Von li. nach re.: Rolli, Caroline und Claude Rasser
Von li. nach re.: Rolli, Caroline und Claude Rasser
  • Binci Heeb
  • Aktualisiert am

Die neuen mächtigen Basler Familien. Heute: Familie Rasser – Schauspieler und Kleintheater-Betreiber

Es gibt Volksmärchen, die sind einfach zu gut, als dass sie erfunden sein könnten. Das Theater Fauteuil wurde im November 1957 von Roland Rasser gegründet und gilt als Geburtsstunde der Schweizer Kleinkunsttheaterszene. Soweit so gut. Der Premierenabend des ersten Programms «Pscht – wytersage!» des Cabaret Gygampfi war gratis und jetzt kommt’s: Das Publikum wurde gebeten, anstelle des Eintrittspreises einen Stuhl ins Theater mitzubringen. So kam der frischgebackene Theaterdirektor kostenlos zu den Sitzen im Saal. Noch bis 2002 waren einige dieser Stühle im Einsatz, bevor sie durch die aktuelle Theaterbestuhlung ersetzt wurde. Barfi.ch hat Roland, Caroline und Claude Rasser im Fauteuil besucht.

Die Anfänge: Alfred Rasser

Mit Alfred Rasser (geb. 1907) begann eine Basler Familien-Saga der Neuzeit, die mittlerweile zu einer richtigen Schauspieldynastie geworden ist. Alfred wurde die Bühnenkunst nicht in die Wiege gelegt: Nach einer Speditionslehre arbeitete Rasser zunächst als Buchhalter und betrieb eine Hühnerzucht im Tessin. Im Kabarett Resslirytti verkörperte er 1934 erstmals den legendären Theophil Läppli, die Schweizer Antwort auf den «Braven Soldaten Josef Schwejk» von Jaroslav Hašek. Nach der Rückkehr von einer Reise mit anderen Künstlern und Politikern in die Volksrepublik China wurde er nicht mehr engagiert. Der Film war seine Rettung und brachte die Rehabilitierung. Der Kurzfilm «Läppli am Zoll» 1954 war die erste Läppli-Verfilmung, dem «HD-Soldat Läppli» (1959) und «Demokrat Läppli» (1961) folgen sollten. Erst durchs Fauteuil fand er wieder zurück zum Cabaret. Als längst berühmter Schauspieler wurde Alfred Rasser dann mit 60 Jahren auch in der Realität politisch tätig, von 1967–1975 sass er für den LdU (Landesring der Unabhängigen) im Nationalrat.

Roland (Rolli) Rasser

Alfreds Sohn, der 1932 geborene Roland Rasser, begann hingegen sehr früh mit seiner Künstlerkarriere. Die erste Filmrolle spielte er bereits im Alter von acht Jahren. Als Martinli in Leopold Lindtbergs «Die missbrauchten Liebesbriefe» nach Gottfried Keller. Doch wie bereits sein Vater liess auch er sich zum Kaufmann ausbilden, mit abgeschlossenem Handelsdiplom. 1953 sammelte der spätere Kleintheatergründer zusammen mit seinem Vater erste Bühnenerfahrung unter anderem im Sketch: «Läppli beim Psychiater».

Roland Rasser als HD-Soldat Läppli (1989) ©Theater Fauteuil

1971 wurde ebenfalls neben dem Fauteuil mit dem Tabourettli eine zweite Kleinkunstbühne im gleichen Haus am Spalenberg eröffnet, Seit es 1989 durch den spanischen Architekten Santiago Calatrava umgebaut wurde, gehört es zu den schönsten Kleinkunsttheatern Europas. 1998 übergab Roland Rasser die Theaterleitung nach über 40 Jahren an seine Kinder: Caroline und Claude.

Barfi.ch: Wie kamen Sie zu den Kellerräumlichkeiten im Theater Fauteuil?

Roland Rasser: Dort, wo jetzt die Garderobe von Calatrava ist, wohnte 1956 ein Herr Stauffer, seines Zeichens Artist. Er war der letzte fliegende Mann, der aus einer Kanone geschossen wurde. Zusammen mit der Hauseigentümerin, der Staatlichen Liegenschaftsverwaltung sowie der Feuer-und Baupolizei und meinem Bruder Max, dem Architekten, wollten wir den Keller besichtigen, um abzuklären, ob sich dort meine Idee eines Kellertheaters realisieren liesse. Herr Stauffer kam mit einer Kerze, entzündete sie, um uns den dunklen, mit Gerümpel vollgestellten Gewölbekeller zu zeigen. Die Feuerpolizei war alles andere als begeistert (lacht). Zu der Zeit herrschte bei Baugeschäften noch Hochkonjunktur. Max, der gleichzeitig auch mein Onkel und Götti war, sollte den Umbau gestalten und brachte es zustande, dass der für mich damals enorm hohe Betrag von 70'000 Franken von den Bauunternehmern für zehn Jahre vorgeschossen und das erste Theater realisiert werden konnte.

