Zwei Drittel der Schweizer E-Bike-Fahrer sind über 50 Jahre alt. ©Keystone
Zwei Drittel der Schweizer E-Bike-Fahrer sind über 50 Jahre alt. ©Keystone
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Gefährliche E-Bike-Lenker: Mächtige Velos für zu schwache Fahrer

Die Zahl der E-Bike-Unfälle hat in der Schweiz einen neuen Rekordwert erreicht. Die motorgestützten Velos sind ein Verkehrsrisiko geworden – auch in Basel. Für die Polizei ist klar: Verheerend ist die falsch eingeschätzte Geschwindigkeit.

Da fährst du mit Velo nach Hause, die Kreuzung etwas unübersichtlich, und als konditionierter Rennrad-Fetischist schaust du natürlich acht- und folgsam auf die Verkehrslage. Dann – zack! – brettert einer so an dir vorbei, dass der Fahrtwind nur so um die Ohren pfeift. Was war denn das? Aha. Ein E-Bike-Fahrer.

Andernorts, an der Kreuzung Dornacherstrasse/Margarethenstrasse: Die übliche rote Ampel um halb neun Uhr morgens. Der Konditionierte wartet. Der echte Basler Velofahrer aber – um eine ruppige Verkehrsverletzung selten verlegen – brettert mal kurz übers Trottoir um die Kurve. Das Tempo: halsbrecherisch. Zum Glück verliessen gerade keine Kunden das Quartierlädeli an der Ecke. Was schon mit normaler Trampgeschwindigkeit gefährlich ist, ist mit einem E-Bike in vollem Karacho lebensgefährlich. Nämlich so, als ob man mit einer Vespa in voller Fahrt mal kurz aufs Trottoir wechselt.

Arm an Muskelkraft, reich an Tempo

E-Bikes sind zwar praktisch, aber sie sind auch perfid. Seit einigen Jahren beliebt im Strassenverkehr, sind die Velos mit Elektromotor vor allem bei älteren Zweiradfahrern im Trend. Sie erreichen mit bis zu 45 km/h stattliche Geschwindigkeiten, mit denen selbst ein untrainierter 50-Jähriger den fitten Rennrad-Amateur abhängen kann. Besonders die leistungsstarken Modelle brauchen daher eine gelbe Fahrzeugnummer, müssen also registriert werden.

Mit gutem Grund. Denn die Fahrzeuge sind nicht nur wahnsinnig praktisch, wenn es an Muskelkraft fehlt. Sie sind auch gefährlich: Während der Rennradfahrer durch Training ein Gefühl für mittlere bis hohe Geschwindigkeiten auf dem Velo entwickelt, flitzt es sich mit dem E-Bike einfach so mal los. Wer sich dann verhält, als trampe er noch mit 12 km/h durch die Stadt, lebt gefährlich. Für sich und die anderen.

Zweiräder flitzen in Basel gefährlich

Das zeigen auch die heute Dienstag veröffentlichten Zahlen des Bundesamts für Strassen (Astra). Obwohl die Zahl der schweren und tödlichen Verkehrsunfälle in der Schweiz laufend sinkt, steigt die Tendenz just im Bereich der E-Bikes: 2016 gab es insgesamt 210 Unfallopfer. Mit 201 Schwerverletzten erreichte die Anzahl Unfallopfer einen Höchstwert, 9 E-Bike-Fahrer kamen letztes Jahr ums Leben. Laut Astra ist die zunehmende Nutzung der motorisierten Velos ein Grund für die steigende Zahl an Unfällen: 2016 war jedes vierte verkaufte Velo ein E-Bike. Zwei Drittel der E-Bike-Nutzer sind Personen über 50 Jahre.

In Basel-Stadt allerdings relativiert die Polizei die Zahlen. Eine kürzlich gestellte Anfrage ans Sicherheitsdepartement ergab: «Grob geschätzt entsprechen die Unfallzahlen der E-Bikes ihrer Verbreitung im Strassenverkehr», wie Polizeisprecher Martin Schütz sagt. Genauere Angaben lasse die Statistik nicht zu. Aber: «Der Anteil der erfassten Unfälle mit E-Bike-Beteiligung gegenüber denen mit Velo- bzw. Zweiradbeteiligung ist eher gering.» Der Anteil der schnellen E-Bikes – also bis 45 Stundenkilometer – sei sogar sehr gering, so Schütz: «Darüber,
dass E-Bike-Fahrer unter den Zweiradfahrern übermässig für diese Gefährdungsgefühl verantwortlich wären, hat die Kantonspolizei keine Erkenntnisse.»

Schnell oder lahm? Autofahrer können es nicht abschätzen

Freispruch also seitens Behörden für die Basler E-Bike-Fahrer? Nicht ganz. Schütz fügt an: «Allgemein lässt sich sagen, dass die Geschwindigkeit der E-Bike-Fahrer von den Fahrern selbst und anderen Verkehrsteilnehmern häufig unterschätzt wird. Dies kann zu gefährlichen Situationen für beide Seiten führen.» Der grosse Vorteil ist also gleichzeitig der grösste Nachteil: Die getunte Geschwindigkeit. Für Autofahrer ist es nicht einfach, das Tempo eines Velos abzuschätzen. Da E-Bikes mit den immer kleiner werdenden Motoren insbesondere von vorne aussehen wie ganz normale Strassengöppel, ist es auf den reflexartigen Kontrollblick hin schwer auszumachen, ob das Velo nun mit 12 Stundenkilometern oder 30 Stundenkilometern angerauscht kommt. Gepaart mit dem in Basel oft rücksichtslos-rüpelhaften Verhalten von Zweiradfahrern eine ziemlich heisse Situation.

Das bestätigt auch die Kantonspolizei: «Dass sich viele Fussgängerinnen und Fussgänger von Velofahrerinnen und Velofahrern gefährdet fühlen, ist der Kantonpolizei Basel-Stadt bekannt», sagt Schütz. Entsprechend aktiv sei sie zusammen mit dem Bau- und Verkehrsdepartement in diesem Bereich. Sowohl repressiv mit Kontrollen als auch präventiv mit Kampagnen und baulichen Massnahmen.

Noch einmal pedalen wie mit Zwanzig

Das eigentliche Problem bleibt aber der für Veloverhältnisse perfide Geschwindigkeitsschub: Trampen wie auf dem alten Göppel, dabei flitzen wie mit dem Roller – und das mit 50 Lenzen oder mehr auf dem Buckel. Ein schönes Lebensgefühl, besonders wenn es bergauf geht. Die Auffassung, dass mit der Höhe der Geschwindigkeit aber auch umso mehr das Mass der Aufmerksamkeit gegenüber dem Strassenverkehr steigen muss, hat sich bei vielen E-Bike-Fahrer jeglichen Alters aber noch nicht durchgesetzt.

An der vollgestellten Kreuzung wie in der Tempo-30-Zone: Für alle Verkehrsteilnehmer gelten die gleichen Regeln. Ob man das als Velo-Rowdy nun wahrhaben will oder nicht, spätestens als E-Bike-Rowdy muss man sich daran gewöhnen. Schliesslich ist es keinesfalls gesünder, mit Tempo 30 oder sogar 40 einen Unfall zu bauen als im gemächlicheren Tempos des rein muskelkraftgestützten Velofahrers.

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