Bild: Wikipedia/James Steakley,  PD BS. Montage: barfi
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  • Jonas Egli
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«Die Geschichte ist ein Billiardtisch»: HMB-Direktor Marc Fehlmann im Interview

Als Marc Fehlmann von Berlin nach Basel berufen wurde, hat er sich das gut und reiflich überlegt, obwohl er Herausforderungen liebt. Wir haben den frischgebackenen Direktor des Historischen Museums Basel nach 100 Tagen im Amt gefragt, was er als Nachfolger von Marie-Paule Jungblut vorhat.

Der neue Direktor des historischen Museums sucht offenbar die Herausforderung. Der in Basel geborene Museumsmann hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er mit kniffligen Situationen umgehen kann. Er ist hierzulande vor allem in Erinnerung, weil er als Direktor des Museums Oskar Reinhart in Winterthur dieses vor der drohenden Schliessung gerettet hat. Viele erhoffen sich nun ähnliche Grosstaten in Basel. Aber viel wichtiger ist: Was will er?

Herr Fehlmann, wie haben sie sich eingelebt?

Marc Fehlmann: Wunderbar. Ich habe ein tolles, motiviertes Team, das viel Liebe und Herzblut einbringt, damit wir auch gute Arbeit leisten können, und das Umfeld ist ausserordentlich freundlich und erwartungsvoll.

Dies ist auch nötig, nach dem unschönen Abgang Ihrer Vorgängerin…

Fehlmann: Man kann es auch so sehen: die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Man freut sich nachher, dass jemand Impulse gesetzt und Veränderung angezettelt hat. Weil es Marie-Paule Jungblut am HMB gab, darf ich nun vermutlich bestimmte Themen mutiger angehen, als wenn sie hier nicht gewirkt hätte.

Ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert?

Fehlmann: Das sicher, aber es geht bei der Neuausrichtung des HMB auch darum, dass man die gewachsene Tradition nicht über Bord wirft und trotzdem eine Erweiterung in die jüngste Vergangenheit ermöglicht, und dass man dabei die jüngsten methodischen Ansätze der Geschichtsforschung berücksichtigt. Wir müssen aber nicht neu anfangen, sondern primär eine gesunde finanzielle Basis und neues Vertrauen schaffen.

Reizen Sie solche Aufgaben?

Fehlmann: Sanieren?

Ja. Kommen Sie dafür zurück nach Basel?

Fehlmann: Ich packe gerne an, die Möglichkeit, einem angeschlagenen Betrieb wieder neue Strahlkraft zu geben, reizt mich auf jeden Fall. Beim Historischen Museum handelt es sich ja nicht um irgendeinen Kulturbetrieb, sondern um eine der Institutionen, welche der Bevölkerung und der Politik dieser Stadt besonders am Herzen liegen sollte, denn das Haus hat für alle etwas zu bieten. Es hat zudem etwas Konstruktives und Positives, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit wieder Vertrauen und Freude an einem Museum zurückzugeben, in dem man Entscheidungen fällt, die andere lieber meiden...

Sie stehen nicht auf dem Trümmerhaufen, den viele befürchten?

Fehlmann: Wie gesagt, ich finde, man soll zumindest versuchen, das Vorhandene positiv anzugehen und die guten Entscheidungen meiner Vorgängerinnen und Vorgänger weiterzutragen. Das Historische Museum Basel hat in den letzten Jahren die Sammlung etwas in den Hintergrund gestellt, weil man auf wessen Wunsch auch immer eher auf Eventkultur und Zeitgeschichte gesetzt hat. Im Grundsatz war dies völlig richtig, weil sich die Interessen in unserer postindustriellen Gesellschaft eher in diese Richtung verlagern, wie das Beispiel der Museumsnacht zeigt, aber man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen und darüber das Kerngeschäft vernachlässigen. Auf jeden Fall wurde der Betrieb - und damit auch die Museumszene in Basel etwas durchgerüttelt, die Nachbeben verspüren wir ja in grossem Stil erst jetzt. Ob Frau Jungbluts Neuausrichtung richtig ablief oder mit mehr Empathie für die lokalen Gegebenheiten hätte gemacht werden können, ist eine andere Frage, aber sie hat geholfen, zu hinterfragen, was heute ein Geschichtsmuseum auch leisten kann und muss. Die Ära von Roda (Marie-Paule Jungbluts Vorgänger, Anm. d. Red.) stand noch ganz in der Tradition der schönen Erinnerung und der Auseinandersetzung mit dem historischen Kulturgut, und auch wenn damals Ausstellungen wie jene zu den Verdingkindern durchgeführt wurden, so entsprach sie weniger einer pointiert kritischen Geschichtsschreibung, wie sie heute an den Universitäten praktiziert wird und wie sie die politisch Linke fordert. Heutige Geschichtsmuseen, die lebendig sein und viele Gesellschaftsschichten ansprechen wollen, müssen auch eine Erinnerungskultur erlauben, die schmerzhaft sein kann. Sie dürfen im politischen Diskurs markieren und Positionen beziehen. Das war im DHM unter dessen Gründungsdirektor Christoph Stölzl, der nota bene das volle Vertrauen von Helmut Kohl genoss, möglich. Heute hingegen hat sich das politische Verständnis gewisser Entscheidungsträger scheinbar dahingehend verändert, dass der Staat alles kontrollieren soll, was eigentlich nicht gut ist. Wohin das führen kann, hat uns die Geschichte der letzten 100 Jahre weiss Gott zur Genüge gezeigt.