Der Spalenberg - Ort des Geschehens. ©Theater Fauteuil

Seit 1989 sind auch der Kaisersaal und der Rest der Liegenschaft in unserem Besitz. In den ersten Mietverträgen wurde festgehalten, dass nur diejenigen Künstler auftreten durften, mit denen die staatliche Liegenschaftsverwaltung einverstanden war. Sie unterschrieben die Verträge mit den Künstlern sogar mit. So auch den mit meinem Vater Alfred, der nach seiner Rückkehr aus China von allen geschnitten wurde und durchs Fauteuil wieder zurück zum Cabaret fand.

Drei Generationen Schauspieler: Caroline Rasser, gab es nie eine Alternative als die Bühne für Sie?

Caroline Rasser: Als Teenager wäre ich gerne in Richtung Dolmetscherin gegangen. Aber Bühne und Theater waren mir immer sehr wichtig. Der Schritt an die Schauspielschule war dann irgendwie klar. Anfänglich bedeutete die Schauspielerei für mich auch nur die Bühne, nicht den Film. Es war eher überraschend, dass ich dann doch einige Jahre beim Schweizer Fernsehen landete (u.a. für die Sitcom «Fertig Lustig» aus dem Jahr 2000 von Charles Lewinsky, Anm. der Redaktion).

Claude Rasser, Sie sind der Mann im Hintergrund, haben Wirtschaft studiert, das Theater schien Sie nicht zu interessieren...

Claude Rasser: Es mag so aussehen, aber ich habe ebenfalls 15 Jahre lang in unseren Märchen mitgespielt. Mein Vater Rolli sagte damals, dass er nur noch einmal ein Märli spiele, wenn auch ich mitmachen würde. So kam es zu meinen Auftritten im Froschkönig, wo ich Prinz Felix darstellte. Die undankbarste Rolle, weil der Prinz darin nur in den letzten zwei Minuten vorkommt. Jedes Jahr wurden die Rollen dann grösser und das gefiel mir. Grosse Ambitionen hatte ich trotzdem nie. Seit vier Jahren war ich nicht mehr auf der Bühne und ob ich nochmals auftrete, steht in den Sternen.

Wann schnupperten Sie beide zum ersten Mal gemeinsam Theaterluft?

Caroline Rasser: Das war bei «Das Tapferen Schneiderlein» Anfang der 80er Jahre. Da waren wir beide noch in der Primarschule. Unser Vater spielte das tapferer Schneiderlein, Claude war die Wildsau und ich die Hinterbeine des Einhorns. In den Vorderbeinen steckte unsere Cousine Olivia.

©Theater Fauteuil

Viele grosse Kabarettisten und Künstler sind im Fauteuil und wahrscheinlich auch privat in Ihrem Elternhaus verkehrt. Wer hat die grössten Spuren hinterlassen?

Claude: Auf alle Fälle Emil, weil es auch die private Verbindung gab, er ist ja mein Götti. Auch durch seinen Sohn Philipp, mit dem wir als Kinder zusammen spielten und auf der Rigi waren.

Caroline: Ja und Dimitri. Zur Geburt von Claude malte er extra für mich, die grosse Schwester, ein Bild. Aber auch Marco Rima und Peach Weber waren bei uns zu Hause. 

Es fällt auf, dass viele grosse Künstler, wie zuletzt auch wieder Emil Steinberger, mit ihren neuen Programmen ins Fauteuil zurückkehren. Das Theater scheint trotz der nur 200 Plätze sehr beliebt zu sein. Worauf führen Sie das zurück?

Claude: Die Atmosphäre des Raums ist wohl der Hauptgrund. Künstler sagen immer wieder, dass es so eine Stimmung, wie im Fauteuil, nirgendwo sonst gibt. Willy Astor meint zum Beispiel, dass Auftritte im Fauteuil wie Wellness für ihn seien.

Ihr Vater hat das Theater während 40 Jahren geführt. War von Anfang an klar, dass Sie beide seine Nachfolger werden?

Caroline: Es war ein fliessender Übergang. Rückblickend perfekt. Den Betrieb lernten wir zwangsläufig schon früh kennen, haben an der Kasse, der Billettkontrolle, etc. ausgeholfen. Auch zum Geldverdienen als Teenager war das toll. Vor der Übernahme konnten wir über zwei Jahre lang reinschnuppern, unverbindlich. Wir waren frei, festzustellen, ob es uns Spass macht.

Claude: Auch künstlerisch teilten und teilen wir dieselben Vorlieben. Wir reden einander nicht rein. Caroline kümmert sich vor allem um die Komödien und das Pfyfferli, ich mich um einen Teil der Gastspiele.

©Theater Fauteuil

Was haben Sie, seit die Verantwortung bei Ihnen liegt, verändert?

