Völlig überlastet: Die Firma Roche hat in Kaiseraugst ausgebaut, das Resultat sind Strassen am Rande des Kollapses. ©Keystone/barfi
Völlig überlastet: Die Firma Roche hat in Kaiseraugst ausgebaut, das Resultat sind Strassen am Rande des Kollapses. ©Keystone/barfi
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Roche baut aus – und bringt Verkehrskollaps nach Kaiseraugst

Die Autobahn: Morgens und abends gestaut. Der Ortsbus: Stecken geblieben im Stossverkehr. Genug ist genug. Von wegen: Denn es wird noch schlimmer: Seit Roche in Kaiseraugst massiv ausbaut, stösst die lokale Infrastruktur endgültig ans Limit. Das liegt aber nicht nur am Pharmakonzern. Sondern an einer Region, die zwar Firmen anlockt, aber den dazu unumgänglichen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur - und dazu gehören nun einmal auch die Strassen -  sträflich vernachlässigt.

Der morgendliche Stau ist frustrierend. Mehr noch, er ist entnervend, anstrengend und, ganz zu schweigen davon, umweltbelastend. Täglich ist der Autobahnabschnitt zwischen Kaiseraugst und Rheinfelden mit Blechlawinen zugestopft. Hauptgrund: Die Firma Roche, die ihr Werk in der aargauischen Gemeinde Kaiseraugst erneut ausgebaut hat. Neu kommt dort nämlich auch die weltweite IT-Zentrale zu stehen. 

Doch während Standortgemeinde und Firma florieren, erstickt die Region im Stau. Nicht nur die Strassen sind voll, auch die Pendlerzüge kommen an den Anschlag. Auf dem Gelände von Roche stehen 1'920 Parkplätze, derzeit arbeiten auf dem Areal rund 2'000 Mitarbeitende. Das klingt zwar bequem, fast ein Parkplatz pro Arbeitsplatz. Aber der Standort wächst – und zwar rasant. Wie die Gemeinde informiert wurde, soll der grösste Teil der neuen Arbeitsplätze erst im August und September bezogen werden, sagt die Kaiseraugster Gemeindepräsidentin Sibylle Lüthi.

Der Gemeinde sind die Hände gebunden 

Arbeitsbereich zum Abfüllen von Durchstechflaschen auf dem Roche-Gelände in Kaiseraugst. ©Keystone

Das Beispiel von Roche zeigt, wie sehr der Ausbau einer einzigen Firma die Verkehrsinfrastruktur an den Anschlag bringen kann. Problematisch, aber auch typisch sind hier vor allem die Kreiselausfahrt beim Werk selbst und der Autobahnkreisel, der vom deutschen Autobahnzoll her kommt. Wie Lüthi sagt, seien die Probleme bekannt, der für die Autobahnen zuständige Bund erarbeite derzeit Lösungen. Der Gemeinde selbst sind weitgehend die Hände gebunden.

Das Ausweichen auf den öffentlichen Verkehr ist ein probates Mittel, aber auch hier ist der Platz bereits heute knapp: Die S1 nach Rheinfelden ist morgendlich in der Regel ebenso gestossen voll wie die Strasse, entlang derer die Bahn fährt. «Um die Verkehrsbelastung zu reduzieren, hat Roche 2011 ein Mobilitätskonzept am Standort Basel/Kaiseraugst eingeführt. Dieses schränkt den Anspruch auf einen Parkplatz nach der Anreisezeit ein», sagt Mediensprecherin Simone Oeschger. Wer dabei unter einer Dreiviertelstunde liegt, bekommt kein Anrecht auf einen Parkplatz.

Schöne Areal-Entwicklung – zum Preis des Kollapses

Immerhin kaum mehr unrentabel: Die S-Bahn-Linie ins Fricktal. ©Keystone

Zusätzlich biete Roche finanzielle Anreize durch einen Mobilitätsbonus für diejenigen, die den ÖV nutzen und auf das Auto verzichten, so Oeschger: «Roche setzt ausserdem Shuttlebusse ein, die regelmässig zwischen Basel und Kaiseraugst verkehren». Denn Kaiseraugst verfüge durch seine Anbindung an den ÖV und an die Autobahn über eine gute öffentliche Verkehrsinfrastruktur: «Das Areal Kaiseraugst ist im Halbstundentakt und in Stosszeiten neu sogar im Viertelstundentakt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden». 

Klingt gut, reicht aber leider nicht. Mit dem Verkehrskollaps steht Kaiseraugst nämlich nicht allein. Nachbargemeinden wie Rheinfelden oder Pratteln bauen als Wirtschaftsstandorte ebenfalls aus, wollen attraktiv sein für Firmen. Und die Kantone Baselland und Aargau sind an jedem grossem Unternehmen interessiert, welches sich ansiedeln oder ausbauen will: Das bringt Steuern, kann ganze Staatshaushalte retten und läuft schliesslich unter dem Stichwort Standortwettbewerb mit all seinen Standortvorteilen und -nachteilen.

Der Infarkt ist real: «Hören Sie sich nur die Staumeldungen an!»

Auch der Grenzübergang Rheinfelden ist vom Pendlerstau betroffen. ©Keystone

Derzeit bezahlt allerdings die gesamte Region die Zeche. Verkehrskollapse trotz strikten Regeln für firmeneigene Pendler, überfüllte Züge, Strassen am Limit: Das ist der Preis für ein schnelles Wachstum, das sich vor allem auf Areal-Entwicklungen konzentrierte und die Zubringer in der Planung weitgehend aussen vor liess. Das trifft auch Basel-Stadt: Ein Ausbau Allschwils am Bachgraben kann zum Kollaps des Luzerner- und Wasgenrings führen.

Der Infarkt ist real. Angesprachen auf die Verkehrssituation eingangs Fricktal, sagt die Kaiseraugster Gemeindepräsidentin Lüthi: «Hören Sie sich nur mal die Staumeldungen jeden Morgen an.» Immerhin würde die Situation mit der geplanten Öffnung des Pannenstreifens auf der Autobahn gemildert. Aber für eine nachhaltige Lösung auf dem Hauptverkehrsträger der Region sei eben der Bund gefragt. Der wiederum beklagt die mangelnde Kooperation der Kommunen.

Was das Einvernehmen mit der Firma selber angeht, ist Lüthi voll des Lobes: Roche halte sich aus ihrer Sicht vorbildlich an die Auflagen des Kantons und arbeite bestens mit der Gemeinde. Geplant sei zudem ein eigenes Bustrassee von Rheinfelden nach Kaiseraugst, damit nicht auch die öV-Nutzer im Stau versinken. Was bleibt, ist die Tatsache, dass dank des gewünscht und geförderten Wachstums der Verkehrskollaps eine neue Realität am Eingang des Fricktal schuf – und die regionalen Verkehrsträger, Herzschlagadern der Wirtschaft, in Stosszeiten jetzt definitiv an ihre Grenzen stossen. Die Mediziner sprechen bei solchen Symptomen von einem unmittelbar bevorstehenden Infarkt. Doch sie sind nicht für die Verkehrspolitik verantwortlich, sondern die Gesundheit der gestressten Pendler. Sie sind gut beraten, einige zusätzliche Betten in der Kardiologie bereit zu stellen.

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