Martin Vosseler auf dem Solarboot sun21, in Lanzerote, aufgenommen im Dez. 2006. zVg
Martin Vosseler auf dem Solarboot sun21, in Lanzerote, aufgenommen im Dez. 2006. zVg
  • Binci Heeb

Umweltaktivist Vosseler: «Mit mehr Beharrlichkeit hätten wir die Zollfreistrasse vielleicht verhindern können»

Genau 15 Jahre ist es her, als am 17. Januar 2003 der Basler Arzt und Umweltaktivist Martin Vossler sein Zelt an den Wiesenauen in Riehen aufgeschlagen hatte, um gegen die Riehener Zollfreistrasse zu protestieren. Mit barfi.ch sprach der bekannte Aktivist, über seine Pläne, wie er sich vor 15 Jahre gefühlt hat und weshalb er immer noch an ein Wunder glaubt. 

barfi.ch: Es ist ungewohnt ruhig um Ihre Person geworden. Sie wohnen in Basel am Rhein und betreiben hier Ihr Reverenzlädeli im Reverenzgässlein. War es das? 

Martin Vosseler: Derzeit brauche ich viel Zeit zum Sprachenlernen – Chinesisch, Auffrischen meiner Russisch-, Spanisch- und Italienischkenntnisse und für Sport. Etwas kann ich nicht akzeptieren: Dass die Völkergemeinschaft die dringendste, wichtigste Aufgabe aller Zeiten – die Erhaltung der Bewohnbarkeit der Erde – nicht mit höchster Priorität und auf wirksamste Weise anpackt und löst, dass wir immer noch die Lebensgrundlagen dem Geldverdienen von einigen wenigen Grossfirmen opfern, die immer mehr wollen und nie genug haben können. Ich versuche hinter den «Kulissen», einflussreiche, verantwortungsbewusste, unabhängige Frauen und Männer zu finden, die sich auf wirksame Art und Weise dieses Problems annehmen. Auch dies ein Grund, meine Sprachkenntnisse zu erweitern.

Sie sind Arzt, Friedens- und Umweltaktivist sowie Autor. Welche dieser Bezeichnungen empfinden Sie als die treffendste?

Den Arzt. Die ärztliche Verantwortung für Mitgefühl und Erhaltung unserer Lebensgrundlagen prägt alle meine Aktivitäten. Zudem biete ich für Gruppen Fastenwochen in meinem Haus in Elm an. Die gesundheitsfördernde Wirkung des Fastens hat mich immer wieder beeindruckt.

Wenn man mit Ihnen spricht, kann man nicht umhin, als Sie auf die Zollfreistrasse anzusprechen. Genau sieben Jahre nachdem Sie den Kampf gegen die Zollfreie in Riehen aufgegeben haben, wurde diese am 4. Oktober 2013 feierlich eröffnet. Fühlten Sie sich an diesem Tag als grosser Verlierer? 

Ja, wir haben nicht erreicht, was wir uns erhofft hatten. Im Rückblick denke ich, wir haben etwas zu früh aufgegeben. Alle Zutaten für eine tiefe Tunnellösung lagen bereit. Mit etwas mehr Beharrlichkeit hätten wir diese vielleicht verwirklichen können.

Am frühen Morgen des 6. Februar 2006 kam die Polizei mit einem Grossaufgebot an die Wiese. Einige Aktivisten waren auf Bäume geklettert und mussten runtergeholt werden. Wie erinnern Sie diesen Tag? 

Unvergessliche Erinnerungen steigen auf: Die zahlreichen Freundinnen und Freunde, die sich an Bäume anketteten und sich von der Polizei wegtragen liessen – ich denke beispielsweise an den betagten Fritz Raschdorf, der trotz vorangegangener gesundheitlicher Probleme solchen Mut zeigte, oder Schwester Demas Planzer, die sich in der Ordenstracht anketten liess. Noch heute werden mir die Augen feucht, wenn ich an diese Menschen denke. Dann wie die Tiere ihre Solidarität zeigten: Ein weisser Reiher drehte einige Runden über uns, als ich noch einmal am Baum mit Regierungsrätin Barbara Schneider verhandelte; oder der Mäusebussard, der während der ganzen Fäll-Aktion auf einem Ast sass und mit uns dem Treiben still zusah – sonst so scheu, trotz den vielen Menschen und all dem Lärm.

War dies der schwärzeste Tag im Leben des Martin Vosseler? 

Der Polizei-Einsatzleiter der Räumungsaktion kam am Morgen zu mir und gestand: «Dies ist der schwärzeste Tag meiner Karriere». Da ich bei dieser Aktion so viel Erfreuliches erlebt und so viel gelernt habe, kann ich das von mir nicht sagen.

Nach der Räumung des Protestcamps durch die Polizei waren Sie kaum mehr vor Ort an der Wiese. In der Zwischenzeit wurde ein Naturbad gebaut. Das sollte Ihnen doch gefallen? 

Ja, das gefällt mir. Es ist eine von mehreren positiven Auswirkungen dieser ganzen Geschichte.

Aus Protest haben Sie damals vierzig Tage lang gefastet. Weshalb haben Sie diesen Schritt gewählt? 

Schon 1993 habe ich mit Bruno Manser vor dem Bundeshaus 42 Tage gefastet. Damals ging es um einen Importstopp für Tropenholz aus Sarawak, der Heimat von Brunos eingeborenen Waldnomadenfreunden. Bereits damals erfuhr ich, wie positiv sich das Fasten auf eine Aktion auswirkt. Die Sinne werden wacher, das Bewusstsein tiefer und der Körper leichter und gesünder. Die Aktion wird um eine existenzielle Dimension erweitert. 