Wie wollen Sie denn im historischen Museum Basel politische Akzente setzen?

Fehlmann: Einerseits möchte ich eine ausgewogene Mischung von Zeitgeschichte und älteren Themen anbieten, d.h. explizit polit- und gesellschaftshistorische Ausstellungen mit eher kunst- und kulturhistorischen Präsentationen abwechseln. Vor allem möchte ich auch die Sammlung wieder vermehrt aktivieren, die «richesses de la collection», die in letzter Zeit etwas in den Hintergrund gerückt sind und mit der vorhandenen Infrastruktur auch kaum Chancen haben, wieder gezeigt zu werden. Mit den vorhandenen Objekten können wir Geschichten erzählen, die auch ihre Relevanz für unsere Gegenwart aufzeigen. Wir haben zum Beispiel das Bett der Familie Burckhardt aus dem 16. Jahrhundert in der Sammlung, aber seit Jahren nicht mehr ausgestellt. Stellen Sie sich vor, das ist das Gründungsbett – quasi die Wiege – dieser Basler Dynastie, das müssen wir doch erzählen können! Denn daraus lassen sich weitere Stränge über Liebe, Macht und Tod ableiten.

In der Tat, die Vorstellung, vor diesem Bett zu stehen…

Fehlmann: Aber dafür ist momentan kein Platz vorhanden und ein flexibler Umgang mit den bestehenden Räumlichkeiten ist derzeit nicht gegeben.

Eine Dauerausstellung zur Gründung von Basel mit einem Himmelbett?

Fehlmann: Der Begriff Dauerausstellung ist ein ganz gefährliches Wort. Nichts ist auf Dauer, alles ist im Fluss. Es ist bloss die Frage, wie fest man eine Einrichtung zementiert, wie viele Mittel man investieren will, um einen Zustand einzufrieren. Anders gesagt, es stellt sich die Frage, wie wir in einer schnelllebigen Zeit attraktiv bleiben können und wie viel wir von der Sammlung umwälzen können, weil wir den Platz für eine permanente Präsentation der wichtigsten Objekte - und auch für eine vernünftige Stadtgeschichte - nicht haben. Was ich deshalb anstrebe, ist eine dynamische Sammlungspräsentation, bei der ein Thema für ein Jahr, sei es aus dem Mittelalter, sei es aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs oder der letzten 30 Jahre, aus der Sammlung heraus erarbeitet wird. Gerne würde ich unter den Überbegriffen Verflechtungen und Vernetzung etwas zum Handel oder dem Umgang mit Geld machen: Wir haben nämlich zwei der letzten drei Rechentische aus der Zeit um 1500, die es noch gibt. Super Objekte, an denen man bis zum Bankomaten und der Kreditkarte ganze Stränge in die Gegenwart legen kann – und keiner von beiden wird gezeigt! Das ist doch einfach schade.

Aber was kann so ein Tisch erzählen?

Fehlmann: Man kann erklären, warum wir heute dort sind, wo wir sind. Gewisse Entwicklungen wurden an einem historischen Moment gefördert, mit den Märkten, der Mittleren Brücke, mit der ersten Eisenbahn der Schweiz und der Balair oder Crossair. Die Geschichte ist kein Wechsel - sondern eher wie ein Billiardtisch. Eine Kugel trifft auf eine andere und jede stösst wiederum mehrere an, die Kugeln stehen für jene Menschen, die entscheiden und Dinge in Bewegung setzen.

