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  • Binci Heeb
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Prügelstrafe an Schulen, die älteren Basler haben sie noch erlebt

Wer heute um, oder über 60 Jahre zählt, kann sich nur zu gut daran erinnern. Wenn der Lehrer nicht zufrieden war, gab es schnell einmal mit dem Lineal so richtig auf die Hand, oder noch regelrechte Ohrfeigen. Den Magistern war dabei der Segen des Rektorats noch bis in die 1970er hinein gewiss. 

  

Erst im Januar 2000 wurde das Abstrafen durch Prügel in Deutschland verboten, in der Schweiz gab es bereits zuvor verschiedenen Möglichkeiten für Schüler und deren Eltern solche Übergriffe in Nachhinein zu melden. Ein derart deutliches Gesetz, wie beim Nachbarn im Norden, fehlt allerdings noch heute. Trotzdem muss ein fehlbaren Lehrer dem «die Hand ausrutscht» zumindest mit einer Abmahnung rechnen, nur Wiederholungstätern drohen ernsthaftere Massnahmen. Denn, so die NZZ diesen Sommer: «Züchtigung, die ein gewisses von der Gesellschaft akzeptiertes Mass nicht überschreitet, ist jedoch zulässig». Man stelle sich vor: Im Mai 2017 hat der Nationalrat eine Motion mit dem Titel «Abschaffung des Züchtigungsrechts» tatsächlich abgelehnt.

Die Angst der Schüler

Heute sind prügelnde Vertreter des Lehrkörpers jedoch trotz den unbegreiflichen jüngsten Entscheid unseres Parlaments äusserst selten. Die Zeiten haben sich Gott sei Dank geändert. Gehen wir nur gute 100 Jahre zurück. Bis Anfang 1900 war es noch selbstverständlich, dass Schülerinnen – meist aber Schüler – vom Lehrer regelrecht verprügelt wurden. Dabei kamen Rute oder Stock am liebsten vor versammelter Schülerschaft zur Anwendung. Ungenügende Leistung oder aufmüpfiges Benehmen, die Lehrerschaft von anno dazumal hatte das ausdrückliche Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, Schüler für ihr Fehlverhalten körperlich zu bestrafen. Ob in den Schulhäusern der Stadt oder der Landschaft, wurden die aus der Optik des Lehrers Fehlbaren mit Rute und Stock coram publico, also vor der gesamten Klasse und bis zu 200 Augen, auf den nackten Hintern geschlagen. Denn 100 oder mehr Schülerinnen und Schüler in einer Klasse waren damals keine Seltenheit. Ganz im Gegensatz zu heute, wo die obere Grenze bei 25 Zöglingen liegt.

Beim Beginn einer Lehrerausbildung hiess es zwar schon damals, dass die Prügelstrafe nur bei frechem Widerstand, Rohheit oder Unsittlichkeit angewendet werden dürfe. Trotzdem hielten sich viele Lehrer nicht daran und bestraften die Kinder weiterhin in unangemessener Weise. Um die Prügelstrafe zu reduzieren, wurde am 19. Januar 1900 ein Ministerialerlass eingeführt. Das tönt vernünftiger, als es in Wirklichkeit war. Im Strafverzeichnis war nun vorgeschrieben, wonach die Lehrkräfte jede Strafe eines Kindes «begründen» mussten. Doch geprügelt wurde weiter, nur langsam kam auch das «Nachsitzen» oder «In der Ecke stehen müssen» auf.

Schläge in der Schule und zuhause

Nicht genug, dass sie in der Schule körperlich bestraft wurden, zu Hause erwartete die Kinder erneute Schläge. Die Eltern folgten damit ungefragt den Argumenten der Lehrer, die ja wissen mussten, weshalb sie ihren Nachwuchs züchtigten. Die Angst der Schüler vor der Schule und ihren Lehrern war an der Tagesordnung. Obwohl das Gesetz häufig übertreten wurde, zeigte sich lediglich der Kanton Neuenburg in punkto Prügelstrafe 1889 vorbildlich. In Artikel 82 des Schulgesetztes war damals folgender Wortlaut zu lesen: Tout mauvais traitement à l’égard des élèves et toutes punitions corporelles sont formellement interdits, was dem Verbot der Prügelstrafe formell gleichkam.

Körperlicher Züchtigung ist noch gar nicht so lange von Schweizer Schulen verbannt. Erst seit den 1980er Jahren wird hier nicht mehr geschlagen. Die Autorin mag sich noch gut an ihre Primarschulzeit in den 1970er Jahren im Gundeli erinnern, wo bei Lehrer A. alle 30 Schülerinnen und Schüler mit verschränkten Armen und geradem Rücken in ihren Bänken sitzen mussten. Lehrer A. prüfte die Sitzhaltung regelmässig und pfetzte mittels eines 50 cm langen Schilfrohrs, fehlbare Schüler kurz in den Nacken. Die Angst sass den Schülern sprichwörtlich im Nacken. Gröbere Verstösse ahndete er gerne auch mal mit einem längeren und dickeren Stock, wenn ein Schüler sich vor die Klasse stellen musste und er ihm auf den bedeckten Popo schlug.

Was in Deutschland im Jahr 2000 und Österreich 1989 gesetzlich verboten wurde, wird in der Schweiz hinsichtlich Körperstrafen an Kindern noch immer als «gesetzlich erlaubte Handlung» im Sinne von Art. 14 des Strafgesetzbuches gewertet. Das elterliche Züchtigungsrecht wurde zwar 1978 aus dem Zivilgesetzbuch gestrichen, doch fehlt im Gesetz ein Artikel wonach die Anwendung von Gewalt zu Erziehungszwecken ausdrücklich verboten ist. Körperliche Bestrafungen im häuslichen Umfeld gelten gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts zudem nicht als physische Gewalt, wenn sie «ein gewisses Mass nicht überschreiten» und nicht «zu häufig wiederholt werden». Wir schreiben August 2018.

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