt
Der Onkel hat in den frühen 1970-er Jahren einen Weltempfänger gekauft, der alle Radiowellen empfangen konnte, so sagte man uns Kindern, die irgendwo auf dem blauen Planeten ausgesendet wurden. Gebannt sassen wir vor diesem Kasten, den wir für ausserordentlich teuer und wertvoll ansahen – und deshalb wie ein rohes Ei behandelten. Ehrfürchtig drehten wir am grossen Knopf für die Senderauswahl. Es war, als würden wir im Cockpit eines Flugzeugs sitzen, das die Erdkugel umrundet. Dann kamen sie in die gute Stube, die Stimmen und Klänge aus der ganzen Welt: Arabien, Grönland, Mexiko. Und wir wurden von der Sehnsucht gepackt, nach fernen, geheimnisvollen Ländern. Schon drehte der kleine Lukas den Regler auf Moskau, auf die Welt hinter dem eisernen Vorhang, die wir uns kalt und grau und beängstigend vorstellten. Es war, als würde die Temperatur im Raum ein bisschen sinken. So waren sie, die herrlichen Tage des Globalempfängers. Heute kräht kein Hahn mehr danach, denn alle kennen alles...
Ein schwerer Fall von Telefonitis
Das Telefon auf dem Schreibtisch dröhnt in die Leere des Büros hinein, der Apparat ist aus grauem Bakelit, sein Gesicht eine Wählscheibe. Nach einer Zeit hört das schrille Läuten auf. Niemand hat den Anruf beantwortet, niemand regt sich darüber auf. «Wahrscheinlich ist der Herr Reporter gerade unterwegs», denkt sich die Dame, die den jungen Mann erreichen wollte, wegen einer Blumenladen-Vernissage. Sie würde es halt morgen wieder probieren. Keine Sache. Die Anruferin wusste, dass Journalisten nicht einfach zu erreichen sind, dass man sich frühzeitig bei ihnen melden muss, wenn man in die Zeitung kommen will. Den Imperativ der Dauererreichbarkeit gab es noch nicht. Ganz im Gegenteil, wer zu viel telefonierte wurde scheel angeschaut und man sagte: «Die leidet ja an einem schweren Fall von Telefonitis». Während der Essenszeiten war Telekommunikation tabu. Auf unseren ersten Reisen in fremde Kontinente haben wir in der Regel einmal die Eltern angerufen, aus irgendeiner indischen Hotel-Lobby, um ihnen mitzuteilen, dass alles in Butter sei. Das hat gereicht, die Nerven waren beruhigt, alle waren zufrieden. Und als böse kleine Buben haben wir Scherztelefone gemacht, bei irgendwelchen Leuten: «Guten Tag, wir sind vom Elektrizitätswerk und kommen am Mittwoch um 6 Uhr in der Frühe bei Ihnen Leitungen verlegen. Räumen Sie bitte die Möbel beiseite, wir werden pünktlich kommen». Es war unmöglich, die Nummer der Juxanrufer herauszufinden. Heute gibt es diese Art von Spässen nicht mehr, nur noch lästige Werbeanrufe...
Diese exotischen Marken und Stempel
Der Brief kommt aus weiter Ferne, das sieht man schon an den vielen Marken und Stempeln, die so exotisch anmuten. Die Cousine hat ihn geschrieben, in Australien. Die Sendung war lange unterwegs, hat tausende von Kilometern überwunden, zu Wasser und zu Land. Denn Luftpost war damals für das Sackgeld-Budget zu teuer. Dünn waren die Blätter, die sie von Hand beschrieben hat, verbundene Buchstaben, fehlerfrei. Wir hatten dieses erhebende Gefühl, als wäre uns ein Stück Ozeanien ins Haus geflattert. Sie habe Superman am Fernsehen gesehen, wir waren ganz perplex, davon konnten wir Basler Kinder nur träumen. Wenn Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, nun auf diese Zeilen reagieren möchten, dann schreiben sie ihre Nachricht in ein Feld unter dem Artikel und drücken die Eingabetaste. Voilà, ihre Meinung steht drunter. Wenn Sie einen Rechtschreibefehler gemacht haben – und noch etwas auf solche Formen geben –, können Sie Ihren Text sogar noch korrigieren. Noch anfangs der 1990er Jahre hätten Sie einen Brief an die Redaktion schreiben müssen: Das Blatt in die Schreibmaschine einspannen, das Blatt fein säuberlich falten, in ein Kuvert stecken, frankieren, auf die Post bringen – und warten, bis er erscheint. Die gedruckten Buchstaben hätten Ihnen dann ein Hochgefühl verschafft, das es heute in dieser Form nicht mehr gibt. Hätten Sie das gemacht?
Wie ein halber Mensch
Wir könnten noch viele erbauliche Beispiele aus der wunderbar unaufgeregten Zeit von damals bringen, als Verabredungszeiten und –orte noch in Stein gemeisselt waren und nicht einfach mal per SMS rasch geändert werden konnten. Doch leider müssen wir jetzt nochmal schnell nachhause, wir haben das Handy auf dem Küchentisch liegen lassen. Und fühlen uns jetzt wie ein halber Mensch. Als hätte man uns einen Arm oder ein Bein amputiert....
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