Caroline: Von Anfang an war die Idee nicht alles auf den Kopf zu stellen, sondern eher weiterzuentwickeln. Moderne Technik wurde eingebaut, die neue Bestuhlung kam.

Claude: Und unsere Ansprüche sind gestiegen.

Caroline: Vieles baut jetzt auch auf unseren eigenen Erfahrungen auf. Unser Vater liess uns machen und anfänglich programmierten wir vielleicht Dinge, die wir heute nicht mehr wählen würden. Wir produzieren heute auch mehr selber. Darunter vier Eigenproduktionen, wie aktuell «Das Tapfere Schneiderlein» (ab 29.10.2016.), «Dinner für Spinner» (ab 11.11.2016), «Im weissen Rössl» (ab 24.11.2016) und das «Pfyfferli 2017» (ab 6.1.2017). Alle Produktionen werden zwischen 35 und 70 Mal gespielt.

Gibt es Künstler, die Sie unbedingt fürs Fauteuil verpflichten möchten, die aber noch nie in Basel waren?

Claude: Gerhard Polt war so ein Fall. Nach Jahren des Anfragens trat er 2013 zum ersten Mal im Fauteuil auf. Auch Ohne Rolf kamen erst nach drei bis vier Jahren. Ich würde mich freuen, Reinhard Mey wieder einmal verpflichten zu können.

Caroline: Ein Konzert mit Konstantin Wecker im Tabourettli wäre ein grosser Wunsch.

Gibt es auf der anderen Seite solche, die Sie nie verpflichten würden?

Caroline: 200 Plätze sind vielleicht wenig, können aber auch sehr viele sein. Es gibt Künstler, die im familiären oder Freundeskreis gut ankommen, aber vor einem grösseren Publikum nicht bestehen. Da dürfen wir nicht zu experimentell sein. Unsere Künstler sollen unterhalten, dürfen aber durchaus auch politisch sein. Beim Entdecken von jungen Talenten hilft unsere Erfahrung. Sind sie dann arriviert, kommen sie auch gerne zurück ins Fauteuil.

Sind die Zuschauerzahlen in Ihren Theatern konstant?

Claroline: (Lacht) Wenn Emil da ist schon. Im Ernst: Die Zahlen sind sehr konstant, es gibt keine massiven Schwankungen.

Claude: Es weht effektiv ein rauer Wind in unserem Geschäft. In Basel existiert mittlerweile eine riesengrosse Konkurrenz. So viele Säle und Hallen werden bespielt. Zudem fehlt die Neugier des Publikums gegenüber neuen Künstlern. Die Leute kommen nur, wenn sie schon etwas über den Gast gelesen haben oder ihn kennen. Bei einem jungen Künstler geben wir dann auch schon mal 50 Freikarten raus, um sie einem grösseren Kreis vorzustellen.

Zum Thema Subventionen. Im Gegensatz zu anderen kleineren und grösseren Theatern haben Sie noch nie staatliche Subventionen bezogen und früher sogar eine Billetsteuer bezahlt. Gibt es andere Fördergelder?

Caroline: Nein, dafür haben wir die Freiheit in der Programmierung. In den letzten Jahren bekamen wir einmal pro Saison produktionsbezogene Beiträge von Swisslos für die Komödien. Daneben gibt es den Gönnerverein Fautabou mit 2'500 Mitgliedern.

Der Theaterclan 2004: Caroline, Manon, Roland und Claude. ©Theater Fauteuil

Geht es mit der Schauspieldynastie weiter? Caroline und Claude, wie sieht es mit Ihren Töchtern aus? 

Caroline: Manon hat im September ihr Wirtschaftsstudium in Zürich begonnen und wollte bereits die Bilanzen des Fauteuils studieren (lacht). Schon als 10-Jährige spielte sie in Märchen mit, schauspielerische Ambitionen hat sie aber im Moment nicht. In ihrer Freizeit arbeitet sie oft bei uns im Theater, um etwas Geld zu verdienen.

Claude: Valérie, die Jüngste (3 Jahre alt) ist bereits eine kleine Rampensau... Was draus wird, wer weiss.

Haben Sie sich bereits Gedanken über Ihre Nachfolge gemacht?

Claude und Caroline: Wie es weitergeht haben wir uns noch nicht überlegt. Die Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, fehlt. Zudem sind wir noch nicht in einem Alter, wo die Nachfolge geplant werden muss.

Zum Schluss noch eine Fragen an den Senior: Wie hat sich Ihr Leben seit der Pensionierung verändert, was machen Sie heute?

Rolli Rasser: Mir geht es sehr gut. Ich geniesse die freie Zeit mit Lesen und Kreuzfahrtreisen. Ich freue mich sehr, dass die Theaterübergabe an meine Kinder so gut und reibungslos funktioniert hat. Zudem bin ich nach wie vor am Theatergeschehen interessiert, mische mich aber nicht mehr aktiv ein.

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