Sehen sie sich das Basler Münster an, das ist nicht nur ein Bauwerk, sondern steht für eine Schlüsselsituation und weitreichende Entscheidungen. Als der deutsche Kaiser Heinrich II., nachdem er von Burgund den Zipfel hier bekommen hat, sich entschied, den Bischof von Basel zu stärken und ihm ein Münster mit goldenen Weihgaben zu stiften, gab er noch Ländereien dazu, damit sein Stellvertreter ein solches Steueraufkommen generieren konnte, dass er nach zwei Generationen eine Stadtmauer und 200 Jahre später eine Brücke bauen konnte. Ohne die Silbermine in Süddeutschland und ohne das ganze Hinterland, das der Basler Bischof von Heinrich II. erhielt, hätte er sich das gar nicht leisten können. Verkürzt gesagt, steht das Münster auch für Heinrichs politische Motivation, sein Reich am südwestlichen Ende mit einem loyalen und starken Vertreter zu sichern. Ohne einen starken Bischof und ohne die Brücke hätte es vielleicht kein Basler Konzil gegeben, und ohne Konzil keine Universität und ohne diese keine Pharmaindustrie und ohne Pharma wären wir heute in Basel nicht dort, wo wir jetzt eben sind. 

Der Münsterturm und der Roche-Turm stehen also in direkter Beziehung?

Fehlmann: Wenn man das so verkürzt sehen will, sie stehen schliesslich in Sichtweite…. Ich möchte damit bloss zeigen, dass es unglaublich viele und spannende Geschichten zu erzählen gibt, und das bei jeder Ecke in dieser Stadt. 

Welche Themen möchten Sie in Zukunft behandeln?

Wenn möglich vom lokalen Umfeld ausgehend – und vom Sammlungsbestand – sind Ausstellungen geplant, die einen Aktualitätsbezug haben, ob mit Nietzsche oder Theodor Herzl. Aber zunächst planen wir eine grosse Ausstellung zum Münsterjubiläum in Kooperation mit dem Kunstmuseum, und 2020 eine zu Basel als Grenzstadt zwischen 1933 und 1945. Die Situation war nicht einfach und die Menschen haben vergessen, dass da drüben im Casino auch schon Nazifahnen hingen und die Leute mit aufgerichtetem Arm den „Deutschen Gruss“ vollführt haben.

Leider gerade ein sehr aktuelles Thema.

Fehlmann: Man kann mit so einer Ausstellung zeigen, was es braucht, damit eine Gesellschaft beginnt, Menschen auszugrenzen, oder dass sie glaubt, an einem gewissen Flecken auf der Welt hätte sie Erfolg, weil sie besonders fleissig und liebenswürdig sei. Aber so einfach ist es eben nicht und vieles ist von Zufällen wie in einem Billiardspiel geprägt. Die göttliche Ordnung würde in manchen Bereichen das Leben zwar vereinfachen, aber ich möchte das Individuum nicht aus seiner Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft entlassen. Interessant finde ich aufzuzeigen, was an bestimmten Schaltstellen entschieden wird, und weshalb Entscheidungsträger genau diese Entscheidungen treffen und nicht andere. Es gab zwischen 1933 und 1945 Grenzwächter, die beide Augen zugedrückt und Weisungen nicht befolgt haben, als Flüchtlinge über die grüne Grenze kamen. An solche Ereignisse muss man die Erinnerung lebendig halten wie auch an das, wovor damals diese Menschen geflohen sind. Und es stellt sich die Frage, wie sich die offizielle Haltung erklären lässt. Erinnern Sie sich doch, dass die Razzia gegen die Nazis in dieser Stadt erst im Mai ’45 stattfand, nachdem man wusste, dass es mit dem Tausendjährigen Reich zu Ende geht. 

Was kann man da zeigen, was über die historischen Fakten hinausgeht?

Fehlmann: Wir Nachgeborenen sind immer gescheiter, aber interessant ist doch, in welchen Situationen Entscheidungsträger abwarten und zuschauen, bevor sie eine Lösung angehen, in der Hoffnung, dass man beim Aussitzen keine Fehler macht. Es geht doch auch darum, was wir als politische Wesen in einem Staatsgefüge, in einer Gemeinschaft für Verantwortung tragen. Sei es in einem Betrieb, in der Familie, in der Politik. Und die Geschichte kann uns Beispiele geben, wie man erfolgreich und moralisch richtig handelt – und wie man das Gegenteil erreicht. In einem Geschichtsmuseum sollen diese Aha!-Erlebnisse ermöglicht werden und Fragen wie: Wie hätte ich reagiert? Wie hätte ich entschieden in dieser oder jener Situation?

