Wenn er kam, mussten die Kinder raus. Fernseh-Verbrecherjäger Eduard Zimmermann in einer frühen Sendung. Bild Keystone
Wenn er kam, mussten die Kinder raus. Fernseh-Verbrecherjäger Eduard Zimmermann in einer frühen Sendung. Bild Keystone
  • Andy Strässle
  • Aktualisiert am

Kult-Sendung «Aktenzeichen XY» feiert 50. Geburtstag, Verbrechen aus unserer Region waren wichtiger Teil davon

Der fünfach Mord von Seewen, Kindermörder Werner Ferrari, der Homo Camping-Mord. Auch die Region Basel machte sich, bis der Schweizer Teil der Sendung 2003 abgesetzt wurde, vor dem Fernseher sitzend auf Verbrecherjagd.

«Im Leben eines Fahnders gibt es immer wieder Überraschungen. Ein Ermittler muss sich in kürzester Zeit darauf einstellen, dass er alle Vorstellungen, die er von einem Fall hat, über Bord werfen muss», sagt Moderator Eduard Zimmermann zum «Teppichhändler»-Mord in der Sendung Aktenzeichen XY. Gleich geht es weiter mit den Worten «Geheimnis», «Rätsel» und «mysteriös». Seit 1967 war Eduard Zimmermann der Hohepriester der Verbrechensbekämpfung vom Sofa aus. In der Fernsehlandschaft der Siebziger galt das «Aktenzeichen XY» noch als gruselig. Am Freitagabend um viertel nach Acht wurden die Kinder aus dem Wohnzimmer geschickt. Die Verbrechen, die Geheimnisse und die Rätsel galten damals als zu düster für das zarte kindliche Gemüt. In Wahrheit war manches nicht so mysteriös. So entpuppt sich das vollmundig angekündigte Doppelleben des Teppichhändlers als eine eher simple Betrügerei.

Gruselige Fälle  in der Region

Ganz unrecht hatten meine Eltern am Ende doch nicht. Ende der Siebziger Jahre häuften sich in der Region gruselige Kriminalfälle. Den Auftakt machte an Pfingsten 1976 der Fünffach-Mord von Seewen. In einem Gartenhäuschen im Wald wird Familie Siegrist mit einer Winchester-Replica niedergestreckt. Der Täter flüchtet mit dem Auto des Ehepaares, lässt den Opel Ascona in Münchenstein aber stehen. Während die Polizei mit Hochdruck nach den Tätern sucht und das Waldhäuschen zur Spurensicherung ganz abbaut, gelingt es ihr nie den Fall zu lösen.

Letzte Erinnerung an den nie restlos aufgeklärten fünffach Mord von Seewen. Bild: Binci Heeb.

Die Aargauer Beamten stossen zwar auf die Waffennarren Carl Doser und Adolf Siegrist, man sagt damals die Spuren führen ins «Kleinbasler Waffenmillieu». Doch Waffenbesitzer Doser und Waffensammler Siegrist, die ebenfalls eine Verbindung zur Tatwaffe haben, bleiben spurlos verschwunden. Ein Polizeibeamter aus Solothurn wird dem Blick vierzig Jahre nach der Tat sagen, da man die Verdächtigen nie einvernehmen habe können, habe die Tat nicht zweifelsfrei geklärt werden können.

Auf dem Holzweg ...

Viel zu tun für Eduard Zimmermann und Aktenzeichen XY gibt es wegen des Serienmörders Werner Ferrari. Reisserisch wird hier etwa der Fall des 1985 verschwundenen Walliser Mädchens Sarah Oberson präsentiert. Das System «Aktenzeichen» versagt in diesem Fall. Die Polizei wird gezwungen, Spuren bis nach Wien abzuklären, wo eine alte Dame überzeugt ist, das Mädchen gesehen zu haben. Nach der Aktenzeichen-Sendung kommen auch eine Armee von Wahrsagern und Pendlern ins Spiel. Im Blick ist gar vom «Fluch einer Zigeunerin» zu lesen. Alles Quatsch, aber es sollten noch fünf Jahre vergehen, bis der Täter geschnappt wird. Es wird Ferrari selbst sein, der die Polizei anruft. Seine Absicht war es, den Beamten zu sagen, er sei es nicht gewesen. Doch just dadurch führt er die Behörden aus acht Kantonen endlich auf seine Spur. Die Polizei muss das Puzzle nur noch zusammenfügen.

