In diesem Winter wurden in der Region weniger Singvögel beobachtet. Fachleute sind besorgt.
In diesem Winter wurden in der Region weniger Singvögel beobachtet. Fachleute sind besorgt.
  • Andy Strässle
  • Aktualisiert am

Sorge über starken Vogelmangel in der Region: Wo sind alle Vögel hin?

Wer mit offenen Augen durch die Region wandert, merkt schnell, dass die typischen Wintervögel dieses Jahr fehlen. Eine schlüssige Erklärung für das Phänomen haben auch die Fachleute nicht.

Kohlmeisen, Blaumeisen und Buchfinken gehören zum hiesigen Winter. Aber es werden immer weniger. Schon dieses Jahr werden sie viel weniger beobachtet. Bei den Ornithologen steigt die Besorgnis: In der Region macht sich ein Vogelmangel breit. Die Vogelwarte Sempach und der Stuttgarter Naturschutzbund gehen von einem schlechten «Brutergebnis» wegen des nasskalten Wetters im Frühling 2016 aus. Da hätten die vielen neu geschlüpften Jungtiere die ersten Tage nicht überlebt. Aber auch das Futter machte den Tieren zu schaffen. Jean-Pierre Biber vom Ornithologischen Verein Basel sagt auf Anfrage von barfi.ch: «Im Winter gibt es immer weniger Vogelwarten (Schwärme) als im Sommer. Zudem fanden alle Vögel bis vor kurzem ihre Nahrung überall, also auch im Wald und auf Feldern. Dies erklärt, warum wir in den Gärten nicht speziell viele Vögel sahen.» Finden die Tiere kein Futter mehr, fliegen sie auf und davon.

Vögel vermissen Insekten

Weitere Faktoren für den Vogelschwund seien für den Rückgang der Volgelzahl nicht auszuschliessen, sagen die Vogelwarte Sempach und die süddeutschen Naturschützer gleichermassen: Zum Beispiel die zunehmende Monokultur in der Landwirtschaft. Da diese Kulturen anfälliger für Schädlinge seien, würden mehr und mehr Pestizide eingesetzt – und das führt wiederum zu einem Mangel an Fluginsekten. Nahezu alle Singvögel seien in der Fortpflanzungsphase im Frühling auf Insektennahrung angewiesen, sonst verhungern sie. Die Gleichung ist einfach: Zu wenig Insekten, zu wenig Vögel. Die «Vogelgrippe», das Usutu-Virus, spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle bei der Dezimierung der Vögel. Dieses habe höchstens lokal die Amselbestände reduziert. Hätte es die Singvögel auf breiter Front erwischt, hätte es viel mehr Funde toter Vögel geben müssen. Was aber nicht der Fall gewesen sei.

 Dass es die Umwelt in der Region den Vögeln nicht ganz leicht macht, bestätigt auch Jean-Pierre Biber: «Eine generelle Abnahme bei manchen Vogelarten dauert schon seit Jahrzehnten an. Diese kann zum grossen Teil mit der Zerstörung ihrer Lebensräume durch den Menschen erklärt werden. Einzig die Städte bereichern sich zum Teil mit neuen Vögeln. Zur Zerstörung der Lebensräume kommt hinzu, dass der Mensch immer mehr den kleinsten Ort besiedelt oder besuchen muss und dadurch die Vogelwelt stört.» Besonders betroffen sind unter anderem gerade die Kohlmeisen, Blaumeisen und Buchfinken, unsere massgeblichen Wintervögel.

Ausgeturtelt

Der WWF Basel-Stadt beschreibt die Rheinregion als Heimat von aktuell etwa hundert Vogelarten. In den letzten zwanzig Jahren seien auch zehn Brutvogelarten neu eingewandert. Allerdings stellt der WWF auch fest: «Die aktuellen Feststellungen zum Vogelschutz in der Schweiz sind zwiespältig. Einerseits zeigt sich in den letzten zehn Jahren eine leichte Zunahme der meisten regelmässig brütenden Vogelarten.» Aber fast vierzig Prozent dieser Arten seien auf der «roten Liste», also gefährdet, und weitere zwölf Prozent seien potenziell gefährdet. Das wäre dann mehr als die Hälfte aller Vögel bei uns. Die «Stunde des Wintervogels», eine Art Volkszählung nur mit Vögeln, findet Ende Januar im Badischen statt. Bei dieser Kampagne zählen unzählige Vogelliebhaber die verschiedenen Arten und erst dann lässt sich darauf schliessen, ob es wirklich weniger Vogelarten hat. Gleichzeitig weist Jean-Pierre Biber darauf hin, dass es ein globales Problem für die Vogelschwärme sei: «Dass gewisse Vogelwarten auch während des Zugs oder im Winterquartier dezimiert werden, stimmt auch, sei es durch Klimaveränderungen, durch Zerstörung ihrer dortigen Lebensräume oder durch Störung und Jagd.»

Nachdenklich stimmt am Ende auch das Schicksal der Turteltaube. Der Bestand der Liebestaube, die mit ihrem «Geturtle» an Liebespaare erinnert und in der Sahara überwintert, sei um 70 Prozent eingebrochen. Falls da nicht etwas geschehe, habe es sich bald «ausgeturtelt», warnt die Vogelwarte Sempach.

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