Ein friedliches Fest in Muttenz...
Ein friedliches Fest in Muttenz...
  • Nathan Leuenberger
  • Aktualisiert am

++UPDATE++ Die Schande von Muttenz: Basellandschaftliche Polizei schreibt Bundesfeier-Geschichte neu

Neuer Lead

  

Eigentlich sollte es eine gemütliche Bundesfeier in Muttenz werden. Stargast: Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die extra in die Baselbieter Gemeinde anreiste, um die offizielle Ansprache zu halten. Entsprechend gross war das Interesse an der Feier.

Die Stimmung war fröhlich und völlig entspannt. Doch das sollte sich ändern. Die Rede von Frau Sommaruga hätte um 20.30 beginnen sollen. Kurz vor 20.00 Uhr begannen Polizisten Personen scheinbar wahllos von den Festbänken zu holen und ihre Ausweise zu kontrollieren. Nachvollziehbar, die Sicherheit hat bei einer solchen Feier absolute Priorität, zumal wenn eine Bundesrätin angekündigt und vor Ort ist. Mit einer einfachen Personenkontrolle hatten die Geschehnisse dann allerdings sehr schnell wenig zu tun. Ein Grossteil der anwesenden Personen zwischen 25 und 35 Jahren alt, wurde aus der Feiergemeinde herausgepflückt und abseits des Festareals, wie Verbrecher, festgehalten.

Umringt von mehreren, teilweise bewaffneten Ordnungshütern, wurden Identitätskarten kontrolliert, mit der Datenbank abgeglichen. Zunächst wurden vier Personen, später eine wesentlich grössere Anzahl öffentlich mit vollem Namen aufgerufen und angewiesen, sich auf die Seite zu stellen. Aus dem Nichts erschienen Mitglieder des Ordnungsdienstes in Vollmontur und eskortieren die ersten, von der Polizei bestimmten Gäste weg. Wohin wurde nicht bekannt gegeben. Weitere Namen werden aufgerufen und ebenfalls ohne Begründung mitgenommen. Noch immer verweigerte die Polizei gesetzwidrig jede Auskunft über was da vor sich geht – einziger schroffer Hinweis: «Das werden Sie auf dem Polizeiposten dann schon erfahren. Sie wissen ja eigentlich selber, wieso sie kontrolliert werden.» Die entsetzten und tief beunruhigten Anwesenden hatten jedoch nicht den geringsten Verdacht.

Die Eskorte endete auf einem Parkplatz vor dem Muttenzer Friedhof. Dort standen bereits mehrere Kastenwagen und weitere Mitglieder des Ordnungsdienstes. Die kontrollierten Festbesucher wurden wie Schwerstverbrecher an eine Wand gestellt, mussten ihre Taschen leeren, die Wertsachen wurden in Plastiktüten abgefüllt. Jeder Kontrollierte wurde mit einer Nummer auf dem Arm markiert. Einigen mit Kabelbinder die Hände gefesselt - grundlos. Denn alle Anwesenden verhielten sich ruhig, wehrten sich nicht. Anschliessend teilten die Polizeikräfte die Personen in verschiedene Wagen auf. Ohne Ihre Wertsachen, markiert und behandelt wie schwere Gesetztesbrecher. In den Fahrzeugen war es heiss, eng und stickig. Eine Frau hatte Platzangst, sie war ebenfalls mit Kabelbinder gefesselt und in einen der Wagen gezwungen. Den verantwortlichen Behördenvertretern war das egal.

Nach rund einer Viertelstunde «hinter Gittern» öffneten die Polizisten die Türen wieder. «Ich muss Sie enttäuschen, leider kann ich mein Versprechen nicht einhalten, sie auf den Posten mitzunehmen», war der hämische Kommentar eines Polizisten. Tatsächlich werden die kontrollierten Männer und Frauen, allesamt freigelassen, die Kabelbinder, moderner Ersatz für Handschellen, wieder entfernt.

Die Anwesenden wurden noch einmal an einer Wand aufgereiht, der Einsatzleiter übernahm das Wort: «Wir haben einen anonymen Tipp erhalten, dass es zu Unruhen von Extremisten kommen wird. Politisch sowohl von links, wie rechts. Sie haben alle in das beschriebene Schema gepasst.» Das Schema schien zu sein: Zwischen 25 und 35 Jahren alt, Bartstoppel bei Männern, schwitzend. Eine konkrete Auskunft erhielten die Anwesenden jedoch nie. «Wir haben bei einigen von Ihnen halblegale Sachen in der Datenbank gefunden.» Doch diesen Ausdruck «hablegal» kennen weder unsere Gesetze noch Datenbanken und ist frei erfunden. Weiter wurde verkündet: «Sie haben sich bis jetzt kooperativ verhalten und wir erwarten, dass das auch für den Rest des Abends so sein wird.» Auf gut Deutsch: Die Betroffenen wurden völlig ohne Grund vorübergehend festgenommen und -gehalten mit Kunststoff-Handschellen fixiert und nicht etwa mit einer anständigen Entschuldigung entlassen, sondern ermahnt, sich weiterhin brav zu verhalten.

Inzwischen war über eine Stunde vergangen, die Rede der Bundesrätin längst vorbei. «Das ist das erste Mal, dass ich in Muttenz an ein Dorffest gehe und dann passiert gleich so etwas», sagte einer der Kontrollierten. Unter denen sich auch der Autor dieses Beitrags befand (Journalist BR).

Zurück auf dem Festplatz wurde klar: Die Verwirrung der Zurückgebliebenen war gross, niemand wurde informiert, weshalb reissen Behördenvertreter Bekannte aus den Reihen unserer Festgemeinschaft? Da ist doch sicher etwas dran?  Eine Mutter versuchte sich bei der Polizei zu erkundigen, was mit ihrem Sohn geschehen war, sie wurde unfreundlich abgewiesen. «Er weiss schon, wieso er kontrolliert wird», die Aussage. Nein er weiss es nicht und wird es wohl nie erfahren. 

Die durchgeführten Kontrollen seien der Situation entsprechend ordnungsgemäss abgelaufen, sagt Adrian Gaugler, Mediensprecher der Polizei Basel-Landschaft auf Anfrage. Die Situation: Ein gemütliches Dorffest, ohne jegliche Anzeichen von Gewalt oder Unruhen. Die Stimmung war mehr als friedlich. Gross war im Anschluss die Empörung bei einigen der Organisatoren: «So war das überhaupt nicht geplant.»

Die kontrollierten Frauen und Männer müssen laut Gaugler nicht mit einem Eintrag in der Datenbank und auch keine sonstigen Folgen rechnen. Das wäre dann ja auch wohl der Gipfel an Unverschähmtheit. Übrig bleibt das Gefühl einer Rechtstaat unwürdigen Behörden-Willkür, eine vermieste Bundesfeier und für manche die verpasste Rede der Bundesrätin. Die lokalen Organisatoren selber trifft dabei keine Schuld, doch der im Vorfeld so vielversprechende Anlass wird auf alle Zeiten in die Geschichtsbücher der Gemeinde eingehen, als : «Die Schande von Muttenz».

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