• Christian Platz
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Sprache heute: «Ey Aldde, du bisch so Opfer!», «Dini Muetter, Bitsch»

Die Sprache war schon immer ein lebendiges Wesen, das sich stetig verändert. Worte und Ausdrücke, von den Jungen geliebt, stossen Erwachsene vor den Kopf. Das muss so sein. Seit einigen Jahren geht es jedoch nicht mehr bloss um einzelne Worte, es ist die Grundstruktur der Sprache, die nun im Jugendmund aufgelöst wird.

«Krass Scheisse, Mann»

Die Stimmregister sind bübisch hoch gestimmt, bis zum Stimmbruch wird es noch ein Weilchen dauern. So sitzen sie im 14-er, der gerade am Barfi hält. Sagt der eine Bub zum anderen, auf die Kirche zeigend: «Ey Aldde, isch Museum». Antwort: «Alddeeeee, was Museum?» Der erste Bub: «Jo, friehner, Ritter und so». Nummer zwei: «Ey krass, Scheisse, Mann».

«Aldde» gegen «Junge»

Sie sind noch keine Männer und schon gar nicht alt. Aber sie sind allesamt «Aldde», oft und gern mit genüsslich lang gezogenem Schluss-E. Was uns daran amüsiert, ist der Umstand, dass wir uns einst – als Teenager der 1970-er Jahre – gegenseitig mit «Junge» anzusprechen pflegten. Dies gäbe es ja ebenfalls immer noch, klärt uns eine deutlich jüngere Kollegin auf, würde jedoch meistens einen Vorwurf einleiten.

Jugendsprache, Jugendworte

An der so genannten Jugendsprache hat sich die Erwachsenenwelt immer schon genüsslich gerieben. So wie sich die besseren Herrschaften früher über die Sprache des Pöbels ausgelassen haben – sowie über die Gaunersprache und das Rotwelsch. Seit 2008 sucht eine originalitätsverliebte Jury des Langenscheidt-Verlags jedes Jahr verzweifelt das «Jugendwort» des Jahres – und findet dabei immer zielsicher einen Ausdruck, den man im Alltag garantiert nie hört. 2015 war das «Smombie».

Von «lässig» zu «geil»

In den 1970-er Jahren haben wir gerne «lässig» gesagt, wenn wir etwas sehr toll fanden. Streng wurden wir deswegen von unserem gravitätischen Deutschlehrer zurechtgewiesen: «Lässig, das kommt eindeutig von nachlässig – und dann auch noch von lässlich, also unwichtig. Das wollt ihr doch nicht sein, das könnt ihr doch nicht gut finden». In der Pause haben wir dann über ihn gelacht. Wenige Jahre später bauten Erwachsene, die sich bei uns anbiedern wollten, das Wort dann gerne in ihre Konversation ein. Dafür ernteten sie von uns nur Verachtung, denn wir sagten längst «geil». Das passte den Erwachsenen nun wiederum überhaupt nicht, denn sie empfanden unsere Sprache deshalb als unstatthaft sexualisiert. Was wir wiederum super fanden.

Massiv kritisiert

«Super», ein englisches Wort also, auch die Verwendung solch fremdsprachiger Ausdrücke wurde einst massiv kritisiert, wenn Junge sie in den Mund nahmen. Denn in den 1960-er, 1970-er Jahren wurde von vielen Erwachsenen eine Sprachinvasion aus dem angelsächsischen Raum befürchtet, durchaus zu Recht, wie die Zeitläufe nun zeigen. Bleibt die Frage, ob dies wirklich so schlimm ist. Und vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir weiter oben im Text das Wort «toll» verwendet haben, ein Superlativ, das unter jungen Menschen der Nachkriegszeit in Mode kam. Der Kommentar der damaligen Erwachsenenwelt dazu: «Toll, das kommt von tollwütig, also von einem krankhaften Zustand, das könnt Ihr doch nicht gut finden».

Codes

So bleibt die Welt der Sprache in Bewegung. Jugendsprache, Gaunersprache oder Rotwelsch, ihnen allen sind zwei wichtige Faktoren gemeinsam. Erstens drücken sie ein Lebensgefühl aus, zweitens stellen sie Codes dar, die Eingeweihte verstehen, Aussenstehende beargwöhnen.

