© Pascal Moser
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  • Christian Platz
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Hemmungslos Abfall liegen lassen, überall, die öffentliche Hand soll es richten

Wir können die Profis in Orange von der Stadtreinigung nur bewundern. In einer Zeit, in der viele Leute ihren Abfall einfach in aller Öffentlichkeit liegen lassen, wird die Aufgabe jener, die putzen müssen, nämlich zu einer Sisyphusarbeit, die eine Engelsgeduld verlangt. Das schamlose Littering unserer Tage stellt zudem ganz klar einen zivilisatorischen Rückschritt dar. Schande über uns!

Alles eine Frage der Kinderstube?

Es ist unmöglich, eine Typologie jener Leute zu erstellen, die ihren Abfall einfach auf öffentlichen Strassen und Plätzen liegen lassen. Dafür spricht eine Beobachtung, die wir neulich abends am Rhein gemacht haben. Eine Gruppe schwer-tätowierter Rock’n’Roll-Rebellen räumt ihre leeren Getränkeflaschen fein säuberlich weg und entsorgt sie im Container, bevor sie weiterzieht. Während ein adrettes Pärchen einfach alles liegen lässt: Pizzakartons, Mineralwasserfläschen sowie eine grüne Weissweinflasche. Als wäre das Rheinbord ein Restaurant und Leute würden dafür bezahlt, dass sie hier abräumen. So ist es leider überall, in Parks, in Gassen, Strassen auf Plätzen. Alles eine Frage der Kinderstube?

Ohne jegliches Schamgefühle

Sicher hat dies mit der Erziehung zu tun, aber das Problem greift wohl noch tiefer. Tatsache ist, heutzutage lassen sehr viele Leute ihren Abfall einfach liegen, hemmungslos – und offenbar ohne jegliche Scham- oder Schuldgefühle. Dies stellt ganz klar einen zivilisatorischen Rückschritt dar.  

«Sonst gibt es Ärger»

Wenn wir als Kinder in den 1970-er Jahren in einem Park eine Glacé, ein Schöggeli, ein Weggli aus dem Verpackungsmantel pulten, waren sie sofort zur Stelle: die Mahnerinnen und Mahner des öffentlichen Lebens. Zivilpersonen, die Anstand anmahnten nämlich. Meistens hat dies in etwa so angefangen: «E Guete. So, bekommt Ihr zu Hause nicht genug zu essen?» Dann ging es weiter: «Das Papierchen landet dann aber gefälligst in einem Mistkübel, nicht auf dem Boden. Sonst gibt es Ärger».

Bild: Keystone

 

Verhältnisse haben sich umgedreht

Keiner von uns hat sich getraut, diesen mahnenden Stimmen zu widersprechen oder eine freche Antwort zu geben. Einmal hat es der kleine Luki trotzdem gemacht – und dafür eine schallende Ohrfeige kassiert, von einem älteren Herrn. Was damals niemanden besonders aufgeregt hat. Wenn heute jemand Jugendliche auf der Strasse schon nur ermahnt, kann er sich auf Beschimpfungen gefasst machen, die wir nicht in diesen Artikel schreiben wollen. Und wenn die Kids schon älter und stärker sind, gibt es vielleicht sogar noch Schläge. Die Verhältnisse haben sich also gewissermassen umgedreht...

«Grüsel» und «Dreckspatz»

Auch unsere Eltern, Grosseltern, Lehrer ritten beständig auf diesem Thema herum, es wäre ihnen hochnotpeinlich gewesen, wenn wir unseren Müll einfach in der Öffentlichkeit hätten liegen lassen. Das Resultat: Bis auf wenige Ausnahmen, die sofort bemerkt und zutiefst beklagt wurden, gab es damals kein Littering. Und auch dieses neudeutsche Wort hat es noch nicht gegeben, wer seinen Abfall einfach liegen liess, war ebenso einfach ein «Grüsel» und ein «Dreckspatz». Sauberkeit im öffentlichen Raum und Abfallentsorgung sind zivilisatorische Fortschritte. Was wir seit einigen Jahren erleben, stellt ganz klar einen Rückschritt dar ­– wie auch das eklige auf den Boden Spucken, das inzwischen offenbar zur Norm gehört.