Endlich erwischt: Der Kindermörder Werner Ferrari auf dem Weg zum Gericht in Wettswil. Bild: Keystone.

Wenn der Mörder selbst die Polizei anruft

1989 schliesslich wird Werner Ferrari geschnappt, der schon 1971 seinen ersten Mord an einem Kind begangen hatte. Er ermordete in Reinach den zehnjährigen Daniel Schwan. Nach acht Jahren in Haft entliess in die Haftanstalt Regensdorf den Mörder wieder. Zwischen Mai 1980 und 1989 wurden in acht Schweizer Kantonen elf Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren entführt. Acht von ihnen wurden brutal ermordet aufgefunden. Drei, darunter Sara Oberson, gelten weiter als vermisst. 

Homo Camping Mord

Aus heutiger Sicht wirken die Aktenzeichen XY-Filme von früher eher behäbig und wenig reisserisch. Aber dennoch spielt Aktenzeichen mit dem Geheimnisvollen, dem Ominösen und scheut sich auch vor einer gesunden Portion Boulevard nicht zurück. So wird der Fall von Georg Heckendorn aus Riehen wenig politisch korrekt zum «Homo Camping Mord». Der IWB-Elektriker und Hobby-Fotograf Heckendorn wird gezeigt, wie mit seiner Mutter in Riehen das Mittagessen isst. Während Mami noch froh darüber ist, dass der Sohnemann das Geschirr in die Küche räumt, sagt dieser er werde am Abend etwas länger arbeiten. Zeit für die Stimme aus dem Off anzukündigen, dass Georg Heckendorn seiner Mutter «nicht die Wahrheit» gesagt habe. Es sei der «Vorwand für einen anderen Plan». Das System Aktenzeichen wird klarer, als die Stimme sagt: Georg Heckendorn sei ein unauffälliger 50-Jähriger gewesen, aber einer mit Geheimnissen.

Unauffällig, aber doch geheimnisvoll

Um die Stimmung des Ominösen, des Geheimnisvollen weiter zu steigern, wird darauf hingewiesen, Georg sei an diesem Tag besser angezogen gewesen, was zu Spässen bei den Kollegen geführt habe. Dass in der gespielten Szene mit den Arbeitskollegen das Opfer des Homo Camping Mordes von den Kollegen noch als «Weiberheld» verspottet wird, ist dem Humor jener Zeit geschuldet. Als äusserst geheimnisvoll gilt auch, dass Georg zwei Portemonnaies hatte. Berichtet wird dann noch über die Begegnung mit dem 17-jährigen Lehrling aus Riehen, der ebenfalls gerne fotografiert und mit Georg bis 22 Uhr in einer Beiz über eine Alaska-Reise spricht. Die Polizei findet die Spur von Georg erst auf jenem Campingplatz wieder, auf dem er erschossen wird.

Das Fernsehen als Pranger

In der Schweiz wächst Ende der 80er Jahre die Kritik am Klassiker: So prangert die Gerichtsberichterstatterin Margrit Sprecher an, dass das Leben eines kleinkriminellen Diebes durch den Fernsehpranger Aktenzeichen XY zerstört worden sei. Unschuldig ist die Sendung beileibe nicht. 1992 beginnt ein verhängnisvoller Justizirrtum damit, dass man Überwachungsfotos von einem Bankraub ausstrahlt. Ein Deutscher Polizist glaubt, einen Hauswart zu erkennen. Dieser sitzt eine mehrjährige Haftstrafe vollumfänglich ab. Kurz darauf wird der richtige Täter gefasst. Für eine internationale Blamage sorgen Fotos eines unbescholtenen Deutschen Paares, dass als Fahndungshilfe für das amerikanische FBI auf der Jagd nach Mafia-Boss James Bulger ausgestrahlt wurde. Lustig ist jener Fall, als die Polizei einen Juwelendieb zu erkennen und zu fassen glaubt, während es dann am Ende aber eben jener Schauspieler war, der in der Aktenzeichen-Sendung den Täter dargestellt hatte.

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