Und das lernt man aus den Objekten?

Fehlmann: Es geht nicht nur um die Herkunft, das Datum und die Ikonografie der Dinge, sondern auch um die Funktion, Bedeutung und Aussagekraft, die diese für den historischen Menschen gehabt haben und die sie heute haben. So schafft man ein Verständnis für die Kultur und die Umwelt, in der man lebt und eine emotionale Brücke zur Vergangenheit.

Können Sie dafür aus vergangenen Erfahrungen schöpfen?

Fehlmann: Ich komme aus einem Haus in Berlin, das genau das gemacht hat und damit gross geworden ist. Man wusste genau, was man erhält, wenn man mich hierher nach Basel holt. Jetzt müssen wir eben schauen, wie das Präsidialdepartement und das HMB die verschiedenen Erwartungen erfüllen können.

Damit meinen Sie die Finanzen. Was sind die Folgen der Situation des Historischen Museums nach Jungblut?

Fehlmann: Es wird sich zeigen, aber fest steht, dass es ohne Pulver kein Feuerwerk gibt. Oder anders gesagt: Man bekommt, was man bezahlt. Zum Glück sind die Privaten sehr verständnisvoll für die Situation, in der sich das Haus befindet, ebenso gibt es eine wunderbare Kommission, die hinter dem Haus und dem neuen Kurs steht und auch hinter den Ansprüchen, die das Museum berechtigterweise stellt. 

Darf man dennoch auf ein «Wunder von Winterthur» hoffen?

Fehlmann: Nein, das hat ja nur funktioniert, weil dort die ganze Stadtregierung mitgemacht hat. In Basel hingegen müssen wir Museumsleute gewisse Entscheidungsträger erst noch dazu motivieren, zeitnah auf Worte Taten folgen zu lassen. 

Müssen Sie dafür auch mehr Besucher gewinnen?

Fehlmann: Wir können nicht gegen den Strom schwimmen. Es ist schon schlimm genug, dass das HMB wieder positiv im Bewusstsein politischer Entscheidungsträger verankert werden muss, und das läuft am besten mit Besucheranstieg und schwarzen Zahlen. Defizitäre Institutionen sind nicht beliebt. Eigentlich geht es aber darum, dass man den Menschen einen Orientierungsort anbietet, einen Ruhepol in der Gesellschaft, wo die Besucher etwas Gescheites erfahren können und das Gefühl haben, sie kämen bereichert wieder heraus. Natürlich muss ich mir da mit meinem Team überlegen, was den durchschnittlichen Besucher interessieren könnte. Dafür müssen wir unsere Besucher kennen und das tun wir im Moment noch nicht. Deshalb werden wir nächstes Jahr die Besucherforschung massiv ausbauen und dafür unser Angebot leicht reduzieren. 

Was bedeutet das?

Fehlmann: Wir werden nächstes Jahr etwas ruhiger fahren, weil grundlegende Aufgaben angegangen werden müssen und ich die Überstunden der Mitarbeiter abbauen und den Betrieb etwas aus dem Gehetze herausholen möchte. Auch müssen wir die ganze Institution auf eine gesunde finanzielle Basis stellen, vor allem aber brauchen die Leute wieder Ruhe, um ein Projekt reifen zu lassen oder Problemlösungen zu finden. Dann müssen wir gewisse Strukturen im Sammlungsmanagement bereinigen oder neu aufbauen, damit wir ab 2019, wieder aktiv zum kulturellen Angebot der Stadt beitragen und attraktive Ausstellungen anbieten können. Schliesslich ist das unser 125. Jubiläum, da müssen wir gut dastehen. Insgesamt brauchen wir mindestens drei Jahre, bis wirklich markante Resultate zu sehen sind.

Und zum Schluss: Was soll das Historische Museum Basel in 5 Jahren sein?

Fehlmann: Das HMB soll ein international anerkanntes Weltklasse-Museum sein, das die Vergangenheit Basels erforscht, die Gegenwart Basels beleuchtet und die Zukunft Basels mitdenkt und prägt.

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