Karl Thommen in seinem Garten in Hölstein
Karl Thommen in seinem Garten in Hölstein
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Mehr als 3 Jahrzehnte: Das Leben eines Baselbieters mit transplantiertem Herzen

«Es ist ein gewaltiges Organ, ein Motor», sagt Karl Thommen. Der Mann, der seit 31 Jahren mit einem fremden Herzen lebt und damit einen europäischen Rekord aufgestellt hat. Heute steht er wieder auf der Warteliste – ein neues Spenderherz wird gesucht. Wir haben uns mit Karl und Rosella Thommen in ihrem idyllischen Einfamlienhaus in Hölstein getroffen. Ein Gespräch, in dem auf beiden Seiten Tränen flossen, ein Gespräch aber auch voller Zuversicht und Dankbarkeit.

Barfi.ch: Herr Thommen, Sie sind heute 52 Jahre alt und leben seit mehreren Jahrzehnten mit einem fremden Herzen. Wie wurde festgestellt, dass Ihr früheres Herz in einem lebensbedrohenden Zustand war?

Karl Thommen: Das war mit 20 Jahren in der Unteroffiziersschule während einer Routineuntersuchung. Die Auswertungen des Schirmbildes ergaben eine Kardiomyopathie, also ein vergrössertes Herz. Bis zur Diagnose glaubte ich völlig gesund zu sein und fühlte mich auch dementsprechend. Innerhalb von einem Dreivierteljahr wurde ich vom Gesunden zum Todkranken. Im Dezember 1984 entschieden die Ärzte, dass mir ein neues Herz transplantiert werden müsse. 

Wo wurde die Operation durchgeführt?

Damals wurden in der Schweiz noch keine Herztransplantationen gemacht (die erste derartige Operation fand im Oktober 1985 im Kantonsspital Zürich statt). Das Basler Kantonsspital schickte mich in das einzige Herzzentrum im deutschsprachigen Raum jener Zeit, nach Hannover. Am 6. Januar 1985 reiste ich ein erstes Mal dorthin, um zu warten, bis ein passendes Spenderherz gefunden wurde. Damals ging es mir bereits nicht mehr sehr gut, ich musste darauf achten, dass ich mich bis zur Operation nicht erkälte und genug Nahrung zu mir nahm. Mein Körper war ziemlich abgemagert, eigentlich hatte ich gar keinen Hunger und musste trotzdem essen, um möglichst fit zu bleiben.

Wann kam die Transplantation?

Am 31. Januar war es soweit, morgens um 10 Uhr sagte mir der Arzt, dass ich noch heute operiert würde. Doch erst in den frühen Morgenstunden des 1. Februars wurde mir in einer vierstündigen Operation das Spenderherz eingepflanzt. Um ein Uhr morgens war ich noch völlig klar, dann begann die Narkose zu wirken und der letzte Gedanke war, vielleicht wirst Du jetzt nie mehr aufwachen. Ich war der 40. Mensch, der in Hannover ein neues Herz bekam.

Aber Sie sind wieder aufgewacht. 

Ich erinnere mich an ein schönes Erwachen am nächsten Morgen. Es war so zwischen 8 und 10 Uhr, als ich in der Intensivstation die Augen öffnete. Ein Radio lief und ich bekam mit, dass einem Politiker in den Kopf geschossen wurde. Da dachte ich mir, dass ich es besser getroffen hätte. (Anm. der Redaktion: Es handelte sich um die Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der Motoren- und Turbinen-Union Ernst Zimmermann, der von einem RAF-Kommando mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet wurde.).

Es störte mich, dass ich wegen des Beatmungsschlauchs nicht sprechen konnte. Dieser wurde aber gegen Abend entfernt und ich konnte sogar bereits das erste Mal kurz aufstehen.

Wissen Sie, wessen Herz seither in Ihrer Brust schlägt? 

Nein – über den Spender weiss ich überhaupt nichts. Auch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war. Es ging alles vollständig anonym vonstatten. Ich musste mich sogar verpflichten, nicht nachzuforschen. Heute weiss ich nur, dass es eine Person in meinem Alter war und in derselben Nacht eine weitere junge Person ein Herz transplantiert erhielt. Ich dachte damals, die Herzen könnten aus einem tragischen Motorradunfall stammen.

Hätten Sie gern gewusst, wessen Herz sie erhalten haben? 

Ja, denn ich hätte mich sehr gerne bei den Hinterbliebenen bedankt. Heute kann man über Swisstransplant einen Dankesbrief an die Hinterbliebenen hinterlassen. Dieser muss aber noch immer anonym abgefasst sein. 

Wie lange dauerte der Spitalaufenthalt?

Vier Wochen und in den ersten vier Monaten, gab es wöchentliche Kontrollen in Hannover. Während eines Besuchs hatte ich sogar die Chance eine Herztransplantation als Zuschauer live mit zu verfolgen. Das war faszinierend und spannend. Ich sah, wie das alte und ganz gelbe Organ entnommen wurde und die Chirurgen ein wunderschönes und gesundes Neues in den Brustkorb verpflanzten. Nachdem das neue Herz «angeschlossen» war, erhielt es von zwei Elektroschocklöffeln einen Stromstoss und schon fing es zu schlagen an. Dieser Moment war wunderbar und hat mich tief bewegt.

Wie verlief Ihr neues Leben?

