«Der Steinschneider»: Eine Parodie von Hieronymus Bosch über die Schädelöffnung, die gerne mal auch von Quacksalbern durchgeführt wurde, um Leichtgläubigen den «Stein der Dummheit» aus dem Kopf und das Geld aus dem Beutel zu entfernen. Das Bild hängt im Museo del Prado in Madrid.
«Der Steinschneider»: Eine Parodie von Hieronymus Bosch über die Schädelöffnung, die gerne mal auch von Quacksalbern durchgeführt wurde, um Leichtgläubigen den «Stein der Dummheit» aus dem Kopf und das Geld aus dem Beutel zu entfernen. Das Bild hängt im Museo del Prado in Madrid.
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Noch mehr Leichen im Keller: Aufgebohrte Schädel unter dem Stadtcasino

Auf dem Grabungsgelände des grossen Musiksaals im Basler Stadtcasino haben die Kantonsarchäologen mehr Knochen entdeckt als erwartet. Neben den Gebeinen von Mönchen fanden sie auch Überreste von Laien – unter anderem mit Spuren heftiger Operationen.

Das Gräberfeld riecht nach Erde und Baumaschinen. Viel mehr ausser Knochen ist vom uralten Friedhof am Barfüsserplatz auch nicht übrig. Knochen aber riechen nicht, sie umgibt höchstens eine Note herber Modrigkeit, wenn sie nach über 600 Jahren unter dem Erdreich das erste Mal ans Tageslicht kommen.

Die eigentlichen Hausherren im Basler Stadtcasino sind derzeit die Basler Kantonsarchäologen. Sie heben seit Oktober den Boden unter dem alten Musiksaal aus, Schicht für Schicht, Jahrhundert für Jahrhundert. Und sie wurden fündig: Neben den Mönchsknochen kamen die Gebeine so genannter Laien zum Vorschein, christlicher Mitglieder der Gesellschaft, die keinem Orden angehören. Es sind die Überreste von Normalsterblichen.

Spuren des Kreuzgangs aus dem 14. Jahrhundert. ©Archäologische Bodenforschung BS

Die Mitarbeiter der archäologischen Bodenforschung staunten. «Wir hatten bereits vermutet, dass wir auf weitere Spuren von Bestattungen stossen», sagt Projektleiter Marco Bernasconi. Aktuell arbeiten sich die Archäologen ins 14. Jahrhundert vor, wo sie den Kreuzgang der zweiten, neueren Barfüsserkirche freilegen. «Wir beschäftigen uns aktuell also auch mit der Frage, ob die Bestattungstradition in diesem Kreuzgang mit der Reformation aufgehört hat», so Bernasconi.

Löcher im Schädel dank krasser medizinischer Eingriffe

Als sie die Gebeine untersuchten, entdeckten die Archäologen noch mehr: Einige Schädel wiesen kreisrunde Löcher auf. Nein, keine Löcher, die durch Verletzungen entstanden wären. Sondern richtige, mit währschaftem Werkzeug in den Kopf gebohrte Löcher.

Kreisrundes Loch im Schädel: Einer der Funde unter dem Stadtcasino. ©Archäologische Bodenforschung BS

Dieser Vorgang heisst Trepanation und ist heute ein Standardeingriff. Dabei wird den Patienten schon seit 10’000 Jahren der Schädel aufgebohrt. Doch was heute einfach und sauber vonstatten geht, war von der Früh- bis in die Neuzeit eine ziemlich hässliche Sache. Wirklich steril waren die Instrumente nicht, überhaupt waren sie eher von grobem Bau und die Operation glich mehr einer schweisstreibenden handwerklichen Betätigung als einem Kunstgriff. Präzision im Millitemerbereich war sekundär.

Im frühen Mittelalter war die Trepanation vom Christentum verboten. Keine solche Eingriffe am lebenden Menschen, sagte die Kirche, und das Volk folgte. Der Fund unter dem Boden des Stadtcasinos zeugt damit von der frühen Basler Spitalzeit, als solche Eingriffe wieder regelmässiger vorgenommen wurden. Gerade im 16. Jahrhundert galt die Trepanation als Heilmethode unter anderem für Geisteskrankheiten und Epilepsie.