Akzente

Seit einigen Jahren haben wir es nun mit einer Jugendsprache zu tun, die nicht nur eigenartige Ausdrücke verwendet, vielmehr löst sie die Grundstruktur unserer Sprachregeln auf. Keine Artikel, keine Fälle, kaum mehr Grammatik. Für viele erwachsene Ohren klingt dies einfach nur «Krass Scheisse, Aldde», aber genau das ist ja auch die Absicht dahinter. Viele Basler Jugendliche, die daheim mit den Eltern einen unauffälligen Dialekt sprechen, klingen auf der Strasse so, als wäre Schweizerdeutsch ihre Zweitsprache, ihr Ton kommt wie ein dicker ausländischer Akzent daher.

Geschlechtsneutrales

Zudem lieben sie Umwertungen von Ausdrücken, da wird dann etwa das Wort «Opfer» zur Beleidigung; ein Zeichen der Zeit. Immer öfter werden zudem – gekrümmte – hochdeutsche Wörter ins Dialekt eingeflochten, zum Beispiel «ych muess arbeite» statt «ych muess schaffe». Und – ganz entgegen dem sprachlichen Genderwahn unserer Tage, der bekanntlich ein bisschen an Realsatire grenzt – wird öfter mal gerne geschlechtsneutral geredet, so nennen auch Mädchen einander gegenseitig «Aldde» und nicht etwa «Alddi».

Underground

Wo kommt das nun alles her? Sie haben es gewiss schon vermutet. Vieles davon stammt aus US-amerikanischen Underground-Kulturen. Des Weiteren sind Elemente aus den Akzenten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Osteuropa und dem Mediterranen Raum eingeflossen, vornehmlich, was die Tonalität anbelangt.

«Dini Muetter»

Im englischen Sprachraum ist dies alles schon seit recht langer Zeit präsent. So wurde es in den 1980-er Jahren in London und Birmingham Mode, den Jamaika-Akzent nachzuahmen, den Reggae-Sänger in den Gehörgängen der damaligen Jugend verankert hatten. Ein anderes Beispiel ist das Schimpfwort «Dini Muetter», das heute grosse Popularität geniesst. Uns ist es erstmals 1978 begegnet, als Titel eines Instrumentals von Frank Zappa, es hiess «Yo Mama». Damals war «Your Mama» eine Zeit lang ein Lieblings-Schimpfwort eines Teils der US-amerikanischen Musikszene. Es kommt von der altehrwürdigen Tradition her, die Mutter eines Feindes zu beschimpfen, in vielen Kulturen eine tödliche Beleidigung, die nach Rache schreit. Doch in diesem Fall wird die Beleidigung nur angedeutet, man sagt nicht mehr, was die Mutter des Gegenübers alles schlimmes sein soll, man sagt bloss noch: Deine Mutter... – Den Rest muss man sich denken.

«Bitch»

In den letzten Jahren ist bei uns nun auch noch die Dauerverwendung des Wortes «Bitch» dazugekommen. Ursprünglich heisst das Hündin, dann wurde es zu einem fiesen Euphemismus für Prostituierte. Doch in der HipHop- und Rap-Szene unserer schönen Tage ist es, wenn Frauen damit bezeichnet werden, gar nicht mehr so böse gemeint. Es gibt durchaus gute Freundinnen, die einander gegenseitig liebevoll «Bitch» nennen. Wenn das Wort allerdings einem Mann angehängt wird, ist es ziemlich böse – und brandmarkt einen Feigling, Lügner, Verräter.

Die Regeln von Morgen

Ja, die Sprache ist einem steten Wandel unterworfen, sowohl die mündliche, als auch die schriftliche. Die Regeln von Heute gelten Morgen vielleicht schon nicht mehr. Und jede Generation trägt ihren Teil dazu bei – oder ihren «Theil», wie man das Wort zu Goethes Zeiten noch geschrieben hätte. Die Regeln der Sprache sind keineswegs in Stein gemeisselt, dies mögen einige bedauern, andere hingegen inspirierend finden. Wir sind jedenfalls gespannt, wie der Kinder heutigen «Aldde» dereinst reden werden...

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