...als hätte es nie einen Sommer gegeben
Die Tage kurz, die Nächte lang und dunkel. So sieht es bei uns aus, wenn die Wintersonnenwende bevorsteht, die dieses Jahr wieder am 21. Dezember stattfindet, letztes Jahr war sie am 22. Dezember. An diesem Punkt des Jahreslaufs ist es so, als hätte es nie einen Sommer gegeben. Und tatsächlich gab es im vorchristlichen Altertum viele Sonnengötter, die starben und danach wieder auferstanden sind. Im hohen Norden, wo die Sonne im Winter zeitweise gar nicht mehr auftaucht, ist es oft ein Wolf, der Fenriswolf, ein Bastard des Gottes Odin, der die Sonne verschluckt – am Ende aller Zeiten verschlingt er gar seinen Vater, der das Lichtgestirn symbolisiert.
Zweimal Hoffnung
Ein Baum mit Lichtern symbolisiert ja gleich zweifach die Hoffnung auf Sommer und die Rückkehr der warmen Sonne, die Fruchtbarkeit bringt. Das Grün steht für Wachstum, die Lichter für die Sonne. Aus diesem Grund fasziniert uns der Weihnachtsbaum so sehr. In Basel gibt es den Brauch mit dem leuchtenden Weihnachtsbaum, der mit Essbarem und kleinen Geschenken geschmückt ist, schon seit dem 17. Jahrhundert.
Allerdings zierten Weihnachtsbäume zunächst nur Zunftstuben, Pfarrhäuser und öffentliche Räume. Erst seit etwa 200 Jahren sind sie bei uns in privaten Haushalten präsent. Der Brauch wurde damals aus Deutschland übernommen.
Maienbaum, Richtbaum
Allerdings hat man am Rheinknie schon vorher Bäume geschmückt, an Festen, die mit dem Lauf der Jahreszeiten zu tun haben: Den geschmückten Maienbaum gab es bei uns beispielsweise schon im Mittelalter, genauso wie den leuchtenden Richtbaum auf fertiggestellten Gebäuden. Beide sind sie Vorfahren des Weihnachtsbaums.
Die Sonne bei Laune halten
Doch bereits in den vorchristlichen Zeiten des Altertums wurden zur Wintersonnenwende aus religiös-magischen Motiven Bäume oder Zweige aufgestellt. Die alten Römer schmückten ihre Häuser im Dezember mit Lorbeerzweigen, zu Ehren des Sonnengottes Mithras, im Zeichen jenes Stierkults, der lange in harter Konkurrenz zum aufblühenden Christentum stand. Man wollte die Sonne im Winter sozusagen bei Laune halten, auf dass sie im Sommer umso fröhlicher scheinen möge. Die Germanen und Kelten hingegen hatten es mit den Tannenästen und -zweigen: Es war Teil ihres magischen Brauchtums, ihre Siedlungen und Häuser im Dezember und Januar mit Tannengrün zu schmücken.
Dies würde, davon waren sie überzeugt, die Geister und Dämonen verscheuchen, die in diesen dunklen Tagen und Nächten ihr Unwesen trieben. Und stellen Sie sich einmal vor, wie dunkel die Welt im tiefen Winter war, bevor es elektrische Lichter gegeben hat?
«Haidebääse»
Vor diesen Hintergrund ist es kein Wunder, dass der Weihnachtsbaum in altbaslerischen, erzprotestantischen Kreisen gerne als «Haidebääse» bezeichnet wurde. Tatsächlich hat sich im tiefen Winter immer viel Heidnisches bewegt. Zur Wintersonnenwende wird und wurde im Norden das Julfest gefeiert. Heute ist es in Skandinavien noch sehr populär, weil es mit Weihnachten verschmolzen ist. Doch vor der Christianisierung waren solche Feste auch in unseren Breitengraden fester Bestandteil der kalten Jahreszeit. Ein mächtiges Feuer gehört immer dazu. Oft wurden auch aus Zweigen Böcke oder grosse Menschenfiguren geflochten und danach verbrannt. Züge von Jungfrauen, die Fackeln tragen waren ebenfalls dabei.
Orgiastische Kelten und Santiglaus-Dessous
Und wenn das Fest in seinem heidnischen keltischen Urgewand gefeiert wurde, ging es dabei sehr orgiastisch zu, in der Hitze und im Glutschein des Feuers kam es zu allerlei sexuellen Episoden. Offenbar auch ein Teil der Winterfestivitäten, die zum Menschlichen, Allzumenschlichen gehören, man denke an die vielen Dessous im Santiglaus-Stil, die heutzutage angeboten werden. Alles kommt irgendwann wieder zurück...
Thomastag
Im Christentum ist der 21. Dezember der Tag des Heiligen Thomas, jenes Jüngers von Christus also, der als Zweifler bekannt ist. Die Nacht auf den Thomastag ist die längste Nacht des Jahres. Und diese Thomasnacht ist mit allerlei Brächen verbunden, vor allem in Deutschland, die strenggläubigen Christen kalte Schauer über den Rücken jagen. In Kernten geht die Sage um, dass man in dieser Nacht in die Zukunft schauen könne. Im Schwarzwald ist es die Nacht des Saufens, die vom sprichwörtlichen «Kotzmorgen» gefolgt wird. In Bayern haben sich ledige Frauen in dieser Nacht splitternackt auf einen Schemel vor das Bett gestellt und folgende Worte gesagt: «Betschemel i tritt di, heiliger Thomas i bitt di, lass mi sehn den Herzallerliebsten mein, in dieser heiligen Nacht!» Darauf hätten sie vor ihrem geistigen Auge, das Gesicht des Zukünftigen gesehen.
Neue Heiden
Jedenfalls gibt heute auch in unserer Region Gruppierungen, die heidnische Winterbräuche im dunklen Wald wiederaufleben lassen, die den Sprung übers Feuer zelebrieren, dazu Trommeln schlagen und Met trinken. Die neoheidnischen Bewegungen haben in den letzten Jahrzehnten wieder Auftrieb erhalten. Von Fantasy-Epen wie «Herr der Ringe» oder «Game of Thrones», garniert mit Heavy Metal-Musik von der dunkleren Seite, ist es oft nur ein kleiner Schritt zum zelebrieren urtümlicher Heidenbräuche.
«Sind Sie Odinist?»
Gerade vor ein paar Tagen hat ein bis über Hals und Hände tätowierter Kioskverkäufer dem Autor dieser Zeilen gegenüber seine Verachtung für Weihnachten ausgedrückt. Als der Mann dann Andeutungen machte, er habe halt eine andere Religion, fragten wir ihn ganz direkt: «Sind sie Odinist?» Der Mann staunte nicht schlecht: «Woher wissen Sie das?» Antwort: «Naja, sie haben den Heiligen Mjölnir auf ihrem Kapuzenshirt, den Streithammer des Donnergottes Thor – oder Donar, wie er bei uns am Rhein genannt wurde. Machen Sie an Weihnachten ein Feuer im Wald?» Der Verkäufer erfreut: «Genau. Gehören Sie auch zu uns?» Der Autor: «Nein, ich bin nur gut informiert und lese viele Bücher. An Weihnachten habe ich es sowieso lieber gemütlich.» Nun hat der Verkäufer wieder die Oberhand und sagt, Überlegenheit in der Stimme: «Bei uns ist es alles andere als gemütlich.» Da können wir nur noch sagen: «Das nehme ich an. Ich wünsche Ihnen frohe Festtage!»
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