«Bei einem Schädel stellten wir keine Knochenverwachsungen beim Loch fest», sagt Bernasconi. Das heisst, dass der Patient verstarb, bevor das Loch verheilen konnte. Wahrscheinlich wenige Wochen nach dem Eingriff. Damals bezahlten die Menschen für medizinische Massnahmen regelmässig mit ihrem Leben. Wie mindestens einer der unter dem Stadtcasino beerdigten Vorfahren.

Die Aufarbeitung der neuen Funde kostet die Archäologen Zeit. Die Grabungen schreiten dennoch im Fahrplan voran, sagt Bernasconi. Sein Team stösst nun noch weiter in die Vergangenheit vor und hofft, in weiteren anderthalb Metern Tiefe die ersehnten Spuren des Kreuzgangs der ersten Barfüsserkirche zu finden. Diese wird derzeit auf das 13. Jahrhundert datiert und steckt insgesamt rund viereinhalb Meter unter der heutigen Bodenlinie. Für alle Ausgrabungen auf der Grossbaustelle im Herzen der Stadt beanspruchen die Archäologen rund ein Jahr, im September sollen sie abgeschlossen sein.

Nächstes Jahr fällt der Zwischenbau

Knochen aus dem Kreuzgarten der Barfüsserkirche, früher ein beliebter Friedhof. ©Archäologische Bodenforschung BS

Stadtcasino-Direktor Thomas Koeb betrachtet die Arbeiten aus der Ferne. Der Betrieb hat zwischenzeitlich ins Musical-Theater im Kleinbasel gezügelt, wo das Stadtcasino nochmals rund eine halbe Million Franken in Akustikmassnahmen stecken musste. Dennoch zeigt sich Koeb zufrieden: «Wir sind gut angekommen.» Die Gäste dürften sich im Musical-Theater jetzt schon an ein ansehnliches Foyer, eine gute Belüftung, ansteigende Sitzreihen und bequemere Sessel gewöhnen.

Auch Koeb geht davon aus, dass die Arbeiten für den Neubau von «Herzog & de Meuron» fristgerecht voranschreiten. Praktisch abgeschlossen seien die ersten Umbauarbeiten im Eingangsbereich zum Stadtcasino. Anfang nächsten Jahres erfolgt ein weiterer massgeblicher Schritt: «Dann geht es dem Zwischenbau an den Kragen», sagt Koeb. Das wird die erste grosse Baumassnahme sein, die von aussen auch zu sehen ist. Die Arbeit der Archäologen tangiere das kaum, so Koeb: «Das sind zwei Baufelder, auf denen glücklicherweise viele Arbeiten parallel verlaufen können.»

Wenn da nicht noch weitere Überraschungen auf die Archäologen zukommen. Schliesslich handelt es sich für die kantonale Bodenforschung um einen der grössten Grabungsplätze in der Basler Innenstadt. Denn die mittlerweile aus dem Keller des Stadtcasinos gehobenen Leichen zeigen, wie sich die Vorfahren der Baslerinnen und Basler bei ihren Bestattungen nicht unbedingt um eine gepflegte Gräberordnung scherten. Aber damals konnten sie ja auch noch nicht wissen, dass im Jahr 1876 über ihren Knochen ein Konzerthaus mit international berühmter Akustik gebaut werden sollte. Für sie war der Barfüsser-Kreuzgang vor allem eines: Ein praktischer letzter Ruheort für die sterblichen Überreste von Möchen, Laien und denjenigen, denen als letztes medizinisches Mittel in Basel der Schädel aufgebohrt wurde.

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Führungen durch die Ausgrabungsstätte im Stadtcasino gibts jeden Dienstag um 13 Uhr, durchgeführt von der archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt. Die Kantonsarchäologen halten Interessierte auch über ihre Facebook-Page «Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt» auf dem Laufenden.

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