Fotos: Henry Harlekin
Fotos: Henry Harlekin
  • Ryslaifer
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Ein Meer aus Zeit: 72 Stunden Ewigkeit

Unseri Wääg sin krumm, I sag dr s grad. Pfeifer, Trommler und die ganze Bagage, die dazugehört, sind eben muntere Stadtwandererinnen und Stadtwanderer.

Foto: Henry Harlekin

Doch es würde niemandem in den Sinn kommen, die Kilometer zu zählen. Die Hüft- und Rückenschmerzen spielen keine Rolle, so lange geruesst und tirilliert wird.

Und wenn du auch dieses Jahr vielleicht zu enge Augenschlitze hast, auch wenn der Helm vorne oder hinten ein bisschen drückt, während du – bergauf, bergab, denn unser Basel ist ja ein richtiges Bergdorf – durch die Strassen und Gassen ziehst, mit den Alte, em Gluggsi, em Nunnefirzli, beim Laufen schwebst du über allen Wolken.

Ein unbeschreibliches Gefühl: Excelsior!!

Erst beim Halt wird ein bisschen gejammert und geklagt. Das gehört einfach dazu. Und die verstopfte Nase und das leichte Kopfweh und das ramponierte Handgelenk und das Hühnerauge am linken Fuss...

Doch diese Klagelieder werden dann sogleich von einem Netz, gewoben aus dummen Sprüchen, garniert mit Weisswein-Gemeinheit, aufgefangen. Jawohl, Nadelstiche von spitzen Zungen sind die Akupunktur der Fasnächtlerinnen und Fasnächtler.

Und der Schnaps ist der Heiler zur späten Stunde, ob im Kaffi, im Tee oder pur, der hochprozentige Doktor tut seine Wirkung. Mit zielsicherer Präzision.

Trotzdem hast du als laufender Aktiver nie wirklich «ain dinn».

Wenn es mit heiserer Stimme Yyyyyyschtoh schreit aus dem Tambourmajor-Kopf, wenn du deine Larve wieder vor dem Gesicht hast, wenn das Kommando «Vorwärts. Marsch!» ertönt, deine Beine auf dem Pflaster, auf dem Asphalt wieder sicher Tritt fassen, arbeitest du den ganzen Alkoholpegel im Nullkommanichts ab. Das ist die wahre Fasnachts-Fitness.

dr Ryslaifer und sein mediokres Ziigli laufen im tiefsten Bauch der spätesten Nacht den Spaalebuggel hinauf.

Zu einer Stunde, die es eigentlich gar nicht gibt. Die Uhrzeiger stehen einfach still. Weil sie müde sind, müder als wir Fasnachtsgestalten. Die Uhren haben begriffen, dass für uns die Zeit nicht zählt, nur der Takt. Deshalb geben sie es einfach auf, jedes Jahr an den drey scheenschte Dääg  – und schenken uns ein Meer aus Zeit: 72 Stunden Ewigkeit!

An den Nachmittagen wärmen wir uns auf, Cortège ist Pflicht, sich durch die Kinderfasnacht zu drücken, ist eine fröhliche Geschichte. Doch wenn die Sonne untergeht, dann folgt die Kür, dann wird die volle Ladung abgeschossen, dann werden alle Bremsen gelöst, wie es sich gehört.

Die Fasnacht der Pfeifer und Trommler ist eine Nachtblume, ein unendlicher Strom, der durch alle Ecken und Enden der alten Stadt fliesst.

Jeder Zug, der grösste wie der kleinste, spielt seinen eigenen Marsch und fällt selbst in der grössten Druggedde nicht aus dem Takt. Die Vordrääbler vorne links winken sich im Gegenverkehr kurz zu. Mit einer knappen Handbewegung, einem Respektsignal, das keineswegs überschwänglich ist. Die Tambourmajore geben sich gegenseitig, sobald sie auf der gleichen Höhe sind, eine Reverenz, einen Ehrengruss. So muss das sein.

Die einzigen Wehrmutstropfen sind Zivilistinnen, Zivilisten, die einfach durch die Züge laufen, sie müssen sich nicht wundern, wenn sie dafür den einen oder anderen groben Anrempler kassieren. Denn die Fasnacht braucht sie nicht!

Eigentlich braucht die Fasnacht kein Publikum. Uns Aktiven ist es egal, ob uns Zivilsten bewundern oder nicht. Wir sind unser eigenes Publikum! Wir sind ein wenig traurig darüber, dass es immer mehr Ecken gibt, auch mitten in der Altstadt, wo sich junge Männer versammeln, die uns beschimpfen, wenn wir durchlaufen, oder uns sogar bedrohen und in die Beine treten.

Wir ärgern uns zudem furchtbar darüber, dass es langsam immer mehr Mut braucht, als Pfeifer- und Trommlereinheit durch die Grünpfahlgasse zu marschieren, die für uns ja eine ganz wichtige innerstädtische Achse darstellt, weil sich dort – um das Unternehmen Mitte herum – inzwischen jährlich eine Meute aus groben Fasnachtshassern versammeln darf, ohne dass jemand von offizieller Seite etwas dagegen unternimmt. Die Vordrääbler sind es leid, sich mit solchen Gestalten prügeln zu müssen, denn dies gehört – gopferglemmi – definitiv nicht zur Fasnacht – und sie fühlen sich danach einfach nur elend...

Doch wir geben solche Gassen keineswegs auf, denn die Fasnacht wird auch diesen Mob überdauern!!!

Nun ist schon Mittwuch. Heute Nacht wird sich die alte Frau Fasnacht nochmals aufbäumen – in ihrer ganzen Pracht, mit ihrer ganzen Macht. 20'000 Menschen werden bis zum Ändstraich, mit Trommeln, mit Basler Dybli und Spez, durch Basel ziehen. Auf krummen Wegen, mit frohen Herzen. Es gibt halt nichts Besseres auf dieser verrückten Welt!!!

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