Zum Schutze der Bäume haben Sie sich unter anderem auch an einen Baum gekettet. 120 Bäume wurden trotzdem gefällt. Fasten, an Bäume ketten, würden Sie das heute wieder tun? 

Für Aktionen braucht es ein bestimmtes Kräftefeld, Umstände, die eine Aktion unausweichlich erscheinen lassen.  Das Gefühl «ich kann nicht anders» muss da sein. Derzeit attraktiver erscheinen mir humorvolle, Lebensfreude ausstrahlende Aktionen, die meine kabarettistische Seite wecken. 

Am 4. Oktober 2013 und pünktlich zu Ihrem Geburtstag wurde die Zollfreistrasse eröffnet. War das der traurigste Ihrer Geburtstage? 

Zu dem Zeitpunkt war diese «Buchseite» in meinem Leben längst umgeblättert. Die Freude über die Menschen, die ich kennen lernen durfte, über alles neu Gelernte in Biologie, Geologie, Recht und gewaltlosem Widerstand überwiegt die Enttäuschung bei weitem.

In einem Interview mit der Tageswoche sagten Sie 2013, dass es bis in 15 Jahren keine benzinbetriebenen Autos mehr geben werde. Fünf Jahre sind seither vergangen. Sind Sie nach wie vor optimistisch, was Ihre Prognose anbelangt? 

Vielleicht geht es ein paar Jahre länger; aber der Trend zum abgasfreien Auto ist unumkehrbar.

Vor dem Engagement bei der Zollfreistrasse waren Sie bereits Mitglied der Anti-Atomkraft-Bewegung, haben sich auch dort stark ins Zeug gelegt. Bereits 1981 gründeten Sie den Schweizer Ableger der IPPNW (Internationale Ärztevereinigung zur Verhütung eines Atomkriegs). Daneben initiierten Sie die Aktion «Luft ist Leben», einer Vorläuferorganisation von «Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz». Was sind heute Ihre wichtigsten Anliegen? 

Nach wie vor die Energiewende, das Bannen der atomaren Gefahren, vermehrt auch der Respekt für unsere Mitgeschöpfe, die Tiere.

Sie scheinen ein unentwegter Optimist zu sein. Trügt dieser Schein?

Es braucht ein Wunder, dass unser Planet für uns bewohnbar bleibt. Ich glaube an dieses Wunder und versuche, etwas zur Vorbereitung des Wunders beizutragen. Viel ist schon erreicht – zum Beispiel der gegenwärtige «Boom» der erneuerbaren Energien weltweit, die Zunahme der ökologischen Landwirtschaft; aber es reicht noch lange nicht. Dass ein Flug von Basel nach Barcelona weniger kostet als ein Nachtessen in einem mittelmässigen Restaurant, ist gegenüber den kommenden Generationen nicht vertretbar.

Ende Januar gehen Sie wieder einmal wandern. Dieses Mal auf den Kanaren. Sie sind aber auch schon von Basel nach Jerusalem oder nach St. Petersburg gewandert. Auf dem Sunwalk liefen Sie gegen Atomkraft und für erneuerbare Energie drei Monate durch die Schweiz und durchquerten auch schon die USA zu Fuss. Was treibt Sie dabei an ­ – und wie finanzieren Sie diese Wanderungen? 

Das Wandern ist für mich ein Gebet mit Leib und Seele. Es ist die reichste, beglückendste und energiewirksamste Art des Reisens. Distanzmässig bin ich nun einmal um die Erde gewandert. Wie viele Begegnungen mit hilfreichen, grosszügigen Menschen! Wie viele erfreuliche Überraschungen! Wie wunderbar, auf dieser grossen Erdkugel zu wandern. Und gleichzeitig kann ich damit bewusst machen: Das Wandern ist das einfachste und wirksamste Heilmittel für Körper und Seele; ganz im Sinne von: «Was mir gut tut, tut auch dem Planeten gut.» Meine Reisen finanziere ich selbst. Bei einigen Wanderungen wurden die MBT-Sandalen gesponsert.

In der Transsibirischen Eisenbahn, zw. Moskau und Peking – hier traf Martin Vosseler einen französischen Gitarristen und hatte neben seiner Geige eine Gitarre für einen chinesischen Freund dabei. Er lehrte ihn einige Musikstücke, die zum Kern seines Strassenmusikrepertoires wurden. Aufgenommen Jan. 2015. Bild zVg

Dieses Jahr werden Sie Ihren 70. Geburtstag feiern können. Ist da etwas Spezielles geplant?

Ja, ein Dankesfest in Basel. 

Auf Nachfrage von barfi.ch nach Bildern haben Sie unter anderem diese Fotografie geschickt. Deshalb sei die abschliessende Frage erlaubt: Was würden Sie tun, wenn Sie Kaiser von China wären?   

Kaiser von China, eine der Cabaret-Figuren von Martin Vosseler, aufgenommen im Juni 2017 anlässlich des 60. Geb. einer Freundin. Bild zVg

Ich würde einige Leute wie den jetzigen Papst, Gro Harlem  Brundtland, Jimmy Carter, Robert Redford, Micheline Calmy-Rey und noch einige andere weitblickende Personen in meinen Palast zu einer Klausurtagung einladen. Wir würden in entspannter Atmosphäre zusammen besprechen, wie wir weltweit eine planetare Ethik fördern könnten, dank der alle dringenden Herausforderungen der Menschheit gelöst werden.

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