Zum Himmel gestunken

Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein, hat es in den europäischen Städten zum Himmel gestunken. Im Mittelalter wurden Fäkalien und Tierkadaver einfach in Gruben versenkt oder in Bäche, Flüsse, Seen geworfen, mit verheerenden gesundheitlichen Folgen. Später wurden biologische Abfälle mit einer Unzahl von Kutschen aus der Stadt befördert. Gleichzeitig waren die Hausbesitzer dafür verantwortlich, dass es vor ihren Liegenschaften sauber war, diese bis zur Strassenmitte. Den Abfall, welchen sie dabei aufgelesen haben, mussten sie zu einer öffentlichen Sammelstelle bringen. Es gibt noch heute Entwicklungsländer, in denen derartige Zustände herrschen. Wer einige Zeit an solchen Orten verbracht hat, weiss um die gravierenden Folgen mangelhafter Abfallentsorgung Bescheid.

Hygienische Revolution

Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurde die öffentliche Hygiene ein grosses Thema, welches auch im 19., im so genannten bürgerlichen Jahrhundert immer präsent blieb. Ab dem frühen 20. Jahrhundert fand dann eine eigentliche hygienische Revolution statt. Die Abfälle wurden zunächst durch private Firmen aus der Stadt gebracht, sortiert, kompostiert ­– und der Rest wurde auf, meist sehr ekligen, Deponien gelagert. Und dann kam die Zeit der Kehrichtverbrennung sowie der organisierten Stadtreinigung. Bereits 1904 führte Zürich die öffentliche Kehrichtverbrennung ein, Basel war eher spät dran, nämlich im Jahr 1943.

Adieu Errungenschaften

In den 1960-er, 70-er, 80-er Jahren war noch eine Generation am Ruder, welche die schmutzigen Städte der Vergangenheit erlebt hatte und stolz auf die modernen Errungenschaften war. Inzwischen hat die Gewohnheit dafür gesorgt, dass sich die Verhältnisse geändert haben, aber auch die wachsende Bevölkerung und das Verbringen der Freizeit im öffentlichen städtischen Raum spielen dabei eine grosse Rolle.

5000 Tonnen Abfall, 21 Millionen Franken

Heute putzt die Stadtreinigung die Innerstadt täglich und die Quartiere an Werktagen. Rund 5000 Tonnen Abfall werden auf Basel Strassen und Plätzen jährlich zusammengenommen und entsorgt. Gleichzeitig sammelt die Abfallentsorgung 35'000 Tonnen Siedlungsabfälle pro Jahr. Die Reinigung der öffentlichen Flächen kostet jährlich 21 Millionen Franken. Ein Drittel davon wird durch wildes – und wohlgemerkt – verbotenes Littering im öffentlichen Raum generiert. Eine teure Kampagne nach der andere soll seit den 1990-er Jahren für das Problem sensibilisieren, die Erfolge sind zumindest Zweifelhaft.  

Sehnsucht nach Mahnerinnen und Mahnern

Von den Erzeugerinnen und Erzeugern dieses Abfalls, bei denen es sich wohl teilweise um die gleichen Leute handelt, die ihre Haushaltsabfälle in öffentlichen Mistkübeln entsorgen (auch dies ist heute ja eine Massenbewegung), wird das Wegräumen einfach als Selbstverständlichkeit betrachtet. Wie so vieles andere auch. Uns ist es, wegen unserer Erziehung, komplett unmöglich, unseren Abfall auf die Strasse zu werfen. Manchmal sehnen wir uns nach Mahnerinnen und Mahner des öffentlichen Lebens aus den 1970-er Jahren zurück, heute müssten diese wohl leider in grossen Gruppen – oder gar in Begleitung bewaffneter Leibwächter – vorgehen. 

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