„Die Schilder waren vorher aber noch nicht da.“ – „In der Schweiz darf man im absoluten Halteverbot kurz anhalten.“ – „Ich dachte, der Pfeil bedeutet, dass erst um die Ecke Parkverbot gilt.“ Wer die breite Palette an Ausreden hört, die Manuela Möllerke und ihre Kollegin Beatrix Gerbel vom Gemeindevollzugsdienst Grenzach-Wyhlen jeden Tag von ihrem Dienst am Zollübergang mit nach Hause nehmen, mag nicht glauben, dass sie es ausschliesslich mit den doch so aufrechten Schweizern zu tun haben. Vor über einem Jahr richtete die Gemeinde einen Veloschutzstreifen entlang der Basler Straße bis zur Grenze ein. Die letzten 200 Meter sind seither mit einem absoluten Halteverbot belegt, um das übliche Parkchaos wegen der “Grünen Zettel“ zu verhindern und Velofahrer zu schützen. Doch das interessiert die Eidgenossen herzlich wenig.
Es ist erstaunlich wie sich nette Menschen unter Einkaufsstress verändern. Erst recht, wenn sie dank dem berühmten grünen Zettel die 19% deutsche Mehrwertsteuer zurückerhalten wollen, aber auf das bestehende absolute Halteverbot aufmerksam gemacht werden. Durchsichtige Ausreden können noch mit Humor genommen werden. Beleidigungen wie „Nutten“ und „Schlampen“, lassen sich Gemeindepolizistinnen definitiv nicht gefallen. Beide Frauen wurden schon körperlich bedrängt, umstellt und schlecht gemacht. Zu Handgreiflichkeiten sei es bisher noch nie gekommen, sagt Möllerke: „Aber mein Chef sagt, bei der nächsten Aufdringlichkeit wird die Streife gerufen.“
Freitagnachmittag, die Gesetzeshüterin hat wieder Dienst am Hörnli-Zoll. Es ist relativ ruhig; das typische Einkaufs-Verkehrschaos lässt noch auf sich warten. Die ersten Falschparker jedoch nicht. Rechts ranfahren, anhalten, Beifahrer aussteigen lassen ist die übliche Prozedur der Automobilisten. Foto machen, Nummernschild notieren und den Bussbetrag festlegen die übliche Prozedur der Gemeindepolizistinnen. Ein älterer Herr bedankt sich artig und voller Ironie für die Verwarnung; ein anderer fragt, ob er beim fotografieren lächeln solle.
Halten im Halteverbot lohnt sich
Ein Fiat-Fahrer bekennt sich gleich aller drei Vorwürfe schuldig: Parkieren im absoluten Halteverbot, Zuparken des Velostreifens, Parken auf dem Trottoir. Die 20 Euro Strafe für sämtliche Übertretungen bezahlt er gerne: „In der Schweiz hätte ich alleine fürs Halteverbot 120 Franken gezahlt und wäre garantiert für alle drei Vergehen an die Kasse gekommen, das macht dann 360 Franken.“ Die 20 Euro sind dagegen geradezu lächerlich wenig und dank der Steuergutschrift schon bei einem Einkauf ab 100 Euro bereits wieder drin.
Frau Möllerke ärgert das. Sie darf laut deutschem Recht bei mehrfachen Vergehen nur jenes bestrafen, das den höchsten Betrag ausmacht. 10 € Anhalten, 15 € Trottoir, 20 Euro Parken auf Velostreifen. Doch statt 45, werden nur 20 Euro fällig. Für alles! Ein Teil der Gründe, die mit zur Frustration ihrer Arbeit beitragen. Aber die Gemeinde kann nichts tun: Bussen werden in der bundesweit gültigen Strassenverkehrsordnung festgelegt – deutsche Rechtssicherheit, auch an der Schweizer Grenze.
Den trotzdem oft gehörten Vorwurf, die Gemeindepolizistinnen würden „aus der Hecke springen“, weist Möllerke von sich: „Wir lauern den Autofahrern nicht auf. Das wäre boshaft.“
Gerade sind zwei Wagen rechts rangefahren. Während der hintere Opel mit einer rasanten 180-Grad-Drehung davonbraust, als Möllerke das Foto-Handy zur Beweisaufnahme zückt, kommt der vordere Honda nicht rechtzeitig weg: Neben ihm hat sich bereits ein Stau gebildet. Er fährt schliesslich in die letzte Seitenstrasse vor der Grenze. „Der kommt zurück, um sich zu beschweren“, sagt Möllerke. Und wahrlich: Nach wenigen Minuten taucht die Fahrerin auf, fragt warum sie fotografiert wurde. „Früher haben wir diskutiert und sehr viel Zeit damit verschwendet“, erzählt Möllerke. „Das tun wir jetzt nicht mehr.“
Dabei sind die Ausreden manchmal so skurril, dass Zuhören lustig wird. Ein Mann im besten Alter, der seinen Wagen gerade mit den rechten Rädern auf dem Trottoir parkiert hat, behauptet: „Ich wollte nachschauen, ob ich einen Platten habe“ und reagiert überraschend verständnisvoll auf Möllerkes Ausführungen – als einziger an diesem Nachmittag. „Wir Autofahrer sind bequem“, sagt er unumwunden. Um die Verkehrssituation zu entschärfen, öffnete die Gemeinde die früheren LKW-Parkplätze an der Basler Straße für die Schweizer Autofahrer: 30 Minuten Parkzeit müssten reichen für einen Stempel auf dem Grünen Zettel. Doch vielen ist selbst dieser kurze Fussweg zu lang: „Wir als Beamte dürfen den Leuten aber nicht sagen, dass sie nur zu faul zum Laufen sind“, sagt Möllerke. Also lässt sie es. Böse Worte fallen dennoch: „Ihr Deutschen seid doch auf unser Geld angewiesen!“. Ein Schweizer Unternehmer entblödete sich direkt unter dem Parkverbotsschild nicht einmal damit zu drohen, er werde alle seine deutschen Angestellten entlassen, wenn sie die Busse nicht zurücknehme. „Wir sollten ein Buch darüber schreiben“, sagt Möllerke.
Ihre Schicht ist für heute vorbei. „Wenn ich mich jetzt umdrehe und weggehe, sieht es wieder genauso aus wie vorher“, meint sie. „Es bleibt ein Kampf gegen Windmühlen“ weiss auch Ordnungsamtsleiter Jürgen Käuflin, Chef der beiden Gemeindepolizistinnen und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Eine ältere Dame wollte tatsächlich in vollem Ernst wissen, ob sie für den Strafzettel auch die Mehrwertsteuer wieder zurückbekomme.“
Wie heisst es doch in der Schweiz: Fragen kostet nichts.