24 Jahre lang führte ich - bis auf die Tabletten, die ich morgens und abends gegen die Abstossung des Herzens einnehmen musste - quasi ein völlig normales Leben, hatte eine Gartenbaufirma gegründet und geheiratet. Meine Frau schenkte mir drei Kinder (inzwischen 21, 18 und 15 Jahre). Weil ich nicht wissen konnte, wie lange ich überhaupt arbeiten kann, gründete ich die Firma nicht alleine, sondern zusammen mit einem Partner.

Wann stellten sich die ersten der heute bedrohlichen Komplikationen ein?

Abgesehen von den anfänglichen Abstossungsreaktionen und den dadurch erhöhten weissen Blutkörperchen, die durch die zusätzliche Einnahme von Cortison und anderen Mitteln bekämpft werden konnten, wurden erst nach diesen 24 Jahren bei einer Kontrolluntersuchung die ersten Probleme mit den Herzkranzgefässen festgestellt. Ich erhielt vier Stents (Implantate zum Offenhalten von Gefässen). Unterdessen sind es deren zehn und vor dreieinhalb Jahren wurde mir zudem ein Herzschrittmacher mit integriertem Defibrillator eingesetzt, da das Herz nicht mehr regelmässig schlagen wollte. Es holperte einfach. Der Defibrillator gibt mir Sicherheit, wurde bisher aber noch nie aktiv.

Sie scheinen ein sehr diszipliniertes Leben zu führen, und sind überaus positiv eingestellt. Ist das ihr Geheimrezept?

Ich weiss es nicht, ich denke, dass ich einfach auch sehr viel Glück und gute Gene habe. Nur ein Jahr nach der Transplantation habe ich bereits wieder zu arbeiten angefangen. Anfänglich suchte ich noch einen Bürojob, weil man mir riet einer ruhigen beruflichen Aufgabe nachzugehen.  Das langweilte mich aber schnell und so gründete ich 1989 die eigene Landschaftsgärtnerei. Natürlich arbeitete ich dann nicht mehr nur im Büro und liess mich zum Gärtnermeister ausbilden. Entgegen der Warnung der Ärzte genoss ich es auch, körperlich in den Gärten mit Erde und Pflanzen zu arbeiten.

Von welche Lebenserwartung sprechen die Ärzte bei einem transplantierten Herzen?

Damals wie heute heisst es circa 10 – 15 Jahre. Die Herzkranzgefässe sind das grösste Problem, weil sie Verschlüsse bilden. Da es bei mir aber ganze 24 Jahre dauerte, bis meine Gefässe anfingen sich zu verengen, dachte ich, dass ich ein völlig normales Leben führen werde. An die kurze Lebenszeit habe ich nie gedacht.

Rosella Thommen: Auch ich hatte nie Angst, denn wir konnten immer alles machen. Es stellte sich für uns auch nie die Frage, ob wir Kinder haben sollten oder nicht. Mit den beiden älteren Jungs konnte mein Mann auch völlig normal spielen und sich um sie kümmern. Nur bei unserer Jüngsten war es etwas eingeschränkter.

Rosella und Karl Thommen: «Die Gartenarbeit übernimmt mein Mann ganz alleine»

Leider will das Herz nun aber nicht mehr wie es sollte, Sie brauchen wieder ein neues Spenderorgan. Seit wann sind Sie auf der Transplantationsliste?

Seit November des vergangenen Jahres bin ich auf der Warteliste des Inselspitals in Bern.

Unser Gespräch findet um 15 Uhr bei Ihnen zu Hause statt. Ihre Frau hat uns gebeten noch ein paar Minuten auf Sie zu warten, da Sie sich etwas ausgeruht haben. Wie geht es Ihnen im Moment?

«Meine Frau sammelt Herzen aus Stein. Sie findet sie überall.»

Ich bin etwas schlanker geworden und werde schnell müde. Eine Treppe kann ich noch am Stück hochgehen, für die Zweite fehlt mir der Schnauf, da muss ich etwas pausieren. Von den Medikamenten, mittlerweile sind es deren 12, bekam ich Gicht und natürlich auch andere Nebenwirkungen. Ich schau noch ab und zu schnell im Geschäft vorbei, bin aber zu 100 Prozent krankgeschrieben. Gerade am vergangenen Montag war ich wieder zur monatlichen Kontrolle und Blutentnahme im Inselspital.

Wie lange wartet man durchschnittlich auf ein Spenderherz?

Das kann bis zu eineinhalb Jahre dauern. Es müssen viele Dinge übereinstimmen: die Grösse des Herzens, das Gewicht des Spenders, die Blutgruppe, das Alter, etc. Zudem darf ich mich nicht weiter als eineinhalb Stunden vom Inselspital entfernt aufhalten.

Es könnte also sein, dass während unseres Gesprächs der erlösende Anruf kommt?

Das Köfferchen steht gepackt bereit.

Natürlich, jederzeit. Aber ich denke nicht, dass ich vor Ende Jahr oder Anfang des nächsten Jahres das Glück habe, operiert zu werden. Doch das fertig gepackte Köfferli steht Tag und Nacht am Hausausgang bereit.

Vielen Dank Frau und Herr Thommen, wir wünschen Ihnen alles nur denkbar Gute und freuen uns auf einen baldigen nächsten Besuch im Baselbiet: nach der erfolgreichen Operation

Organspendeausweise gibt es in allen Apotheken oder hier.