Liebe Grossorientalen: L’Alsace n’existe pas...

Barfi.ch hat berichtet: Seit dem 1. April um Mitternacht und nein, es handelt sich um keinen Aprilscherz, soll die stolze Region Elsass neu «Grand Est» heissen. In einer Online-Abstimmung waren die Bewohner der Grossregion Alsace-Lorraine-Champagne-Ardenne dazu aufgerufen einen der vier zur Auswahl stehenden Namen zu wählen. Eine Expertenkommission hatte aus 200 Vorschlägen deren vier ausgewählt: «Grand Est», «Nouvelle Austrasie», «Rhin-Champagne» und «Acalie». Mit 216 783 Stimmen und 75 Prozent machte «Grand Est» das Rennen. Auf «Nouvelle Austrasie» entfielen 29 991 Stimmen (10,4%), dicht gefolgt von «Rhin Champagne» mit 28 214 Stimmen (9,8%) und «Acalie» mit 13 926 Stimmen (4,8%). Damit nennt sich die Region ännet der Grenze also bald auch offiziell «Grosser Osten».

Ein klares Resultat, nur wie sollen die Elsässer fortan genannt werden? Les Grands-Estiens, les Grands-Estois oder gar les Grands-Orientaux? Und wie werden die bereits auf Französisch sperrig klingenden Namen ins Deutsche übersetzt? Sollen wir die Elsässer nun «Grosswestheimer» oder «Grossorientalen» nennen? Wir haben uns bei den Nachbarn umgehört. Der Elsässer ist und bleibt Elsässer, was da auch komme, ob für uns Schweizer oder für die «Alsaciens» selbst, da können die in Paris tun und lassen, was sie wollen, so der einstimmige Tenor im Elsass.

Roger Siffer – Elsässer Urgestein

Roger Siffer ©Claude Truong-Ngoc/wikimedia

Dieser nun einmal gewählte Name sei der am wenigsten hässliche, sagt Roger Siffer, einer der bekanntesten Elsässer neben Tomi Ungerer. Die Nähe dazu fehle aber. Sie müsse noch wachsen und seine Liebe liege nach wie vor beim «Alsace. » Zur Wahrung der elsässischen Kultur tourt Siffer mit seinem Kabarett jedes Jahr in den wärmeren Monaten durch die elsässischen Städte und Dörfer. Dass dabei das lokale Publikum mitsamt ihren Bürgermeistern auch in die Darbietungen mit einbezogen wird, erwarten und mögen die zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer. Zu seinem grossen Bedauern seien ausserhalb des Elsass seine alemannischen Lieder, wie auch der Elsässer an sich, noch immer wenig gerne gehört, beziehungsweise gesehen. Das französische Publikum wolle keine Lieder von den «Boches», der wenig schmeichelhaften Bezeichnung für Deutsche, hören. Dass Roger Siffer selber viel für die Französisch-Deutsche Verständigung macht, zeigt auch, dass er seit neun Monaten mit Susanne Mayer, einer Deutschen aus Kiel, verheiratet ist. «Zuvor lebten wir 45 Jahre lang in Sünde», sagt Siffer schmunzelnd.

Der 68-jährige Elsässer, Kabarettist, Liedermacher, Sänger und künstlerische Leiter des Théâtre de la Choucrouterie in Strassburg hatte seinen ersten grossen Auftritt im Alter von 20 Jahren beim alljährlichen Sauerkrautfest in Colmar. Das Fabrikgebäude, im welchem bis zu seinem Leerstand in den 1980er Jahren Sauerkraut produziert wurde, renovierte er und nannte es fortan «Théâtre de la Choucroutrie» auf Elsässisch «Sürkrütheat’r» oder kurz auch: «la Chouc». Neben zwei Bühnen befindet sich dort auch ein Restaurant, die «Sürkrüt-Stub». Die Spezialität der zwei Bühnen ist, dass während einer Vorstellung von einem Saal zum anderen gewechselt wird, um das identische Stück jeweils auf Elsässisch und Französisch zu spielen.

©Ji-Elle/Wikimedia

In einem Artikel in der L’Alsace vom 5. April 2016 über die Grande Région, auf den Roger Siffer sich im Gespräch mit barfi.ch gleich mehrere Male bezog, sagte der Berufselsässer: «Faut pas pleurer, faut faire», was übersetzt soviel wie: «Nicht weinen, machen» heisst. Weiter meint er: «Wenn man in den Grand Est aufbricht, hat man das Gefühl, man müsse sich einen Pelzmantel kaufen.» Auch die neue Bezeichnung würde an ihrem Ruf als «Sibirien Frankreichs» nichts ändern. Siffer selbst hätte einen anderen Namen vorgezogen, zum Beispiel: «Alsace...». Aber die restlichen Regionen wären damit sicher nicht einverstanden gewesen. Elsässer sei, wer sein Land liebe, egal um welche Gegend, welche Hautfarbe oder Sprache es sich handle. Man könne ihn mit wem oder was auch immer fusionieren, es würde ihn nicht davon abhalten Elsässisch zu sprechen, überall und wo und mit wem er möge. Denn niemand könne den Elsässern verbieten ihre Kultur zu leben.

Noch ist Zeit sich an den neuen Namen zu gewöhnen. Der französische Staatsrat, der Conseil d’Etat, will sich bis zum 1. Oktober entschieden haben, ob es nach der Volksbefragung in Zukunft tatsächlich heissen wird: «En güete Bonjour in Grand Est».